| # taz.de -- Rechte Politik in Mecklenburg-Vorpommern: Ich will mein Zuhause nic… | |
| > Über die Hälfte in meinem Dorf hat im Februar AfD gewählt. Was tun? Wir | |
| > müssen im Gespräch bleiben, auch wenn das manchmal schwer auszuhalten | |
| > ist. | |
| Bild: Wie vielen AfD-Wählern begegnet man bei einem Spaziergang Mecklenburg-Vo… | |
| Jetzt hört man wieder ihr Trompeten; die Kraniche sind aus dem Süden | |
| zurück. Sie gehören hier hin, sie sind ein Teil der Natur, die noch – von | |
| der auch recht intensiv betriebenen Landwirtschaft einmal abgesehen – | |
| weitgehend unberührt ist. Solange die Kraniche tanzen, sagt man hier, ist | |
| die Welt noch in Ordnung. | |
| Aber ist sie das? | |
| Das [1][Dorf in Mecklenburg-Vorpommern], in dem ich seit mehr als 20 | |
| Jahren, aus dem Rheinland kommend, lebe, hat gerade einmal 300 Einwohner, | |
| verteilt auf vier Gemeinden. In meinem Ortsteil, gelegen südlich der | |
| schönen [2][Hansestadt Stralsund], wohnen nur 80 Menschen. | |
| Ich lebe gern hier, ich mag den Menschenschlag, ihre verbindliche | |
| Zurückhaltung und unprätentiöse Hilfsbereitschaft, und ich mag die | |
| Landschaft mit dem nur fünf Kilometer entfernten See, der vor einigen | |
| Jahren künstlich angelegt wurde. Ich spaziere gern mit meinem Hund bis zum | |
| nahe gelegenen Wald, der Rehen, Hirschen, Marderhunden und vielen anderen | |
| Tieren ein Habitat ist, in dem sogar vier verschiedene Adlergattungen vom | |
| Fischadler bis zum Schreiadler heimisch sind. | |
| Doch was die Menschen betrifft, ist da inzwischen ein Unbehagen. Bei der | |
| [3][Bundestagswahl im Februar] wurde die AfD in meinem Dorf mit weitem | |
| Abstand stärkste Partei, sie erzielte ein Ergebnis von knapp über 50 | |
| Prozent, weit vor der CDU mit nicht einmal 15 Prozent. Diese Statistik tut | |
| weh. Rund jeder Zweite, sage ich mir manchmal, wenn ich Nachbarn und | |
| Dorfbewohnern begegne, hat diese Partei gewählt. | |
| Fast jeden Morgen beim Spaziergang mit dem Hund treffe ich einen älteren | |
| Mann, ebenfalls mit Hund. An der Hauptstraße verabschieden wir uns und | |
| wünschen einander einen Guten Tag. Vorher aber sagt er, ein ruhiger | |
| pensionierter Bahnbeschäftigter, an meinen Hund gerichtet: „Na Lenny, | |
| wollen wir mal gucken“, dann kramt er in seiner alten Bundesbahnkluft und | |
| findet, der Hund weiß es genauso sicher wie ich, ein Leckerchen für meinen | |
| Kerl. Wo er sein Kreuz gemacht hat?, frage ich mich und wünsche mir dann | |
| manchmal die bedingungslose Vorurteilslosigkeit meines vierbeinigen | |
| Freundes. | |
| Es sind oft die kleinen Gesten, die mir die Gegend so angenehm machen. | |
| Einmal verdrehe ich mir beim Toben mit dem Hund das Knie, was der Landwirt | |
| auf seinem Trecker ganz in der Nähe beobachtet. Seine Frau ist Apothekerin. | |
| Ich humpele nach Hause, eine Stunde später klopft es an der Tür und die | |
| zauberhafte, sechs Jahre alte Tochter der beiden steht vor mir mit einer | |
| Tube Mobilat. „Gute Besserung, auch von meiner Mama“, sagt sie, und ich bin | |
| gerührt. | |
| Ich will den Menschen nicht misstrauisch begegnen. Und doch wählen so viele | |
| hier eine Partei, deren Ehrenvorsitzender die Zeit des Nationalsozialismus | |
| einen [4][„Vogelschiss“ in der deutschen Geschichte] nannte. Die im | |
| Wahlkampf [5][Remigration] forderte. Das widerspricht grundlegend meinen | |
| Überzeugungen. | |
| Bleiben oder gehen?, fragen sich jetzt viele Linke und Linksliberale in | |
| Ostdeutschland, verständlicherweise vor allem auch viele Migranten, | |
| Schwule, Lesben und Vertreter anderer Minderheiten. | |
| Für mich ist klar: Ich bleibe. Ich möchte mein Zuhause nicht wegen der AfD | |
| aufgeben. Ich will, dass sie politisch und auch für mich persönlich wieder | |
| bedeutungsloser wird. Gegen Feindbilder hilft bekanntlich am besten die | |
| Begegnung mit dem vermeintlichen Feind. Das gilt für AfD-Wähler hier | |
| genauso wie für mich selbst. Ich will meine Nachbarn nicht dämonisieren. | |
| Statt weiter zu polarisieren, müssen wir miteinander im Gespräch bleiben. | |
| Über die Hunde und, wenn es sich ergibt, über Politik, auch wenn das | |
| manchmal schwer auszuhalten ist. | |
| Bis zur wunderbaren Ostsee sind es von hier nur etwa 25 Kilometer. Nah | |
| genug, um sich abzukühlen, wenn es mal nötig ist. | |
| 5 Apr 2025 | |
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| ## AUTOREN | |
| Paul Frommeyer | |
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