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# taz.de -- Drusen in Syrien: Nach den Tumulten
> Im drusischen Viertel Jaramana in Damaskus gab es jüngst heftige Kämpfe,
> nun herrscht wieder Ruhe. Doch viele fragen sich: Wie soll es
> weitergehen?
Bild: Ein Mann, bekleidet mit der traditionellen weißen Kappe der Drusen, kurz…
Jaramana taz | In Jaramana, einem drusisch und christlich geprägten Vorort
von Damaskus, ist wieder Ruhe eingekehrt. Gelbe Taxis fahren hupend durch
die Straßen, Mütter gehen mit Kindern an der Hand spazieren, Luftballon-
und Gemüseverkäufer stehen am Straßenrand und feilschen mit den Kunden um
die Preise. Veraltete Busse mit rußgeschwärzten Fenstern holpern ihre
Routen entlang. Das Viertel ist wieder am Leben.
Doch der Schein trügt. [1][Nach den Kämpfen Ende April] sind viele in
Jaramana immer noch angespannt. Bei jedem Knall, jedem lauten Geräusch,
horchen sie auf. Vor drei Wochen hatten sich Gruppen von Kämpfern mit
militärischer Ausstattung in der Nacht im Nachbarviertel al-Malihah
versammelt, einen Checkpoint angegriffen und versucht, Jaramana zu stürmen.
Daran hatten sie lokale, teils drusische Sicherheitskräfte gehindert.
Mindestens zehn Männer kamen dabei um, die Einwohner*innen verbrachten
quälend lange Stunden eingesperrt in ihren Wohnungen, während draußen
Granaten und Kugeln flogen.
Erst als die Regierung militärische Verstärkung nach Jaramana entsandt und
die drusischen Scheichs, religiöse Anführer, sich mit Vertretern der
Regierung getroffen hatten, kehrte allmählich wieder Frieden ein.
Doch kurz darauf, am 30. April, gab es wieder Kämpfe: d[2][iesmal in den
drusisch-christlichen Kleinstädten Sehnaya und Ashrafiyeh Sehnaya], etwa
zehn Kilometer von Damaskus entfernt. Kurz danach begannen die Gefechte
rund um die südliche, drusische Stadt Suweyda: Autos und Minibusse wurden
auf dem Highway beschossen, Mörsergranaten flogen und Schüsse fielen in den
Dörfern. Mehr als 100 Menschen kamen laut der Syrischen Beobachtungsstelle
für Menschenrechte (Sohr) insgesamt um.
## Schüsse in Richtung Wohngebiet
Noch ist nicht völlig geklärt, wer die angreifenden Kämfper waren. Klar
scheint aber, dass es sich um radikal eingestellte Sunniten handelte.
Anlass für die Gefechte soll eine Audionachricht gewesen sein, in der ein
Mann den muslimischen Propheten Mohammed beleidigte. Die Stimme wurde einem
drusischen Geistlichen zugeschrieben – obwohl die syrischen Behörden und
drusische Anführer die Aufnahme als „gefälscht“ bezeichnet hatten.
Sohr erklärte, die Angreifer seien „Kräfte, die mit dem
Verteidigungsministerium verbunden sind“. Das Nachrichtenportal Suweyda24
schrieb damals: „Extremistische Gruppen streamen live, wie sie die Stadt
Ashrafiyat Sehnaya mit schwerem Geschütz angreifen“, dabei ein Video, auf
dem bärtige Männer in Tarnfleck „Allahu Akbar!“ („Gott ist groß“) ru…
Und mit Maschinengewehren Schüsse in Richtung eines Wohngebiets abfeuern.
Die taz berichtete damals: Das Video, auf das sich das Nachrichtenportal
bezieht, stammt von einem Mann, der sich online Abu Omar Bilal nennt. Er
selbst ist in den Videos neben den Kämpfern zu sehen. Auf Nachfrage der taz
schreibt er, er sei mit „seinen Brüdern der Syrischen Arabischen Armee“
gegen Menschen, die für Ex-Diktator Baschar al-Assad gekämpft hatten – und
gegen alle, die den Propheten beleidigten. Extremismusvorwürfe weist er
zurück. Eine Anfrage an die syrische Regierung zu Abu Omar Bilal blieb
unbeantwortet.
Konflikte zwischen Drusen und extremistischen Sunniten gab es in der
Geschichte des Landes immer wieder: Die Drusen sind eine religiöse
Minderheit, 700.000 Mitglieder stark. Sie machen etwa drei Prozent der
Bevölkerung aus. Ihr Glaube leite sich aus dem schiitischen Islam ab, hat
aber eigene Züge und Rituale entwickelt.
## Israel positioniert sich als Beschützer der Drusen
In Syrien sind sie, politisch betrachtet, keineswegs einig. Viele unter
ihnen blicken mit Skepsis auf die neue Regierung, die unter Leitung von
Ahmed al-Scharaa entstanden ist, dem ehemaligen Anführer der
dschihadistischen Gruppe Hayat Tahrir asch-Scham (HTS). So wollen bislang
mehrere drusische Milizionäre ihre Waffen nicht abgeben – trotz eines
entsprechenden Abkommens mit der Regierung. Wohl aus Angst, die
Drus*innen könnten wieder zum Opfer von Angriffen werden. Andere sehen
einen Kompromiss mit den Machthabern hingegen positiv.
Nach den Tumulten sagte etwa der Kommandeur einer drusischen Miliz, Scheich
al-Karama Laith al-Balous, laut Medienberichten: Seine Gruppe wolle das
Abkommen in Kraft treten sehen, das in Suweyda einige Faktionen und die
Regierung ausgehandelt haben. Ein anderer Scheich, Hikmat al-Hjiri, schrieb
hingegen: Die Drus*innen würden nach dem Geschehenen der Regierung nicht
mehr trauen und internationalen Schutz fordern. Doch wenige Tage später
veröffentlichte die Facebook-Seite seiner Gruppe das Ergebnis eines
Abkommens mit der Regierung, das unter anderem eine Waffenruhe und das Ende
der Belagerung in den drusischen Gebieten vorsieht.
Eine weitere Partei hat sich außerdem in den Konflikt eingeschaltet: Israel
hatte nach den Auseinandersetzungen mehrere Stellungen rund um Damaskus und
im Süden des Landes bombardiert. Dabei sollen vier Drusen und ein Mitglied
der staatlichen Sicherheitskräfte ums Leben gekommen sein. Israels
Präsident Benjamin Netanjahu sagte im Anschluss, die Luftschläge seien
„eine klare Botschaft an das syrische Regime“.
Israel positioniert sich seit dem Sturz Assads als Beschützer der
Minderheit. Die Forderung von al-Hjiri nach „internationaler Intervention“
wird von Beobachtern als Hilferuf an Israel gelesen – obwohl der Scheich
selbst sich dazu bedeckt hält. Erst vor Kurzem gab es indirekte Gespräche
zwischen Syriens Übergangspräsidenten al-Scharaa und Netanjahu, das
Ergebnis ist noch offen.
## Die Wahl zwischen zwei Besatzungen
Neben möglichen strategischen Interessen, die Israel an einer Pufferzone
innerhalb Syriens zu den seit den [3][1980er Jahren annektierten
Golanhöhen] haben könnte, gibt es einen weiteren Faktor: In Israel lebt
eine signifikante drusische Minderheit. [4][Sie sind Staatsbürger, gelten
als loyal zu Israel und dienen überdurchschnittlich häufig in Polizei und
Militär.] Die Beziehung zwischen Drus*innen in Syrien und Israel ist auch
deswegen hochkomplex.
Eine junge Drusin aus Syrien sagte jüngst der taz: Ihre Gemeinschaft würde
in eine Ecke gedrängt, sodass sie zwischen zwei Besatzungen wählen müsste –
der türkischen, womit die mit Ankara verbündete Zentralregierung in
Damaskus gemeint ist, und der israelischen. „Aber niemand möchte eine
Besatzung“, sagt sie. Ein anderer Druse erklärt der taz hingegen: Es sei
unter diesen Umständen nicht verwerflich, dass sie Hilfe bei ihren
Verwandten in Israel suchten. Es gebe viele, die Israel als demokratischen
Staat und Beschützer von religiösen Minderheiten unterstützten. Beide
möchten ihre Namen nicht veröffentlicht sehen.
Es findet sich kaum ein Vertreter der Drusen, der sich öffentlich
proisraelisch äußert. Das hat Gründe: [5][Israel hat mehrere syrische
Dörfer im Süden besetzt.] Bei Kämpfen mit Bewohner*innen gab es Tote und
Verletzte. Die Stimmung gegenüber Israel ist auch deshalb in Syrien
schlecht.
Ein Sprecher des zivilgesellschaftlichen Komitees in Jaramana erklärt der
taz mit Inbrunst: Es sei Aufgabe der Regierung, Jaramana zu schützen –
nicht Israels. Der Mann möchte ebenfalls anonym bleiben. Er betont: Seit
dem Abkommen mit der Regierung habe es keine Gefechte mehr gegeben.
Doch aus dem Süden Syriens gibt es noch immer sporadische Meldungen zu
Gewalttaten. Sich einen eigenen Einblick zu verschaffen, ist schwierig: Das
Ministerium erteilte lange keine Erlaubnis für Journalist*innen, nach
Suweyda zu fahren. Auch eine Anfrage der taz diesbezüglich wurde abgelehnt.
Die Drus*innen sind mit ihren Sorgen unter den Minderheiten nicht alleine
– vor allem nach den Massakern an Alawit*innen Anfang März. Auch viele
liberal eingestellte Syrer*innen sind besorgt: Jüngst gab es zwei
Angriffe durch Bewaffnete auf Nachtklubs und Tanzlokale. Eine junge Frau
wurde erschossen, mehrere Gäste verletzt. Auch behaupten einige Quellen der
taz, an Checkpoints in verschiedenen Regionen des Landes gefragt worden zu
sein, ob sie Drusen seien.
In Jaramana tragen einige Gebäude Einschusslöcher – aus welchem Konflikt
sie stammen, ist oft kaum bekannt. Nun herrscht wieder Frieden. Doch das
Gefühl bleibt: Es braucht nur wenig, um ihn ins Wanken zu bringen.
22 May 2025
## LINKS
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[2] /Konfessionelle-Gewalt-in-Syrien/!6085335
[3] /Raketenangriff-auf-den-Golanhoehen/!6023891
[4] /Israelisch-libanesische-Grenze/!6017594
[5] /Israels-Militaer-auf-den-Golanhoehen/!6058207
## AUTOREN
Serena Bilanceri
## TAGS
Schwerpunkt Syrien
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