# taz.de -- Polen und die Vereinigten Staaten: Im Ernstfall ohne die USA | |
> Polen rüstet derzeit massiv auf. Sollten die USA die Kapitulation der | |
> Ukraine forcieren, wird sich das Land nach anderen Sicherheitspartnern | |
> umsehen. | |
Bild: US-amerikanische F-16-Kampfjets bei der jährlichen Militärparade zu Ehr… | |
Warschau taz | Die Schockstarre will nicht weichen. Zum ersten Mal seit | |
ihrem Nato-Beitritt 1999 fürchten viele Polen, bei einem russischen Angriff | |
allein dazustehen. [1][Denn auf die Schutzmacht USA scheint unter Präsident | |
Donald Trump kein Verlass mehr zu sein]. Und: Die anderen Nato-Staaten | |
würden das Land an der Weichsel wohl genauso halbherzig wie jetzt die | |
Ukraine verteidigen. So die Vermutung. | |
Polen, das 1989 als erstes Land im früheren Ostblock seine Freiheit und | |
Souveränität wiedererlangt hatte, richtete seine ganze Sicherheits- und | |
Rüstungspolitik auf die USA aus. Denn die Erfahrungen, die Polen in seiner | |
Geschichte mit den europäischen Staaten gemacht hatte, waren einfach zu | |
schlecht. Immer wieder wurde das Land kriegerisch überfallen. Ende des 18. | |
Jahrhunderts sogar vom Zarenreich, Preußen und dem Habsburgerreich drei Mal | |
aufgeteilt, bis Polen vollständig von der Landkarte Europas verschwunden | |
war. | |
Erst 123 Jahre später erlangte die Republik Polen ihre Souveränität zurück | |
– auch dank der Fürsprache vieler Amerikaner. Die USA waren auch der erste | |
Staat, der das unabhängige Polen 1919 offiziell anerkannte. | |
Im September 1939 wiederum, als die alten Teilungsmächte, das Deutsche | |
Reich und die Sowjetunion, den polnischen Nachbarn erneut überfielen, | |
erwarteten die Polen, dass die Garantiemächte Großbritannien und Frankreich | |
Hitlerdeutschland den Krieg erklären und Polen dann militärisch verteidigen | |
würden. Doch die europäischen Westalliierten waren auf den Zweiten | |
Weltkrieg gar nicht vorbereitet und ließen Polen im Stich. | |
## Großes Entsetzen über Demütigung Selenskyjs | |
1945 wiederum, als die Siegermächte USA, UdSSR und Großbritannien auf den | |
Konferenzen von Jalta und Potsdam über die künftige Weltordnung | |
verhandelten, durfte Stalin seine Kriegsbeute aus dem Hitler-Stalin-Pakt | |
behalten, während Polen, dessen Soldaten in allen Armeen gegen | |
Hitlerdeutschland mitgekämpft hatte, nicht einmal eingeladen wurde. | |
Den Frieden musste Polen 1945 teuer bezahlen: rund die Hälfte seines | |
Territoriums fiel an die Sowjetunion. Statt der erhofften Freiheit gab es | |
Repressionen, Zensur, sozialistische Planwirtschaft und eine nicht | |
abwählbare Einparteienherrschaft von moskauhörigen Kommunisten. | |
Das nach Westen verschobene Land – Polen erhielt zum Ausgleich für seine | |
Verluste die deutschen Ostgebiete – musste Gründungsmitglied des Warschauer | |
Paktes werden und verschwand für fast 50 Jahre hinter dem Eisernen Vorhang. | |
Für viele Polen endete der Zweite Weltkrieg erst 1989 mit den ersten noch | |
halbdemokratischen Wahlen oder erst 1993, als die letzten russischen | |
Soldaten aus Polen abzogen. | |
Daher überrascht es wenig, dass die meisten Polen mit großem Entsetzen | |
reagierten auf die live übertragene [2][Demütigung des ukrainischen | |
Präsidenten Wolodymyr Selenskyj durch Donald Trump und seinen Vize J. D. | |
Vance] im Weißen Haus. Ausdruck gab diesem Gefühl Lech Wałęsa, legendärer | |
Anführer der polnischen Freiheits- und Gewerkschaftsbewegung Solidarność in | |
den 1980er Jahren, Friedensnobelpreisträger und später auch Präsident | |
Polens, in einem offenen Brief an Trump: „Wir haben die Übertragung Ihres | |
Gesprächs mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj mit | |
Entsetzen und Abscheu verfolgt.“ | |
## Protestschreiben von polnischen Intellektuellen | |
Trumps Forderung an Selenskyj nach mehr Dankbarkeit für die bisher | |
geleistete amerikanische Hilfe empfinde er als „beleidigend“. Dank gebühre | |
vielmehr „den heldenhaften ukrainischen Soldaten, die zur Verteidigung der | |
Werte der freien Welt ihr Blut vergossen haben“, so Wałęsa. „Sie sind | |
diejenigen, die seit über elf Jahren im Namen dieser Werte und der | |
Unabhängigkeit ihres von Putins Russland angegriffenen Heimatlandes an der | |
Front sterben.“ | |
Wałęsa gelang es, zahlreiche ehemalige Dissidenten und politische Häftlinge | |
um sich zu scharen, die den Protestbrief an Trump mit unterschrieben. | |
Darunter auch Adam Michnik, der langjährige Chefredakteur der | |
linksliberalen Gazeta Wyborcza. „Entsetzt sind wir auch darüber, dass die | |
Atmosphäre im Oval Office während dieses Gesprächs an diejenige erinnerte, | |
die wir noch gut aus der Zeit der Verhöre durch den Geheimdienst und aus | |
den Gerichtssälen kommunistischer Gerichte kennen“, schreiben sie und | |
erinnern daran, dass ihnen auch „Staatsanwälte und Richter im Auftrag der | |
allmächtigen kommunistischen politischen Polizei erklärten, dass sie alle | |
Trümpfe in der Hand hielten und wir keine“. | |
Obwohl die Ukraine das Opfer der Aggression Putins geworden war, [3][warf | |
Trump Selenskyj vor laufenden Kameras vor, „keine guten Karten in der Hand“ | |
zu halten und „mit dem Dritten Weltkrieg zu spielen“.] Polens | |
Intellektuelle und Ex-Dissidenten, von denen viele als moralische | |
Autoritäten gelten, schreiben: „Wir sind schockiert, dass Sie Präsident | |
Wolodymyr Selenskyj so behandelt haben.“ Sie belassen es aber nicht nur bei | |
den harten Vorwürfen gegen Trump und Vance. Vielmehr appellieren sie an die | |
Vereinigten Staaten und Großbritannien, die im Budapester Memorandum von | |
1994 gegebenen Sicherheitsgarantien gegenüber der Ukraine einzuhalten. | |
„Darin wird ausdrücklich die Verpflichtung zur Verteidigung der | |
Unverletzlichkeit der ukrainischen Grenzen festgehalten, wenn das Land im | |
Gegenzug seine Atomwaffenressourcen aufgibt.“ Diese Garantien seien an | |
keine weiteren Bedingungen geknüpft worden. Mit keinem Wort sei aber davon | |
die Rede, dass diese Hilfe als wirtschaftlicher Austausch zu betrachten | |
sei. | |
## Polen bereitet Bevölkerung auf Ernstfall vor | |
Während Polens links-liberale [4][Regierung unter Donald Tusk] versucht zu | |
retten, was zu retten ist, und nach außen hin beteuert, wie wichtig nach | |
wie vor die Bündnispartnerschaft zwischen den USA und Polen innerhalb der | |
Nato ist, überprüft sie intern, welche amerikanischen Waffensysteme im | |
Ernstfall auch ohne laufende Unterstützung der USA funktionieren würden. | |
Eventuell müssen langfristig geplante Rüstungsaufträge an | |
US-Waffenschmieden storniert und durch europäische ersetzt werden. Schon | |
2024 hat Polen knapp 4 Prozent seines Bruttoinlandsproduktes (BIP) für die | |
Modernisierung seines Militärs und die Aufstockung der Truppen ausgegeben. | |
2025 sollen es sogar bis zu 5 Prozent werden. Die Zahl der Berufssoldaten | |
soll auf bis zu 500.000 Personen ansteigen. Zudem soll die gesamte | |
Bevölkerung auf den Ernstfall vorbereitet und – auf freiwilliger Basis – | |
auch militärisch geschult werden. | |
Die Maßnahmen haben ihren Grund. Polen grenzt unmittelbar an die Ukraine, | |
Belarus und die russische Exklave Kaliningrad. Seit dem Angriff Russlands | |
auf die Ukraine sind mehrere fehlgeleitete Raketen in Polen eingeschlagen. | |
Eine davon tötete zwei polnische Bauern in einer Scheune in Ostpolen, eine | |
andere konnte durch halb Polen bis nach Bydgoszcz (Bromberg) in | |
Nordwestpolen fliegen und ging dort in einem Wald nieder. Ganz in der Nähe | |
der Absturzstelle befindet sich nicht nur das Wohnhaus von Außenminister | |
Radosław Sikorski, sondern auch eine bedeutende Nato-Militärbasis mit | |
mehreren Schulungszentren und Werkstätten für F-15-Kampfflugzeuge. | |
Und es tut sich eine weitere Front auf. Als der Multimilliardär und | |
Trump-Berater Elon Musk auf seiner Plattform X behauptete: „Wenn ich das | |
Satellitensystem Starlink abschalten würde, bräche die gesamte Front der | |
Ukraine ein“, fassten viele Polen das als Drohung auf. Außenminister | |
Sikorski wies Musk wie auch die Weltöffentlichkeit in scharfen Worten | |
darauf hin, dass Polen für [5][den ukrainischen Starlink-Zugang] jährlich | |
50 Millionen US-Dollar an Musks Firma SpaceX zahle. | |
## Forderung nach Respekt vor Partnern | |
„Wenn sich aber SpaceX als unzuverlässiger Anbieter erweisen sollte, müssen | |
wir uns nach Alternativen umschauen.“ Musk reagierte erbost: „Sei still, | |
kleiner Mann! Ihr bezahlt nur einen kleinen Teil der Kosten. Es gibt keinen | |
Ersatz für Starlink.“ Später lenkte der Milliardär ein und versicherte: | |
„Egal, wie sehr ich mit der Ukraine-Politik nicht einverstanden bin, | |
Starlink wird seine Terminals niemals abschalten.“ | |
Auch der US-amerikanische Außenminister Marco Rubio, der Sikorski auf X | |
aufforderte, „Danke“ zu sagen, da die ukrainische Front ohne Starlink | |
längst zusammengebrochen wäre und die „russische Grenze schon heute wieder | |
an die polnische grenzen würde“, bekam postwendend sein Fett weg. | |
Sikorski nämlich dankte ihm überschwänglich für die Feststellung, dass die | |
tapferen ukrainischen Soldaten weiterhin den Internetservice Starlink | |
nutzen dürften, der von den USA und Polen bezahlt werde. Polens | |
Regierungschef Tusk postete seine Kritik an der US-amerikanischen Führung | |
ebenfalls auf „X“: „Wahre Führung bedeutet Respekt gegenüber Partnern u… | |
Verbündeten. Auch gegenüber den kleineren und schwächeren. Niemals | |
Arroganz. Liebe Freunde, denkt darüber nach.“ | |
22 Mar 2025 | |
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## AUTOREN | |
Gabriele Lesser | |
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