# taz.de -- Syrer*innen in Deutschland: Kein Grund zu gehen | |
> Politiker*innen überbieten sich im Wahlkampf mit Ideen, wie man | |
> syrische Geflüchtete zur Rückkehr bewegt. Viele der Angesprochenen | |
> verletzt das. | |
Bild: 600.000 Syrer*innen haben derzeit einen befristeten Aufenthaltstitel, der… | |
Von | |
BERLIN taz | [1][Anfang Dezember stürzten die HTS-Rebellen den syrischen | |
Diktator Baschar al-Assad]. Im Wahlkampf überbieten sich deutsche | |
Politiker*innen nun mit Vorschlägen, wie man die Syrer*innen in | |
Deutschland zum Gehen bewegt – oder sie rauswirft. Ex-Gesundheitsminister | |
Jens Spahn (CDU) forderte, Heimkehrer*innen mit 1.000 Euro zu belohnen. | |
Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) kündigte an, dass Syrer*innen | |
gehen müssen, die nicht arbeiten. Sogar Grünen-Kanzlerkandidat Robert | |
Habeck äußerte sich zuletzt ähnlich. | |
Bisher fehlt es den Forderungen an Substanz. [2][Lediglich Faeser, die | |
noch zuständige Ministerin, hat Details genannt]. Kern ihrer Pläne ist, | |
dass das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) die Fälle aller | |
Syrer*innen mit Schutzstatus außerplanmäßig überprüft. Normalerweise | |
wird nur einmalig nach drei Jahren sondiert, ob ein Prüfverfahren nötig | |
ist. Dazu kommt es aber nur sehr selten, die allermeisten Geflüchtete | |
behalten ihren Schutzstatus und ihr Aufenthaltsrecht. | |
Weil sich die Situation in Syrien so dramatisch geändert hat, geht Faeser | |
nun aber wohl davon aus, dass das Bamf vielen den Schutz entzieht. Diese | |
Menschen sollen abgeschoben werden, wenn sie aus keinem anderen Grund eine | |
Aufenthaltserlaubnis haben, etwa weil sie arbeiten. | |
Ob das wirklich so kommt, bleibt abzuwarten, im Moment ist die Lage in | |
Syrien unübersichtlich. Außerdem würde die individuelle Prüfung so vieler | |
Schutzansprüche das Bamf wohl stark überlasten. | |
Menschenrechtsorganisationen fürchten deshalb, dass die nächste | |
Bundesregierung auf eine pauschale Lösung für alle Syrer setzen könnte, bei | |
der der Einzelfall nicht mehr geprüft wird. | |
## „Viele fühlen sich nicht mehr sicher und willkommen“ | |
Potenziell betroffen wären von den Überprüfungen, die Faeser plant, etwa | |
600.000 Personen. So viele Syrer*innen haben derzeit einen befristeten | |
Aufenthaltstitel, der auf einem Schutzstatus beruht. Salah Alnachawati | |
gehörte noch bis vor einem Jahr zu dieser Gruppe. Doch seit Ende 2023 hat | |
er eine unbefristete Niederlassungserlaubnis, die ihn wohl vor der | |
Abschiebung schützen würde. Der Politikwissenschaftler arbeitet als | |
Fraktionsassistent bei [3][Volt] und der Lokalpartei Gigg in der Gießener | |
Stadtverordnetenversammlung. Gegenüber der taz spricht er von „Besorgnis“ | |
bei vielen Syrer*innen in Deutschland. „Viele fühlen sich nicht mehr | |
sicher und willkommen.“ | |
Die Forderungen deutscher Politiker*innen nennt er „widersprüchlich | |
und realitätsfern“. Die Aussagen „verletzen uns emotional auf eine Weise, | |
die kaum zu beschreiben ist. Das gelte ganz besonders „in einer Phase, in | |
der wir uns bemühen, der deutschen Gesellschaft das entgegenzubringen, was | |
sie uns an Unterstützung und Möglichkeiten geboten hat“. Von der nächsten | |
Bundesregierung erhofft er sich, dass sie sich der „Auswirkungen | |
populistischer Rhetorik“ bewusst ist. | |
Viele andere Syrer*innen haben inzwischen auch die deutsche | |
Staatsbürgerschaft und sind deswegen nicht von der Abschiebung bedroht. | |
Unter diesen mehr als 200.000 Menschen sind viele, die 2015 und 2016 | |
hierhergeflohen sind und erst vor Kurzem eingebürgert wurden. So wie Rana. | |
Sie wohnt in Süddeutschland, wo sie BWL studiert. Die Rückkehrforderungen | |
deutscher Politiker*innen findet sie „einfach nur schlimm“. Seit dem | |
Sturz des Assad-Regimes werde sie immer wieder gefragt, wann sie | |
zurückkehren werde. „Niemand hat gefragt, ob wir uns freuen, allen geht es | |
nur darum, wann wir gehen“, sagt sie. „Dabei spielt die Politik schon eine | |
Rolle.“ | |
## Sorgen vor nächster Bundestagswahl | |
Dass sie von den Plänen von Merz, Faeser und Habeck als deutsche | |
Staatsbürgerin nicht betroffen wäre, ändert für sie nichts daran. Implizit | |
seien alle Syrer*innen gemeint. Sie selbst will höchstens für Urlaube in | |
das Land zurückkehren, in dem ihre Familie lebt, sie geboren wurde und | |
aufgewachsen ist – sobald die Sicherheitslage das zulässt. „Deutschland ist | |
auch mein Heimatland, ich bin Teil der Gesellschaft, hier arbeite und lebe | |
ich“, sagt sie. „Wieso sollte ich gehen?“ | |
Auch die Forderung, dass Syrer*innen, die nicht arbeiten, gehen sollten, | |
findet Rana falsch. „Es gibt oft gute Gründe dafür, dass Menschen nicht | |
arbeiten können, zum Beispiel bürokratische Hürden und Krankheiten.“ Sie | |
schiebt hinterher: „Das Grundgesetz betont die Würde des Menschen. Ich bin | |
mir nicht sicher, ob in Syrien gerade ein würdevolles Leben möglich ist.“ | |
Damit Geflüchtete frei über ihre Rückkehr entscheiden können, sei es | |
wichtig, dass die Bundesregierung eine Möglichkeit für sie schaffe, | |
zunächst für einen kurzen Besuch nach Syrien zurückzukehren, ohne dass sie | |
ihren Schutzstatus verlieren. Innenministerin Faeser hatte zuletzt | |
angekündigt, eine solche Regelung beschließen zu wollen, allerdings | |
begrenzt auf eine einzige Reise. | |
Für welche Partei sie bei der Bundestagswahl stimmen wird, weiß Rana noch | |
nicht. „Merz und Scholz kommen gar nicht infrage.“ Das liege aber nicht nur | |
daran, wie sich die beiden zuletzt zu Syrer*innen und Geflüchteten | |
allgemein geäußert haben. „Merz ist frauenfeindlich und Scholz war als | |
Kanzler nicht besonders erfolgreich.“ Sie mache sich Sorgen um die | |
Wirtschaft und das Gesundheitssystem. Außerdem brauche es dringend eine | |
andere Mieten- und Wohnungspolitik. | |
Neben den Geflüchteten gibt es auch noch Syrer*innen in Deutschland, die | |
als Fachkräfte gekommen sind. Auch sie wären von Faesers Plänen nicht | |
betroffen. Moritz etwa arbeitet in einer ostdeutschen Stadt als Arzt. | |
Eigentlich heißt er anders, den Spitznamen haben seine Kollegen für ihn | |
ausgesucht. „Ich weiß auch nicht, warum“, lacht er. Seit 2018 ist er in | |
Deutschland, im Herbst hat er zusammen mit seiner Frau die Einbürgerung | |
beantragt. Weil die aber noch aussteht, dürfen die beiden noch nicht | |
wählen. | |
Zu den Rückkehrforderungen deutscher Politiker*innen sagt Moritz: | |
„Statt über echte Probleme zu sprechen, lenken sie ab, indem sie über die | |
Syrer reden.“ Es sei falsch, nach Syrien abzuschieben. „Der Diktator ist | |
weg, aber das Leben dort ist immer noch sehr schwierig. Das kann man nicht | |
wegzaubern.“ Zu gehen sei für ihn selbst keine Option. „Wir fühlen uns wo… | |
hier, die Leute sind nett, wir haben viele Freunde.“ Außerdem biete ihm die | |
Arbeit in Deutschland gute Möglichkeiten zur Weiterbildung. | |
23 Jan 2025 | |
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## AUTOREN | |
Frederik Eikmanns | |
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