# taz.de -- Zukunft der deutschen Außenpolitik: Merz, Macron und die Sache mit… | |
> Europa wartet auf den neuen Bundeskanzler, der Außenpolitik zur Chefsache | |
> erklären will. Kann Friedrich Merz das? | |
Bild: Kurz nach der Bundestagswahl war Friedrich Merz im Élysée-Palast zu Bes… | |
Berlin taz | Am Dienstag hatte Friedrich Merz etwas zu feiern. [1][Das | |
riesige Schuldenpaket für Verteidigung und Infrastruktur], das seiner | |
künftigen Bundesregierung viel mehr Spielraum gibt als der alten, hat den | |
Bundestag passiert. Spät am Abend postet Merz ein Foto: Es zeigt ihn, ein | |
Glas in der Hand, im Gespräch mit Emmanuel Macron, im Hintergrund ist ein | |
Tisch zum Dinner gedeckt. Merz feiert seinen Erfolg mit dem französischen | |
Präsidenten. | |
Gemeinsam mit ihm hat er Großes vor. „Ich bin fest entschlossen, die | |
verbleibenden zwei Jahre der Amtszeit von Präsident Macron zu nutzen, um | |
gemeinsam mit ihm die Vision eines souveränen Europas zu verwirklichen“, | |
sagte Merz bereits in einer außenpolitischen Grundsatzrede Ende Januar. | |
[2][US-Präsident Donald Trump] war da gerade drei Tage wieder im Amt. Noch | |
2017 war Macrons Appell für ein „Europa, das uns schützt“, verpufft, auch | |
weil er in Berlin keinerlei Widerhall fand. | |
Große Worte, die Macron so liebt, scheute auch Merz an jenem | |
Donnerstagmittag nicht. Der Christdemokrat war auf Einladung der | |
Körber-Stiftung in den historischen Ballsaal des Hotel de Rome in | |
Berlin-Mitte gekommen, um die Außenpolitik zu erläutern, die er als Kanzler | |
umsetzen will. Unter riesigen Kronleuchtern beschrieb er die Rolle, die | |
Deutschland aus seiner Sicht künftig übernehmen soll: „Wir müssen von einer | |
schlafenden Mittelmacht zu einer führenden Mittelmacht werden.“ | |
Die Welt erlebe mehr als eine „Zeitenwende“, wie es Noch-Kanzler Olaf | |
Scholz nannte. Merz spricht von einem „Epochenbruch“. Er zeichnet einen | |
Systemkonflikt: auf der einen Seite die Achse der Autoritären mit Russland | |
und China an der Spitze, auf der anderen liberale Demokratien und die | |
regelbasierte Ordnung, die es zu verteidigen gilt. Dazu gehört für ihn | |
auch: „Die Ukraine muss den Krieg gewinnen.“ Eine Aussage, vor der Scholz | |
stets zurückschreckte. | |
## Alte Gewissheiten lösen sich auf | |
Und eine, die schlecht altern könnte. Nach einem ukrainischen Sieg sieht es | |
im Moment nicht aus. Überhaupt geht es für Merz in einem Moment auf die | |
Weltbühne, [3][in dem sich seine alten Gewissheiten auflösen]. Er ist | |
eigentlich Transatlantiker, das Verhältnis zu den USA hat ihn geprägt. Er | |
hat für den US-Finanzriesen Blackrock gearbeitet und war zehn Jahre lang | |
Vorsitzender der Atlantikbrücke. Als er im Januar im Hotel de Rome spricht, | |
hat er noch Hoffnung, dass man mit Trump irgendwie klarkommen kann – und | |
sich dieser an die Zusagen der USA hält, auch für die Ukraine. | |
Das ändert sich im Februar nach der Münchener Sicherheitskonferenz und der | |
Demütigung des ukrainischen Präsidenten im Weißen Haus. „Das gesamte | |
Koordinatensystem, in dem sich unsere Politik bewegt, wird gerade neu | |
geschrieben“, sagte er danach der FAZ. Jetzt also bleibt Europa. „Am ersten | |
Tag meiner Amtszeit als Bundeskanzler werde ich nach Warschau und Paris | |
reisen, um mit Ministerpräsident Donald Tusk und Präsident Emmanuel Macron | |
konkrete gemeinsame Initiativen zu vereinbaren“, das hatte er bereits in | |
seiner Rede im Januar angekündigt. Aber hat er für den großen Wurf wirklich | |
das Zeug? | |
„Am ersten Tag meiner Amtszeit werde ich …“ – so vollmundig hatte Merz … | |
der Wahl auch [4][seinen Fünfpunkteplan zur Migration] kundgetan, von denen | |
er einige umgehend wieder abgeräumt hat. Innenpolitisch ist er mit großen | |
Worten bereits mehrfach gescheitert. Ob sie komplexen außenpolitischen | |
Lagen gerecht werden, darf man bezweifeln. Und das nötige | |
Verhandlungsgeschick, um wirklich etwas zu erreichen, muss Merz auch erst | |
noch unter Beweis stellen. | |
Wie schnell man mit großen Gesten scheitern kann, zeigt sich schon im | |
Kleinen. Seinen Minister*innen – auch das kündigte er vor der Wahl | |
schneidig an – will er regelmäßige Anwesenheit in Brüssel verordnen. Er | |
selbst schaffte das diese Woche schon einmal nicht. Eigentlich wollte er am | |
Vortreffen der Konservativen vor dem EU-Gipfel teilnehmen, dann blieb Merz | |
aber doch in Berlin. Zu viel zu tun. | |
## Zack zack neue nationale Sicherheitsstrategie? | |
Auch in anderen Fragen wird Merz in den nächsten Monaten lernen müssen, | |
dass sich die Wirklichkeit schwierig gestaltet. Die internationalen Partner | |
müssten wissen, woran sie mit Deutschland sind, sagte er in seiner | |
Ballsaalrede. Schluss mit dem öffentlichen Streit der Regierung. Die | |
Außenpolitik werde intern ausdiskutiert und dann gemeinsam vertreten: „Die | |
Unklarheit in unseren Positionen wird sich unter meiner Führung nicht | |
wiederholen.“ | |
Gegen das Ziel kann keiner etwas sagen, aber wie sieht Merz’ Weg dahin aus? | |
Per Kanzlerdekret lässt sich in einer Konsensmaschine, die eine | |
schwarz-rote Koalition in der Bundesrepublik nun mal ist, keine Linie | |
verordnen. | |
Eine neue [5][nationale Sicherheitsstrategie] soll helfen. In der alten, | |
von der Ampel geschrieben, stünden zwar allerlei schöne Ziele. Merz möchte | |
aber eine neue haben, die Prioritäten benennt und der Regierung | |
Handlungsanweisungen gibt. Und das bitte zügig: „Im ersten Jahr einer | |
unionsgeführten Bundesregierung“ möchte er die neue Strategie vorlegen. | |
Vielleicht sollte er noch mal bei der Ampel nachfragen. Sie wollte mit | |
ihrer Strategie auch binnen eines Jahres fertig werden, hat den Termin aber | |
deutlich gerissen. | |
An so einem Papier ist die halbe Regierung beteiligt, jedes Haus mit seinen | |
eigenen Sichtweisen und Interessen. Man kann sich natürlich beeilen und in | |
ein paar Monaten ein paar Allgemeinplätze zusammenschreiben. Möchte man die | |
grundsätzlichen Konflikte klären und tatsächlich eine Bedienungsanleitung | |
für die eigene Außenpolitik bekommen, funktioniert es nicht zack, zack. | |
Und so geht es weiter. Ein nationaler Sicherheitsrat soll zu schnelleren | |
Entscheidungen führen. So ein ressortübergreifendes Gremium, angesiedelt im | |
Kanzleramt, wünscht sich die Union schon lange. Innerhalb der | |
Bundesregierung würde sich damit aber die Macht verschieben. Das Auswärtige | |
Amt, möglicherweise in der Hand des Koalitionspartners, würde weiter an | |
Einfluss verlieren. Kann man schaffen, aber nicht ohne Widerstände und | |
nicht im Vorbeigehen. Auf keinen Fall in dem Tempo, das Merz verspricht: | |
Seine ultraschnelle neue Sicherheitsstrategie soll schon unter Federführung | |
des neuen Gremiums entstehen. | |
## Merz sieht sich in der Tradition von Helmut Kohl | |
Eine Ebene höher, in der Europapolitik, könnte ihm immerhin seine Biografie | |
zugutekommen. Am Anfang seiner politischen Karriere saß er im EU-Parlament. | |
Er sieht sich in der Tradition von Helmut Kohl und dessen Maxime, auch die | |
kleinen Mitgliedstaaten ernst zu nehmen. Das Fingerspitzengefühl, das er in | |
Berlin bislang nicht zeigt, hat er sich für Europa immerhin vorgenommen. Er | |
wird es brauchen, um so große Ziele durchzusetzen wie eine einheitliche | |
europäische Rüstungsbeschaffung – die sich vor ihm schon viele vorgenommen | |
haben, die aber noch immer an nationalen Interessen scheiterte. | |
Was in der EU gilt, gilt global erst recht. Ob die Union die | |
Entwicklungspolitik zusammenstreichen wird wie derzeit andere rechte und | |
konservative Regierungen, ist noch nicht gesagt. Zumindest will Merz sie | |
aber streng an Bedingungen knüpfen: Wer keine Abschiebeflüge aus | |
Deutschland ins Land lässt, bekommt kein Geld mehr, sagte er im Ballsaal. | |
Wer „die Ziele Deutschlands und der EU nicht teilt“, erhalte auch nichts, | |
heißt es im CDU-Grundsatzprogramm. | |
Fresst oder sterbt: Das könnte nach hinten losgehen, wenn sich | |
Empfängerstaaten nach anderen Gebern umschauen, die im Zweifel weniger | |
Bedingungen für ihre Entwicklungsgelder stellen. Zurückgedrängt wäre der | |
Einfluss der Autokraten dann nicht. | |
Wenn er internationale Allianzen schmieden will, muss Merz schließlich noch | |
seine Unbedingtheit in einer weiteren Frage überdenken: dem Nahostkonflikt. | |
Noch am Abend der Bundestagswahl telefonierte Merz mit Benjamin Netanjahu, | |
dem israelischen Ministerpräsidenten. [6][Er habe Netanjahu nach Berlin | |
eingeladen], verkündete er am darauffolgenden Tag – trotz des geltenden | |
Haftbefehls des Internationalen Strafgerichtshof. Das „faktische | |
Exportembargo der amtierenden Bundesregierung“ will Merz auch „umgehend | |
beenden“. Am ersten Tag seiner Amtszeit noch mehr Waffen für Israel? | |
Schon die Ampel, die sich mit einem Mittelweg um den Krieg in Gaza herum | |
lavieren wollte, hatte ein Glaubwürdigkeitsproblem: In der Ukraine hält sie | |
Völkerrecht und Menschenrechte hoch, gegenüber Israel sieht sie es aber | |
nicht so eng? Schlägt sich Merz jetzt auf Netanjahus Seite, wird es noch | |
schwieriger werden mit Allianzen gegen Russland, China und Co. | |
Immerhin kann Merz noch zurückrudern, wenn er erst mal Kanzler ist. | |
Erfahrung darin hat er ja. | |
22 Mar 2025 | |
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## AUTOREN | |
Sabine am Orde | |
Tobias Schulze | |
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