| # taz.de -- Israelisch-libanesische Grenze: Leben unter den Augen der Hisbollah | |
| > Viele Städte in Nordisrael sind wegen anhaltender Angriffe aus dem | |
| > Libanon schon evakuiert. Hurfeish ist eine Ausnahme. | |
| Bild: In Hurfeish zeigen Banner die Gesichter gefallener Soldaten und sowohl di… | |
| Hurfeish taz | Noch idyllischer als Hurfeish kann eine Kleinstadt kaum | |
| wirken: Eingebettet ins Tal erheben sich Ein- und niedrige | |
| Mehrfamilienhäuser vor den grünen, mit Pinien und Eichen bewachsenen Bergen | |
| Nordisraels. Schmale Gassen winden sich durch die Häuserreihen, und in den | |
| Vorgärten reifen Granatäpfel an den Bäumen. Vor allem am Abend, wenn die | |
| Sonne hinter den Bergen im Westen versinkt und die Luft abkühlt, blüht hier | |
| das Leben auf. Familien spazieren die Straßen entlang, Restaurants sind bis | |
| fast auf den letzten Platz besetzt. Einige der Lokale tragen in ihrem Logo | |
| eine Zeder, stilisiert gezeichnet wie auf der Fahne des Libanon. | |
| Die Grenze zum nördlichen Nachbarland verläuft weniger als einen Kilometer | |
| Luftlinie von Hurfeish entfernt. Und auch die Stellungen der libanesischen | |
| Miliz Hisbollah liegen nur wenige Hunderte Meter weiter. Das macht die | |
| Idylle der Kleinstadt trügerisch. | |
| Anfang Juni griffen Drohnen der Hisbollah Hurfeish an, elf Menschen wurden | |
| verletzt, einige von ihnen schwer. Trotzdem wollen die Bewohnerinnen und | |
| Bewohner nicht evakuiert werden – obwohl der israelische Staat es ihnen | |
| empfiehlt. „Wir verlassen unser Land nicht“, sagt Shakeb Shanan, Teil des | |
| Gemeinderats von Hurfeish und ehemaliges Mitglied der Knesset. „Nirgendwo | |
| fühlen wir uns sicherer als in unseren Häusern.“ | |
| Und wenn der vor sich hin schwelende Konflikt zwischen Israel und der | |
| Hisbollah nun in einen viel intensiveren Krieg eskaliert? [1][Die Angriffe | |
| der Hisbollah auf Nordisrael] nahmen jüngst deutlich zu – und damit auch | |
| die Diskussionen, ob eine Offensive des israelischen Militärs in den | |
| Südlibanon notwendig ist. | |
| ## Die Furcht vor der Eskalation | |
| Zehn Zivilisten und 15 Angehörige des Militärs sind seit vergangenem | |
| Oktober in der nördlichen Grenzregion Israels durch die Angriffe der | |
| Hisbollah ums Lebens gekommen. Dass es nicht mehr sind, liegt vor allem | |
| daran, dass die gesamte Region seit damals zum Großteil evakuiert ist. Über | |
| 60.000 Menschen müssen seit bald neun Monaten in Haifa, Jerusalem und | |
| anderen Städten in Hotels und angemieteten Wohnungen leben. | |
| Hurfeish ist einer der wenigen Orte an der Nordgrenze, in denen noch | |
| Menschen leben. Die Berge, die sie umgeben, schützen die Stadt. Dazu kommt, | |
| dass 95 Prozent der knapp 7.000 Bewohnerinnen und Bewohner von Hurfeish zur | |
| Bevölkerungsgruppe der Drusen gehören. Dass sie sich weigern, ihre Heimat | |
| zu verlassen, überrascht wohl kaum einen in Israel. Die gängigsten | |
| Klischees über die Minderheit: Die Drusen seien loyal zum Boden ihrer | |
| Vorfahren und tapfere Kämpfer für den Staat Israel, dessen [2][Bürger sie | |
| seit seiner Gründung sind]. Die Zahlen scheinen das Klischee zu bestätigen. | |
| Während die Drusinnen und Drusen gerade einmal 1,5 Prozent der Bürger | |
| ausmachen, stellen sie etwa 5 Prozent der Streitkräfte Israels. | |
| Die Klischees über ihn und seine Gemeinschaft sind für Gemeinderat Shanan | |
| eher ein Kompliment. „Es gibt keinen besseren Ort, um in dieser Region ein | |
| Druse zu sein“, sagt er. Trotz ihrer Weigerung, die Stadt zu verlassen, | |
| blieben er und seine Familie vorsichtig, betont er. Es gebe einen Punkt in | |
| Hurfeish, sagt Shanan, von dem aus man durch eine Lücke zwischen den | |
| Hügelkuppen den Libanon von ganz Nahem sehen könne. „Lass dich nicht von | |
| Nasrallah erblicken“, scherzt seine Ehefrau, bevor Shanan aus der Haustür | |
| tritt, um die Lücke zu zeigen. Hassan Nasrallah ist der Chef der Hisbollah. | |
| Ein wenig später geht es im Auto durch ein Neubaugebiet Richtung Norden, | |
| Richtung Grenze. „Solange gebaut wird, haben wir Hoffnung“, sagt Shanan. | |
| Auf dem Weg liegt das Gartengrundstück einer seiner Töchter, bepflanzt mit | |
| Obst- und Olivenbäumen. Lange sei die Familie nicht mehr dort gewesen. | |
| ## Immer wieder knallt es | |
| Die Straße wird schmaler, die Büsche am Rand beginnen sie zu überwachsen, | |
| die Zweige reichen in den Weg hinein. Shanan deutet auf eine Antenne auf | |
| dem Gipfel des nahen Bergs Meron: „Die versucht die Hisbollah immer wieder | |
| zu treffen“, sagt er. Eine Militärbasis liegt dort, die Luftaufklärung | |
| leistet. Viele ihrer Raketen gingen deshalb auf dem Hügel nieder. | |
| „Ab hier können sie uns aus ihren Stellungen sehen“, sagt Shanan in einer | |
| Kurve. „Ab jetzt solltest du schneller fahren.“ Die Route führt auf eine | |
| Anhöhe, an einen Wendepunkt. Eine Betonbarriere versperrt teilweise die | |
| Sicht, doch durch eine Lücke zwischen den hohen Blöcken öffnet sich der | |
| Blick zwischen zwei Hügelkuppen hindurch auf den Südlibanon. Auf der | |
| anderen Seite liegt ein idyllisch wirkendes Dorf zwischen bewaldeten | |
| Hügeln. | |
| Auch vom Schrein des drusischen Propheten Sabalan, der im Süden Hurfeishs | |
| auf einem Hügel über der Stadt thront, lässt sich ein Blick auf den Libanon | |
| werfen. Immer wieder hallt ein dumpfer Knall über das Tal. Sein | |
| vierjähriger Enkelsohn, sagt Shanan, könne schon sehr gut unterscheiden, | |
| auf welcher Seite der Grenze die Raketen einschlagen. „Er weiß: Wenn es in | |
| Israel ist, hört man die Sirenen.“ | |
| Israels Angriffe auf die Hisbollah im Libanon nehmen ebenfalls zu. Mitte | |
| Juni wurde bei einem Luftschlag Taleb Abdullah getötet, ein Kommandeur der | |
| schiitischen Miliz. Die schlug daraufhin mit einer Welle von Hunderten | |
| Raketen und Drohnen zurück, eine Eskalation schien nie näher. Die USA und | |
| die europäischen Staaten bemühen sich seither vermehrt, in Gesprächen | |
| sowohl auf israelischer als auch auf libanesischer Seite, einen | |
| ausgewachsenen Krieg zu verhindern. | |
| ## Den Gegner fest im Blick | |
| Doch im Hintergrund bereitet sich Israel – wie wohl auch die Hisbollah – | |
| auf eine Eskalation vor. Einige Militäranalysten in Israel glauben, im | |
| August oder September könnte es so weit sein. Nach Angaben der Times of | |
| Israel sollen die für den Einsatz im Libanon prädestinierten Einheiten der | |
| Armee ihr Training für eine Bodenoffensive beendet haben. Mindestens vier | |
| Brigaden sollen nach Angaben verschiedener Analysten derzeit an oder nahe | |
| der Grenze stationiert sein. Und doch sind die Vorbereitungen noch nicht | |
| abgeschlossen. | |
| Zu viele Soldaten, darunter viele Reservisten, sind noch in die Kämpfe in | |
| Gaza eingebunden. Viele sind sich einig: Für eine Bodenoffensive in den | |
| Libanon werden auch Truppen benötigt, die derzeit dort kämpfen. Um im | |
| Norden einer zweiten, personenintensiven Front standhalten zu können, | |
| müssten sie abgezogen werden. Dazu scheint das Militär in Gaza noch nicht | |
| bereit zu sein. | |
| Das letzte Mal standen israelische Truppen 2006 auf libanesischem Boden. | |
| Nach vier Wochen Krieg läutete die Resolution 1701 des Sicherheitsrats der | |
| Vereinten Nationen damals einen Waffenstillstand ein. Die Resolution sah | |
| vor, dass Israels Truppen sich aus dem Libanon zurückziehen. Außerdem | |
| sollte die Hisbollah ihre Waffen abgebe. Zwischen der Südgrenze zu Israel | |
| und dem horizontal verlaufenden Fluss Litani sollte eine Zone frei von | |
| bewaffneten Kräften etabliert werden. Wirklich umgesetzt wurde das nie. Das | |
| Waffenarsenal und die Stärke der Hisbollah wuchs, sie rückte bis auf | |
| Sichtnähe an die Grenze heran. | |
| ## Erfolg würden Gegner Israels weiter anstacheln | |
| An dem Teil der Grenze, an dem Hurfeish liegt, haben sich die beiden | |
| Konfliktparteien im Blick. Die Kibbuzim und Moschaws – landwirtschaftliche | |
| Güter – liegen dort teils direkt im Blick der Hisbollah. An den Einfahrten | |
| zu den Siedlungen blockieren große Felsbrocken den Weg, einmal sogar ein | |
| kleiner Checkpoint. Gelangweilt sitzen dort ein paar junge Soldaten. | |
| Einer von ihnen hat seine Militärjacke ausgezogen und sich in Tanktop und | |
| Camouflagehose auf einen Plastikstuhl gefläzt. Wer ihren Checkpoint | |
| passieren will, wird lässig durchgewunken. Am Horizont leuchtet die Kuppel | |
| der Moschee der südlibanesischen Stadt Ayta ash-Shab. Nach eigenen Angaben | |
| hat das israelische Militärs dort erst vor Kurzem eine Raketenabschusstelle | |
| der Hisbollah zerstört. | |
| „Wir müssen diesen Krieg gewinnen“, sagt Shakeb Shanan. Nicht nur, weil | |
| seine Nachbarn sonst nicht in ihre Dörfer und Kibbuzim zurückkehren | |
| könnten. Sondern auch, weil jeder militärische Erfolg die Gegner Israels in | |
| der Region noch anstachele. Israel müsse jetzt eine Entscheidung treffen, | |
| wie es der Hisbollah und ihren Verbündeten begegne, sagt er. „Sonst müssen | |
| wir alle hier bald lernen, bis nach Zypern zu schwimmen.“ | |
| 28 Jun 2024 | |
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| ## AUTOREN | |
| Lisa Schneider | |
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