# taz.de -- Boom der Rüstungsindustrie: Kriegstüchtig in Nürnberg | |
> Ganz Europa rüstet auf. Es sind goldene Zeiten für Militärunternehmen. | |
> Auf der Enforce-Tac-Messe feiert sich die Branche, draußen gibt es | |
> Protest. | |
Bild: Nur eine Vorführung: Einsatzkräfte zeigen sich am 24. Februar auf der F… | |
Nürnberg taz | Die Attentäter sind gut versteckt. In Funktionsjacken und | |
Sturmhauben haben sich die drei Männer in dem Containerdorf hinter mehreren | |
Türen verschanzt. Draußen schleicht sich ein Einsatzkommando an – ein Team | |
in voller Kampfmontur, die Sturmgewehre im Anschlag. Plötzlich | |
durchbrechen die Uniformierten die Tür. Zugriff. Eine Blendgranate blitzt | |
auf, Schüsse fallen. Die Terroristen werden schnell überwältigt, es kommt | |
zu mehreren Verletzten. | |
Echtes Blut fließt aber nicht, das Manöver ist nur eine Vorführung. Es ist | |
Dienstag der vergangenen Woche, Tag zwei auf der Enforce Tac, der Fachmesse | |
für innere und äußere Sicherheit. Jedes Jahr im Februar trifft sich hier in | |
Nürnberg die Verteidigungs- und Sicherheitsbranche. In Simulationen, wie | |
der Bekämpfung inländischer Terroristen im Containerdorf, wird die neueste | |
Technik präsentiert. Hersteller aus aller Welt bewerben hier ihre Produkte, | |
gern mit Fotos von Spezialeinheiten, mit Nachtsichtgeräten und | |
Action-Sequenzen in Videoclips. | |
Vom Thermounterhemd für den Gebirgskampf über die mobile Toilette in | |
Camouflage und die neuesten Sturmgewehre bis hin zum | |
Drohnen-Abwehr-Fahrzeug in der Größe eines Reisebusses findet sich alles | |
auf der Messe. Geladen ist ausschließlich Fachpublikum: Angehörige von | |
Streitkräften, Sicherheitsbehörden und Rüstungsunternehmen. Normale | |
Besucher*innen sind nicht zugelassen. | |
## Seit der Zeitenwende ist die Messe gewachsen | |
In den Nürnberger Ausstellungshallen ist spürbar, wie sich die Zeiten | |
ändern. Der russische Angriff auf die Ukraine jährt sich zum dritten Mal, | |
als die Enforce Tac am vergangenen Montag startet. Seit der „Zeitenwende“ | |
ist die Messe kontinuierlich gewachsen. Mehr Besucher*innen, mehr Hallen, | |
mittlerweile präsentieren sich über 1.000 Aussteller. So groß wie in diesem | |
Jahr war die Enforce Tac noch nie, jubeln die Veranstalter bereits vor dem | |
Beginn. Aus 47 Ländern sind Firmen angereist, vor allem aus Nato-Nationen, | |
aber auch aus China, was hier offensichtlich kein Problem ist. Russische | |
Firmen fehlen selbstverständlich, dafür sind acht Unternehmen aus der | |
Ukraine da. | |
Während sich in Nürnberg nun die Branche trifft, kündigt Großbritannien an, | |
seine Verteidigungsausgaben auf 2,5 Prozent des Bruttoinlandprodukts zu | |
steigern. Rheinmetall gibt bekannt, dass es zwei seiner Fabriken in | |
Deutschland auf Rüstungsproduktion umstellen will. [1][In Berlin peilt der | |
zukünftige Kanzler Friedrich Merz (CDU) eine Koalition mit der SPD an], | |
deren große Aufgabe es sein soll, Deutschlands Verteidigung neu | |
aufzustellen. Im Raum stehen ein neues Sondervermögen für die Bundeswehr in | |
Höhe von 200 Milliarden Euro, und auch über die Wiedereinführung der | |
Wehrpflicht wird diskutiert. | |
Europa rüstet auf. Es sind große Zeiten für die Branche. Goldene Zeiten. In | |
der Simulation im Containerdorf spionieren die Einsatzkräfte die Lage mit | |
einer Mini-Drohne aus, bevor sie das Gebäude stürmen. Sie versorgen den | |
verletzten Teamkameraden und evakuieren ihn mithilfe eines autonomen | |
Transportfahrzeugs. Die Vorführung zeigt, wo die Reise hingeht. In vielen | |
Ausrüstungsstücken steckt mittlerweile digitale Hochtechnologie. | |
Die Bundeswehr ist in diesem Jahr zum ersten Mal dabei. Neben Feldjägern | |
und Sanitätsdienst präsentiert sie ein Fahrzeug des | |
Informationstechnikbataillons. An ihrem Stand stehen die Akquisiteure der | |
Rüstungsbranche Schlange. Ein Plakataufsteller deutet an, dass es der | |
Bundeswehr auch um Personalwerbung geht. Es fehlen 20.000 Soldat*innen | |
in Deutschland. | |
## Die Bundeswehr ist zum ersten Mal dabei | |
Auf der Enforce Tac tummeln sich allerdings weniger potenzielle | |
Nachwuchskräfte als vielmehr erfahrene und gut ausgebildete Kämpfer, die | |
sich vielleicht zu einer neuen Verpflichtung überreden lassen. Die Gänge in | |
den Messehallen sind voll, Massen schieben sich von Stand zu Stand. Unter | |
den Besuchenden sind mehr begleitende Hunde als Frauen. Männer mit langen | |
Bärten und dicken, tätowierten Oberarmen begutachten Sturmgewehre, zeigen | |
sich die neuesten Zielfernrohre, Helme, Kampfstiefel. | |
Als am Montag ein Mann in beigem Militärshirt durch die Reihen stapft, | |
drehen sich viele nach ihm um. Er trägt kurze Hose und zeigt seine beiden | |
Beinprothesen. Offenbar ein Veteran. Sein Schicksal könnte eine | |
Abschreckung sein, eine Warnung. In den Gesichtern der Umstehenden liest | |
man Respekt. | |
Am Stand von Diehl Defence, dem Rüstungsunternehmen aus Nürnberg, ist der | |
Andrang groß. Artilleriegeschosse sind ausgestellt, Attrappen von | |
Handgranaten, Patronen für Granatwerfer und das neueste Glanzstück: die | |
Cicada. „Sieht aus wie eine Zikade, klingt wie eine Zikade“, sagt ein | |
Mitarbeiter stolz und schiebt nach: „Sie surrt so leise.“ Die Cicada ist | |
die neueste Entwicklung aus dem Hause Diehl – ein elektrisch angetriebener | |
Flugkörper, der andere Drohnen abfängt. Er kann für das Militär mit | |
Sprengköpfen bestückt werden, aber in ziviler Variante auch mit einem | |
Fangnetz, um kritische Infrastruktur vor Drohnen zu schützen. | |
## Drohnenabwehr ein großes Thema auf der Messe | |
Drohnenabwehr ist eines der großen Themen auf der Messe. Deutschland sei da | |
hintendran, erzählen viele Aussteller. Zuletzt sind immer wieder unbekannte | |
Drohnen über kritischer Infrastruktur in Deutschland aufgetaucht: [2][über | |
Bundeswehrkasernen und Konzerngeländen]. Spionage? Sabotage? | |
Das ist schwer einzuschätzen, denn bislang können sich weder die Bundeswehr | |
noch Netzbetreiber gegen solche mysteriösen Überflüge wehren. Es ist ihnen | |
verboten, die Drohnen vom Himmel zu holen. [3][Im Januar brachte | |
Innenministerin Nancy Faeser (SPD) eine Gesetzesänderung ein, die es | |
zukünftig der Bundeswehr erlauben soll, Drohnen im Ernstfall abzuschießen]. | |
Das Kabinett billigte den Vorstoß, dann kamen die Wahlen, das Gesetz steckt | |
fest. | |
Da müsse die Politik dringend ran, sagt der Mitarbeiter von Diehl Defence. | |
Klar: Tritt das Gesetz in Kraft, hat die Firma mit der Cicada schon das | |
passende Produkt. Die Zeitenwende, sagt der Mann, sei mittlerweile auch in | |
der Industrie zu spüren. Produktionskapazitäten hochfahren sei zwar nicht | |
einfach, aber man arbeite daran. Die Frage, wie Europa schnell viel | |
Munition produzieren kann, ist eines der weiteren großen Themen der Messe. | |
CDU-Mann Merz erklärte schon am Wahlabend, mehr Unabhängigkeit von den USA | |
erreichen zu wollen. Am ersten Tag der Messe stimmt der UN-Sicherheitsrat | |
für eine russlandfreundliche Resolution der Trump-geführten US-Regierung. | |
Dass der amerikanische Vizepräsident J. D. Vance mit seiner Rede auf der | |
Münchner Sicherheitskonferenz das transatlantische Verteidigungsbündnis in | |
seinen Grundfesten erschüttert hat, ist gerade einmal zwei Wochen her. | |
Seitdem herrscht in Europa Hektik. Die neue Unabhängigkeit soll auch für | |
die Entwicklung und Produktion von Rüstungsgütern gelten. | |
## Hat die Nato eine Zukunft? | |
Von solchen politischen Beben scheinbar unbeeindruckt, tritt am Dienstag | |
Benjamin Hormann auf die Messebühne. Hormann ist Oberstleutnant der | |
US-Armee und seit einem Jahr in Frankfurt am Main stationiert, beim „Army | |
Futures Command“ für Nordeuropa, einer Abteilung, die sich um Innovationen | |
in der Rüstungsentwicklung bemüht. Er stehe hier auch als „Partner“, sagt | |
Hormann gleich zu Beginn, bevor er bei den Branchenvertreter*innen um | |
Zusammenarbeit und Technologieaustausch wirbt. Auch für das Publikum | |
scheinen die transatlantischen Kratzer kein großes Thema: Die USA bleiben | |
das Land mit dem mit Abstand größten Rüstungsetat. | |
Dass das Schlachtfeld der Zukunft nicht mehr nur den Soldaten im | |
Schützengraben umfasst, erklärt er im Gespräch mit der taz. Über Politik | |
möchte er sich lieber nicht äußern. Ihm jedenfalls habe noch niemand | |
befohlen, sich bei der Suche nach strategischen Partnerschaften in Europa | |
zurückzuziehen, sagt er und lächelt. Ob die Nato eine Zukunft hat? | |
„Selbstverständlich.“ | |
Dass das Wachstum der Rüstungsbranche richtig ist, darüber ist man sich | |
dieser Tage in Nürnberg einig. Zumindest in den Ausstellungshallen. Draußen | |
geht das nicht allen so. Am ersten Tag der Messe demonstriert eine Gruppe | |
von rund 50 Aktivist*innen gegen die Enforce Tac, ihre Aussteller und | |
Besucher*innen. Ein Mann schwenkt eine blaue Fahne der Deutschen | |
Friedensgesellschaft – Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen (DFG-VK), | |
ansonsten dominieren Palästina-Flaggen und Transparente zum Nahostkonflikt. | |
## „Blut an euren Händen!“ | |
„Diehl produziert, Israel bombardiert“ steht auf einem Banner. Wirkliche | |
Pazifist*innen sind wohl auch die meisten der Demonstrant*innen | |
hier nicht: Eine der aufrufenden Gruppen mit dem Namen „Intifada Nürnberg“ | |
erklärt in ihrem Selbstverständnis ihre Solidarität explizit auch mit dem | |
„bewaffneten Widerstand“ der Palästinenser. | |
Als die Besucher*innen am Montagabend das Messegelände verlassen, | |
laufen sie an den Demonstrant*innen vorbei. Die schreien ihnen ins | |
Gesicht: „Blut, Blut, Blut an euren Händen“ und „Rheinmetall und Diehl | |
Defence, wo viel Blut fließt, fließt viel Geld.“ | |
Einige Messegäste zückten ihr Handy für einen kurzen Schnappschuss. Eine | |
Männergruppe stimmt einen Fangesang für den 1. FC Köln an. Die | |
Demonstrant*innen aber übertönen ihn. Zumindest für wenige Minuten. | |
28 Feb 2025 | |
## LINKS | |
[1] /Migration-Buergergeld-Schuldenbremse/!6072109 | |
[2] https://correctiv.org/hybride-kriegsfuehrung/2025/02/18/spionage-drohnen-ue… | |
[3] https://www.bmi.bund.de/SharedDocs/pressemitteilungen/DE/2025/01/luftsicher… | |
## AUTOREN | |
Jean-Philipp Baeck | |
Anne Fromm | |
## TAGS | |
Aufrüstung | |
Rüstungsindustrie | |
Rheinmetall | |
Verteidigung | |
Social-Auswahl | |
Politisches Buch | |
Rüstungsindustrie | |
Rüstung | |
Schwerpunkt Klimawandel | |
Sipri | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Essay über Kunst und Krieg: Mörderische Visionen | |
Literaturwissenschaftler Engberg-Pedersen analysiert die Verschmelzung von | |
Kunst und Militär. Er erklärt, wie Ästhetik im Krieg instrumentalisiert | |
wird. | |
Wirtschaftlichkeit von Aufrüstung: Mehr Militär für eine bessere Konjunktur? | |
Bekannte Ökonomen setzen auf höhere Rüstungsausgaben, um die Wirtschaft | |
anzukurbeln. Andere Forscher bleiben skeptisch, wie Anfragen der taz | |
zeigen. | |
Gestiegene Rüstungsexporte: Wertegeleitete Rüstungspolitik | |
Die deutschen Rüstungsexporte sind so hoch wie selten zuvor. Das ist auch | |
Ausdruck der Militarisierung der Gesellschaft. | |
Panzer und Treibhausgase: Aufrüstung treibt die Klimakrise an | |
Deutschlands Militärausgaben explodieren – und mit der größeren Bundeswehr | |
auch deren CO2-Emissionen. Das liegt vor allem am Kraftstoffverbrauch. | |
Weltweite Militärausgaben: Warnung vor Aufrüstungsspirale | |
Die Stockholmer Friedensforscher warnen im Sipri-Bericht vor einer | |
„Aktions-Reaktions-Spirale“. Vor allem der Ukrainekrieg hat die Rüstung | |
hochgetrieben. |