# taz.de -- Zukunft Syriens: Hoffnung und Sorgen | |
> Seit mehr als einem Monat ist die syrische Übergangsregierung in Amt, | |
> erste Wahlen wird es wohl in vier Jahren geben. Wie soll es bis dahin | |
> weitergehen? | |
Bild: Ein Land auf tönernen Füßen: eine gestürzte Statue des ehemaligen syr… | |
DAMASKUS taz | Syrien ordnet sich neu. [1][Nach dem Sturz von Baschar | |
al-Assad] formierte sich die von der [2][Islamistenmiliz Hayat Tahrir | |
al-Scham (HTS)] dominierte Übergangsregierung rasch. Behörden und | |
Institutionen richten sich neu aus, der Sicherheitsapparat soll umgestaltet | |
werden. Doch die erste freie Wahl wird wohl erst in vier Jahren | |
stattfinden. Was erwartet die Syrer*innen in dieser langen | |
Übergangszeit? | |
Seit Wochen ist eine nationale Dialogkonferenz geplant. Verschiedene | |
Gruppen der syrischen Gesellschaft sollen dort den künftigen Kurs des | |
Landes bestimmen. Wer konkret daran teilnimmt, bleibt unklar, ebenso das | |
Datum. Immer mehr Parteivertreter*innen und Aktivist*innen | |
strömen nach Jahren im Exil zurück nach Damaskus. | |
So wie Sanharib Barsoum, Parteivorsitzender der christlichen Syriac Union | |
Party, der die nördliche Stadt Qamischli in den kurdischen Provinzen | |
verlassen hat, um über die Zukunft Syriens zu beraten. „Wir wissen noch | |
nicht, was wir erwarten sollen, es gibt noch keine klare Vision. Trotz der | |
Erklärungen der neuen Regierung über die Lage der Christ*innen und ihre | |
Rechte herrschen noch Sorgen“, sagt der Politiker. | |
Die neuen Herrscher gehören fast ausschließlich der sunnitisch-muslimischen | |
Mehrheit an, in der Rebellenhochburg Idlib hatte die HTS während des | |
Krieges eine Regierung nach islamischen Grundlagen errichtet. Es stelle | |
sich die wichtige Frage, wie eine demokratische Regierung in Syrien | |
aussehen soll, sagt Barsoum. Ein föderales System, ähnlich dem deutschen | |
Modell, wäre denkbar. | |
## Brisantes Video vom Justizminister | |
In Syrien leben verschiedene ethnische und religiöse Gruppen, die immer | |
nebeneinander, oft aber auch gegeneinander leben. Der Bürgerkrieg verlief | |
entlang religiöser Bruchlinien, auch ausländische Mächte verstrickten sich | |
mit ihren jeweiligen Interessen. Im Nordosten, wo Barsoum lebt, kämpfen | |
weiterhin von der Türkei unterstützte Kräfte gegen kurdische Milizen. Die | |
Kurd*innen haben dort eine eigene Verwaltung aufgebaut, deren Zukunft | |
ungewiss ist. Die Türkei, die gute Beziehungen zu den neuen Machthabern | |
pflegt, sieht diese Autonomie kritisch. Nun sollen die zahlreichen Milizen | |
des Landes in eine staatliche Armee integriert werden. Die Kurd*innen | |
sind bisher nicht Teil des Abkommens. | |
Im Süden trugen die drusischen Gemeinschaften entscheidend zum Sturz Assads | |
bei. Jetzt fürchten sie, beim politischen Neuaufbau übergangen zu werden. | |
Gleichzeitig kämpfen sie mit wachsenden Spannungen in den Grenzgebieten. | |
Der Unmut über [3][die israelische Besetzung der Pufferzonen und des Bergs | |
Hermon] wächst. Dorfbewohner*innen berichten von Übergriffen | |
israelischer Soldat*innen | |
Die neue Regierung besteht aktuell vor allem aus Männern mit Verbindungen | |
zur HTS oder zu Idlib. Die Machthaber betonen ihren Willen zur Inklusion. | |
Außenminister Asaad al-Schibani sprach bei seinem Besuch in Saudi-Arabien | |
von einer „Vision“ für eine Regierung, die alle Teile der syrischen | |
Gesellschaft einbezieht. | |
Doch Postenvergabe, Sicherheitsprobleme und konservative Äußerungen sorgen | |
für Kritik. Das Verteidigungsministerium veröffentlichte kürzlich eine | |
Liste von Offizieren, die in die künftige Armee aufsteigen sollen – als | |
Anerkennung für ihren Einsatz gegen Assad. Beobachter*innen fanden | |
darauf auch Namen ausländischer islamistischer Kämpfer. | |
Videos vom amtierenden Justizminister, Shadi al-Waisi, in denen er 2015 in | |
Idlib zwei Frauen wegen Prostitution per Kopfschuss exekutieren lässt, | |
brachten die Regierung ebenfalls in Erklärungsnot. Ein anonymer Beamte | |
sagte syrischen Medien, das Video zeige die Anwendung des Gesetzes zu den | |
damaligen Zeiten, man sei aber jetzt über diese Phase hinweg. | |
Berichte über Gewalt gegen Alawit*innen und ehemalige | |
Regimeanhänger*innen, teils von Unbekannte verübt, teils von Kämpfern, | |
beunruhigen die Minderheiten. Inmitten dieser Unsicherheit blickt das Land | |
auf den angekündigten Nationaldialog, der einen ersten Ausblick auf Syriens | |
Zukunft geben könnte. | |
23 Jan 2025 | |
## LINKS | |
[1] /Umsturz-in-Syrien/!6054061 | |
[2] /Die-HTS-in-Syrien/!6049870 | |
[3] /Israels-Militaer-auf-den-Golanhoehen/!6058207 | |
## AUTOREN | |
Serena Bilanceri | |
## TAGS | |
Schwerpunkt Syrien | |
Islamismus | |
Wahlen | |
Baschar al-Assad | |
Schwerpunkt Syrien | |
Europäische Union | |
zeitgenössische Kunst | |
Schwerpunkt Syrien | |
Schwerpunkt Syrien | |
Asyl | |
Schwerpunkt Syrien | |
Waffenexporte | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Machtwechsel in Syrien: Ex-Rebellenführer wird Übergangspräsident | |
Nach dem Sturz von Diktator Baschar al-Assad stellt Syriens | |
Übergangsregierung die Weichen für die Zukunft. Präsident wird vorerst | |
Ahmed al-Scharaa. | |
Nach Fall des Assad-Regimes: EU erwägt Teilaufhebung von Sanktionen gegen Syri… | |
Die EU will eine baldige Aussetzung ihrer Sanktionen in den Bereichen | |
Energie und Verkehr diskutieren. Die Außenminister kommen am Montag | |
zusammen. | |
Künstlerin über Sturz des Assad-Regimes: „Der Krieg war die Realität meine… | |
Die syrische Künstlerin Joudi Haj Sattouf ist im Krieg aufgewachsen. In | |
ihrer Kunst macht sie auf die Opfer des Assad-Regimes aufmerksam. | |
Nach dem Sturz von Assad: Fragiler Frieden | |
Zwar will die syrische Übergangsregierung Christ*innen im Land schützen, | |
doch es kommt zu gewalttätigen Zwischenfällen. Zu Besuch in der Stadt | |
Maalula. | |
Syrien nach dem Sturz des Assad-Regimes: Sanktionen behindern Europas Aufbauhil… | |
Die Golfstaaten und die Türkei investieren schon in Syrien. Die EU dagegen | |
kann bisher kaum Entwicklungsgelder zahlen. | |
Syrer*innen in Deutschland: Kein Grund zu gehen | |
Politiker*innen überbieten sich im Wahlkampf mit Ideen, wie man | |
syrische Geflüchtete zur Rückkehr bewegt. Viele der Angesprochenen verletzt | |
das. | |
Unter Syriens neuer Regierung: Aus für Moskaus Mittelmeerhafen | |
Die neue syrische Regierung kündigt den Pachtvertrag eines russischen | |
Unternehmens für den Hafen in Tartus. Russland verliert damit seine einzige | |
Marinebasis im Mittelmeer. | |
Rüstungsexporte steigen auf Rekordwert: Nicht nur für die Ukraine | |
Deutschland liefert an verschiedene Länder Waffen und Ausrüstung. Ausfuhren | |
für mehr als 13 Milliarden Euro hat die Bundesregierung 2024 erlaubt. |