# taz.de -- Nach dem Eklat im Oval Office: Europa, wohin? | |
> Die internationale Ordnung fällt gerade in Trümmer. Das Problem: Europa | |
> ist kein einheitlicher Akteur, sondern ein höchst widersprüchliches | |
> Gebilde. | |
Bild: Europa kann sich nur noch auf sich selbst verlassen – der Moment im Wei… | |
Das Bündnis von Europa und den USA als demokratische, kapitalistische | |
Formation, in der USA die Sicherheit Europas garantierte und global als | |
mitunter neoimperialer Weltpolizist auftrat, geht zu Ende. Die Nato spielt | |
für Trump in der neuen Raubtierwelt keine besondere Rolle mehr. Die Nato | |
wirkt wie eine Fassade, die stehen geblieben ist. | |
Die neue postwestliche Weltordnung entsteht in eruptiven Schüben. Das | |
Trump-Regime sendet Schockwellen, die die politische Klasse in Europa | |
fassungslos überwältigt. Das Tempo des Umsturzes ist schneller als die | |
Fähigkeit, eingravierte Denkmuster auf den Müll zu befördern. Was | |
selbstverständlich war, verschwindet. Die Zeit rast. JD Vance’ Diffamierung | |
der europäischen Demokratien in München war ein Symbol der neuen | |
US-Politik, [1][die Demütigung von Ukraines Präsident Selenskyj im Oval | |
Office ist das nächste]. | |
Diese Botschaften bedürfen keiner raffinierten Ausdeutung: Die USA | |
überlassen die Ukraine Putin. Sie verweigern der Ukraine | |
Sicherheitsgarantien. Deswegen verdrehen Trump & Vance rüde die Rolle von | |
Täter und Opfer und inszenieren Selenskyj als Putin: als den Diktator, der | |
den Krieg nicht beenden will und mit dem Atomkrieg spielt. | |
Die europäischen Politiker überschlagen sich mit Solidaritätsadressen an | |
Kiew. Das ist nötig, um der Ukraine angesichts finsterer Demütigung den | |
Rücken zu stärken. Aber es ist keine Antwort. Die Lage der Ukraine ist | |
schon mit der 180 Milliarden-Dollar-Hilfe und Hightech-Waffen aus den USA | |
prekär. Die Ukraine hat massive Probleme, genug Soldaten zu rekrutieren. | |
Die EU steht nun vor mehrfachen Dilemmata – und unter Zeitdruck. Moralisch | |
ist es geboten, der Ukraine jetzt Milliardenhilfen zukommen zu lassen. Die | |
EU darf Trump bei der kalten Opferung der Ukraine nicht folgen. Aber was | |
ist die Strategie? Die Formel, die Ukraine müsse aus einer Position der | |
Stärke verhandeln können, wirkt wie eine Beschwörungsformel, die einen | |
bösen Verdacht verdrängen muss. Läuft die EU Gefahr, sich in der Rolle als | |
Ersatz-USA zu überfordern? Auf jeden Fall gilt es bei der Unterstützung der | |
Ukraine eine Grenze zu markieren: dass Europa in einen Krieg mit Russland | |
ohne Schutzschirm der USA verwickelt wird, ist das finsterste aller | |
Szenarien. | |
[2][Europa muss vielleicht schneller als gedacht 80.000 US-Soldaten | |
ersetzen,] die abgezogen werden könnten. Um weiter eine glaubhafte | |
konventionelle Abschreckung zu garantieren, sind [3][laut Schätzungen des | |
Kieler Instituts für Weltwirtschaft dreistellige Milliardenbeträge nötig]. | |
Diese Ressourcen zu mobilisieren, wird kompliziert. Polen und Portugal, | |
Litauen und Luxemburg teilen nicht die gleichen Ängste und Interessen. | |
Gleichzeitig muss sich Europa aus der engmaschigen Sicherheitsabhängigkeit | |
von den USA lösen. Das ist ein komplexer Prozess, der von Geheimdiensten | |
bis zur digitalen Sicherheit reicht. „Aufrüstung“ meint nicht nur, ein paar | |
tausend Panzer zu bauen. Es geht um das strategische Ziel, Europa von den | |
USA abzukoppeln. Das wird teuer. Wer zahlt? | |
Der Trumpismus fusioniert extremen Neoliberalismus mit amerikanischem | |
Isolationismus und der Monroe-Doktrin. Die internationale Ordnung, die, wie | |
unfertig auch immer, auf dem Recht beruhen sollte, fällt dabei in Trümmer – | |
zugunsten einer Geopolitik, die an das späte 19. Jahrhundert, die Ära des | |
Imperialismus, erinnert. Derzeit entsteht eine Neuaufteilung der Welt, in | |
der USA, China und Russland als regionale Ordnungsmächte mit Einflusszonen | |
gedacht werden, die sich gegenseitig nicht ins Gehege kommen sollen. Es ist | |
besser, das nüchtern zu analysieren, als nach jeder Provokation von Trump | |
moralisch empört aus allen Wolken zu fallen. | |
In größerem Rahmen betrachtet stellt sich die Frage, welche Rolle Europa in | |
der neuen Weltordnung spielt. Wird die EU ein globaler Player bleiben, der | |
die Reste der Vertragsordnung zu schützen versucht? Oder wird sie selbst | |
Objekt imperialer Interessen? Putins Drohungen Richtung Georgien und dem | |
Baltikum, Trumps Drohung an Dänemark wegen Grönland sind Vorzeichen dieses | |
Szenarios. | |
## Förderprogramm für den Rechtspopulismus? | |
Hinter der Abwägung zwischen Moral und Realpolitik bei der Unterstützung | |
der Ukraine steht die eine schwierige Frage. Ist es wichtiger, die EU oder | |
die Ukraine zu schützen? In der offiziellen Rhetorik sind diese Ziele | |
deckungsgleich: Die Ukraine verteidigt demnach unsere Freiheit. Aber es ist | |
doppelbödiger, zwiespältiger. Europa ist kein einheitlicher Akteur, sondern | |
ein feingliedriges, widersprüchliches Gebilde. Die Homogenisierung der EU | |
hat Grenzen. Zudem ist die EU in fragiler Verfassung. Der Rechtspopulismus | |
ist auf dem Vormarsch. | |
Bis jetzt ist es gelungen, die Fliehkräfte des Neonationalismus in den | |
soliden, strapazierfähigen EU-Strukturen einzuhegen. Dass Salvini und | |
Meloni ihre antieuropäische Rhetorik einstellten, als sie an der Macht | |
waren, zeigte diesen Mechanismus. Die EU ist stabil über gegenseitige | |
Interessen miteinander vertäut. Aber auch das ist kein Gesetz für die | |
Ewigkeit. Falls die Aufrüstung der EU zu Lasten des Sozialstaates geht, ist | |
das ein Förderprogramm für den Rechtspopulismus. | |
Die Zerstörung der EU ist das gemeinsame Ziel von Putin und Trump. Den | |
Tech-Oligarchen sind EU-Regeln für Social Media ein Dorn im Auge. Ein | |
zersplittertes Europa ist einfacher zu kontrollieren und zu manipulieren. | |
Hinter dem möglichen Zusammenbruch der Ukraine schimmert somit ein | |
abgründiges Szenario – die Implosion der EU. Naivität gegenüber dem | |
russischen Imperialismus ist ebenso schädlich wie moralgetriebene | |
Überforderungen der EU. | |
Die Bundesrepublik ist ökonomisch, politisch und mental enger mit den USA | |
vernetzt als alle anderen EU-Staaten. Wir steuern vielleicht auf die | |
tiefste Krise seit 1949 zu. Der Kanzler in spe, Friedrich Merz, verteidigt | |
lieber die Schuldenbremse als Europa. Noch eine Sorge mehr. | |
2 Mar 2025 | |
## LINKS | |
[1] /Nach-dem-Eklat-im-Weissen-Haus/!6072974 | |
[2] https://de.euronews.com/my-europe/2025/02/28/so-viele-soldaten-und-investit… | |
[3] https://www.ifw-kiel.de/de/publikationen/europa-ohne-die-usa-verteidigen-ei… | |
## AUTOREN | |
Stefan Reinecke | |
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