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# taz.de -- Landwirtschaft in Syrien: „Der Krieg liegt noch immer unter der E…
> Nach dem Sturz des Assad-Regimes in Syrien kehrt so mancher Bauer auf
> sein Land zurück – doch dort liegen oft unexplodierte Sprengkörper und
> Minen. Der Sohn des Farmers Mazen al-Basch wird so schwer verletzt.
Bild: Freiwillige räumen Minen in Nordsyrien. Staatliche Strukturen dazu fehle…
Idlib taz | Nach sieben Jahren der Vertreibung ist Khaled al-Razouq in sein
Heimatdorf im Osten Idlibs zurückgekehrt – und damit auch auf das Feld, das
er dort einst bewirtschaftete. Doch statt sich zu freuen, kommen ihm die
Tränen.
Statt der grünen Felder, zu denen er geträumt hatte, zurückzukehren, blickt
er auf Trümmer: auf sein zerstörtes Haus und die Überreste verbrannter
Olivenbäume. Wenn es nur das wäre. „Das Land ist vermint, das Haus
zerstört, die Eigentumsurkunden sind verbrannt. Nichts beweist mein Recht
auf dieses Land“, sagt der 62-jährige Al-Razouq mit nassen Augen. Und
weigert sich doch aufzugeben: „Ich werde neu anfangen, und wenn ich nur
einen einzigen Baum pflanze“.
Khaled al-Razouqs Geschichte ist kein Einzelfall. Tausende syrische Bauern,
die in ihre nun befreiten Heimatgebiete zurückkehren, stehen vor
Herausforderungen: Da ist einmal die Gefahr durch Minen in den Feldern.
Aber auch der Verlust von Dokumenten, die den Landbesitz erst belegen.
Menschen wie al-Razouq waren oft viele Jahre lang vertrieben: Im Laufe des
ab 2011 wütenden Krieges in Syrien [1][wurden laut dem Flüchtlingswerk der
Vereinten Nationen (UNHCR) 14 Millionen Menschen zu Geflüchteten], über
sieben Millionen von ihnen innerhalb des eigenen Lands. Gerade in der
Region Idlib, aus der Al-Razouq stammt, flohen viele vor den Angriffen des
Militärs und Geheimdienstes von Diktator Baschar al-Assad.
## Syrien nach Assad
Seit Dezember 2024 ist das Assad-Regime Geschichte: Damals übernahm die
Miliz HTS in einer Blitzoffensive das Land. Im Anschluss [2][wurde ihr
Anführer Ahmed asch-Scharaa Übergangspräsident], die Miliz in die Armee
integriert. Regierungserfahrung hatte Asch-Scharaa bereits: Im Laufe des
syrischen Bürgerkriegs verlor die Assad-Regierung große Teile der an die
Türkei grenzenden westsyrischen Region Idlib an die dschihadistisch
ausgerichtete HTS.
Mit anderen Oppositionsgruppen etablierte sie ab 2017 in den dort von ihr
kontrollierten Gebieten das sogenannte Syrian Salvation Government (SSG).
Analysten nannten es das „Staatsaufbauprojekt Al-Scharaas“. Das SSG wurde
De-facto-Regierung, kümmerte sich etwa um Infrastruktur und stellte Gesetze
auf. Idlib wurde so vielen, die vor Assad und seinen Schergen flohen, ein
Zufluchtsort. Nun, da es das Assad-Regime nicht mehr gibt, kehren manche
aus Idlib zurück in ihre Heimatregionen.
So etwa Mazen al-Basch. Der 55-Jährige stammt aus dem nördlichen Umland der
Stadt Hama. Sie liegt zwischen Damaskus und Aleppo und war in der ganzen
Region bekannt für ihre antiken Wassermühlen.
Er ist Landwirt. Als er zum ersten Mal seit Jahren jüngst wieder sein Land
pflügte, explodierte ein Blindgänger – eine unter Erde begrabene Granate,
sagt er. Sie verletzte seinen Sohn schwer. „Wir flohen vor diesen Granaten,
und warteten Jahre, um zurückzukehren. Doch der Krieg liegt noch immer
unter der Erde“, sagt al-Basch.
## „Mehr als 500 Felder voll Panzerabwehrminen“
Nach Angaben des syrischen Zivilschutzes sind weite Teile Syriens durch
Minen und nicht explodierte Kampfmittel kontaminiert. Vor allem die
Provinzen Idlib, Hama, Aleppo und Deir ez-Zor seien betroffen: Über Jahre
hinweg waren sie schweren Kämpfen aus der Luft wie am Boden ausgesetzt.
Die Opposition gegen Assad und seine Regierung waren hier besonders stark,
die Kämpfe zwischen Rebellen, islamistischen Terrorgruppen und
Regierungsarmee besonders intensiv. Die ländlichen Gebiete um Idlib,
[3][Hama und Aleppo] sind gleichzeitig die wichtigsten Agrarregionen
Syriens.
Der Agraringenieur Alaa as-Said engagiert sich als Berater für eine
Wiederaufnahme der Landwirtschaft in Nord- und Zentralsyrien. Sie sei dort
„fast vollständig zum Erliegen gekommen“, sagt er. Bodenerosion, der
Zusammenbruch der Bewässerungssysteme und fehlende Lieferketten hätten zu
einem Rückgang der Produktion beigetragen.
Al-Said betont außerdem: Die Präsenz von Minen mache die Landwirtschaft zu
einem riskanten Unterfangen. „Allein in der Umgebung von Aleppo habe ich
mehr als 500 Felder mit Panzerabwehrminen entdeckt, von denen einige zwei
Meter tief vergraben sind und Spezialgeräte erfordern“, sagt er.
## Noch fehlt ein Mechanismus zur Minenräumung
„Minen unterscheiden nicht zwischen Zivilisten und Militärs, zwischen
Kindern und Bauern“, sagt Mohammed Sami al-Mohammed. Beim syrischen
Zivilschutz ist er Verantwortlicher für [4][nicht explodierte Kampfmittel].
Al-Mohammed warnt: Verstreut liegende Munition sei auch nach Jahren noch
scharf und könne explodieren.
Trotz der Bemühungen von Zivilschutzteams und lokalen Freiwilligen steht
die Minenräumung nach wie vor vor enormen technischen und logistischen
Herausforderungen: „Derzeit gibt es weder einen umfassenden nationalen
Mechanismus, noch eine wirksame Koordinierung zwischen den Akteuren in
diesem Bereich. Das bräuchte es aber, um eine umfassende Untersuchung der
kontaminierten Gebiete durchzuführen“, sagt Al-Mohammed.
Außerdem reichten die verfügbaren Ressourcen nicht aus: „Die
[5][Minenräumung] ist kein einfacher Vorgang. Sondern erfordert
Spezialausrüstung, viel Erfahrung und eine langfristige Planung sowie ein
sicheres Arbeitsumfeld“. In vielen Gebieten sei das nicht gegeben. Laut
Al-Mohammed könne die vollständige Beseitigung dieser Gefahr – selbst bei
Verfügbarkeit der erforderlichen Ressourcen – zwischen 10 und 20 Jahren
andauern.
Er betont: Die nicht explodierten Sprengkörper seien für die Zukunft der
Landwirtschaft in Syrien ein enormes Problem. Bauern pflügten ihr Land,
ohne zu wissen, was darunter liege. Und riskierten damit nicht nur ihre
Ernte, sondern auch ihr Leben und das ihrer Familien.
## „Die Anerkennung der Katastrophe“
Dass die Räumungen kaum vorangingen, schränke die Bauern dabei ein, die
aktuelle Anbausaison zu nutzen. Dabei bräuchte Syrien dringend eine
funktionierende Landwirtschaft: Um rasch die Ernährungssicherheit zu
verbessern und weniger abhängig von durch den Währungsverfall teuren
Importen zu sein. Auch Landflucht in die Ballungsräume, deren Infrastruktur
schon jetzt den Menschen nicht gerecht wird, könnte so verhindert oder
verlangsamt werden.
Die Lösung, so Al-Mohammed, sei zunächst „die Anerkennung der Katastrophe“
– und dann die Arbeit an einer „gemeinsamen nationalen und internationalen
Strategie“. Der syrische Zivilschutz wolle derweil seine
Aufklärungskampagnen zu den nicht explodierten Sprengkörpern ausweiten. Er
betont: „Die Minenräumung ist kein Luxus, sondern eine existenzielle
Notwendigkeit“.
Und dann haben manche Bauern – so wie Khaled Al-Razouq – noch ein zweites
großes Problem: Eigentlich besitzen sie Grund. Doch die Urkunden fehlen.
Sie sind etwa bei Bombardierungen zerstört worden, oder bei der Flucht
verloren gegangen. Und im Laufe des Krieges enteignete die Regierung von
[6][Diktator Baschar al-Assad] gezielt das Vermögen politischer Gegner oder
Sympathisanten der syrischen Revolution.
Die Behörden von Ex-Diktator Al-Assad stellten teils – in Abwesenheit der
eigentlichen Besitzer – neue Eigentumsurkunden aus. So sind
landwirtschaftliche Flächen zu einer rechtlichen Grauzone geworden: Manch
alter Besitzer kann seine Rechte kaum nachweisen. Und nicht alle neuen
Besitzer wussten darum.
Das Prinzip funktioniert auch andersherum: Etwa in Idlib, wo das Syrian
Salvation Government herrschte, treffen Rückkehrer nun auf neue Bewohner in
den Wohnungen und auf dem Land, das ihnen einmal gehörte.
Der auf Eigentumsfragen spezialisierte Anwalt Abdul Rahman al-Mahmoud
fordert: Die Regierung müsse eine unabhängige nationale Behörde zur
Wiederherstellung der Eigentumsrechte einrichten. Diese müsse sich auf
mündliche und gemeinschaftliche Beweise stützen und so die
Dokumentenkonflikte, die durch die vielen während des Konflikts
herrschenden Kräfte entstanden, klären. Al-Mahmoud warnt vor einem
„fruchtbaren Boden für illegale Aneignungen“.
„Ich habe den ersten Baum gepflanzt, den Rest überlasse ich Gott“, sagt
Khaled al-Razouq, während er Steine aus den Überresten seines Olivenhains
räumt. Zwischen Minen und Trümmern sprießen da die Pflanzen.
Die Autorin Huda Al-Kulaib ist [7][Teilnehmerin des Syrien-Workshops] der
[8][taz-Panter-Stiftung], Journalistin und Mutter von fünf Kindern. Sie
lebt in einem Geflüchtetencamp nördlich der Stadt Idlib. Ihr Haus in ihrer
Heimat, dem Dorf Kafranbel im Süden von Idlib, ist völlig zerstört.
31 Jul 2025
## LINKS
[1] /Ein-Syrischer-Arzt-kehrt-zurueck/!6087230
[2] /USA-heben-Sanktionen-gegen-Damaskus-auf/!6094605
[3] /Eroberung-von-Aleppo/!6049873
[4] /Minenraeumung/!6070612
[5] /Minen/!t5608443
[6] /Kurdische-Gebiete-in-Syrien/!6084115
[7] /Journalistinnen-aus-Syrien/!vn6089214/
[8] /taz-panter-stiftung/!v=e4eb8635-98d1-4a5d-b035-a82efb835967/
## AUTOREN
Huda Al-Kulaib
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