# taz.de -- Debatte um Kriegstüchtigkeit: Gefährliche Engführung | |
> Die Kriegstüchtigkeit wird gern mit der Verteidigung der Demokratie | |
> begründet. Doch die wird auch durch Güter wie Bildung und Wohnen | |
> verteidigt. | |
Bild: Reservisten beim diesjährigen Veteranentag: Verteidigt werden muss viel … | |
Stand und Wert der Demokratie zeigen sich daran, wie und wie oft wir über | |
sie sprechen. Wie verhandeln wir als Gesellschaft dieses System, das uns | |
Teilhabe und Menschenrechte garantieren will? Gerade zeigt sich da eine | |
große Sprachfreudigkeit. Überall ist die Rede davon, [1][dass wir die | |
Demokratie jetzt verteidigen müssen]. Diese Fülle an Worten beschränkt sich | |
aber auf einen Aspekt: mehr Geld für die Bundeswehr. Das wird im medialen | |
und politischen Diskurs dafür umso wortreicher umschrieben. In | |
Bundestagsdebatten, Leitartikeln, Talkshows und Podcasts ist die Rede von | |
Kriegstüchtigkeit, Verteidigungsfähigkeit oder Wehrfähigkeit. | |
In den Mittelpunkt zu rücken, dass die Demokratie keine | |
Selbstverständlichkeit ist, ist gut. Darum soll es hier auch nicht um eine | |
Kritik an der Idee gehen, dass auch mit einem stärkeren Militär die | |
Demokratie verteidigt wird. Vielmehr soll es gerade um das „Auch“ gehen. | |
Denn die Sprachfreudigkeit darf nicht bei der Aufrüstung anfangen und | |
enden. Vielmehr muss das Credo, die Demokratie zu verteidigen, gerade jetzt | |
weitergedacht werden. Aus diesem Imperativ muss eine Sprache entstehen, die | |
andere Bereiche unserer Politik und Gesellschaft mit einschließt – sie mehr | |
noch zur Vorbedingung erklärt, damit eine Demokratie überhaupt | |
verteidigenswert wird. | |
In drei Bereichen zeigt sich das besonders – in der Bildung, in der | |
Wohnungs- und in der Gesundheitspolitik. Unser politisches System ist nicht | |
selbstverständlich. Die Demokratie ist kein in sich kohärentes und | |
logisches Konstrukt, das den Menschen einfach so eingepflanzt ist, sich aus | |
sich selbst heraus erklärt. Es ist kein Naturgesetz – ansonsten müssten wir | |
es ja nicht verteidigen. Demokratie setzt Bildung voraus. Um ihren Wert zu | |
begreifen, aber auch um die Sprache zu lernen, die Teilhabe überhaupt erst | |
möglich macht. Ohne (politische) Bildung kann Demokratie nicht existieren. | |
Dieser Umstand findet aber zu wenig Raum. Ja, wir reden immer wieder von | |
Brennpunktschulen. Von Orten, an denen Lehrer:innen kaum noch einen | |
funktionierenden Unterricht aufrechterhalten können, mitunter sogar selbst | |
in Gefahr leben. Oder wir sprechen von maroden Gebäuden, und von Kitas, die | |
zeitweise schließen müssen, weil zu wenige Erzieher:innen da sind. | |
Wir sprechen also von den sichtbaren Symptomen eines Bildungssystems, das | |
sich anscheinend selbst nicht mehr bewusst ist, dass in ihm die Grundlage | |
der Demokratie und des demokratischen Zusammenlebens gelegt wird. Geht es | |
ums Geld für die Bildung, spricht die Politik meist von Pflichtstundenzahl, | |
Klassengrößen – und Kürzungen. Überhaupt werden Schule, Kita oder Uni ste… | |
in einem diskursiven Rahmen der – mal mehr mal weniger notwendigen – | |
Ausgaben verhandelt – aber nicht der Verteidigung. | |
Weiter geht es mit dem Wohnen. Im Falle einer (konventionellen) | |
Landesverteidigung geht es zuvorderst um den Schutz und die | |
Aufrechterhaltung klar umrissener Grenzen. Die Idee des Nationalstaates | |
basiert darauf: ein Raum mit festen Grenzen. Nur geht es aber nicht nur um | |
Verteidigung der Nation, sondern eben auch der Demokratie – zum Glück! | |
Folgerichtig muss es also auch um den Raum innerhalb dieser Nation gehen | |
und damit um das Wohnen. Wie und wo sich die Bürger:innen innerhalb der | |
Demokratie räumlich situieren können. Von wo aus sie teilhaben können – | |
möglichst sicher und gerecht. | |
Wir wissen längst, dass das nicht der Fall ist. Vielmehr geht es auch beim | |
Wohnen nicht um eine Verteidigung. Wir sprechen [2][von zu hohen Mieten], | |
von einem freien Markt, von Investoren, die aufkaufen, von zu wenig Neubau, | |
von Wohnungsberechtigungsscheinen. Und von geflüchteten Menschen, die | |
vermeintlich die Wohnungen wegnehmen. Verteidigen müssen wir hier | |
anscheinend nichts. Das Recht auf Wohnen, ein Menschenrecht, ist auch | |
sprachlich eher eine Last. Eine Mühsal, das vor allem jene betrifft, die | |
sich den Wohnraum eben nicht mehr leisten können. Verteidigen wir dann also | |
doch nur Landesgrenzen und nicht das gute Leben und Wohnen innerhalb dieser | |
Grenzen? | |
Zuletzt unsere Gesundheit. Die Kriegstüchtigkeit wird gern verklärt mit | |
besserer Ausrüstung, neuen Panzern und Flugzeugen. Auch mit | |
IT-Expert:innen, die [3][uns im hybriden Krieg schützen sollen], indem sie | |
auch unsere Infrastruktur verteidigungsfähig machen. Dahinter verschwindet | |
aber diskursiv der Körper – doch der ist es, der im Falle eines Kriegs | |
schlussendlich verletzt oder getötet wird, um eben unsere Demokratie zu | |
verteidigen. | |
## Was ist der Stellenwert der Bürger:innen? | |
Welche Rolle aber spielt der Körper außerhalb davon? Wenn wir gesunde, | |
möglichst fitte soldatische Körper brauchen, sollte dann die Verfasstheit | |
dieses Körpers nicht auch schon davor schützenswert – und grundlegend für | |
die Demokratie sein? Nun wurde das Gesundheitssystem jahrelang mit dem | |
gleichen Adjektiv versehen wie die Bundeswehr: marode. Zur Beseitigung | |
dessen stehen nun theoretisch unbegrenzte Mittel zur Verfügung – allein für | |
die Bundeswehr. Welche gesundheitlichen Folgen aber der Klimawandel haben | |
wird, bleibt dabei zumeist ganz ausgeklammert | |
Es mag für viele Menschen gerade also nachvollziehbar zynisch klingen, wenn | |
die „Verteidigung der Demokratie“ allein bei der Wehrfähigkeit ins | |
diskursive Schlachtfeld geführt wird. Besonders dann, wenn die Argumente | |
von Kritiker:innen dieser Idee mit Verweis auf ebenjene | |
Landesverteidigung für nichtig erklärt werden. Eine Engführung dieses | |
Verteidigungsbegriffs ist gefährlich. Denn ja, wir müssen allesamt unsere | |
Demokratie schützen. Aber die Wehrfähigkeit sollte die Schlussfolgerung, | |
nicht der Ausgangspunkt der Verteidigungsdebatte sein. | |
Vieles an unserer Demokratie ist schützenswert. So sollte auch darüber | |
gesprochen werden. Denn erst dann wird deutlich, welchen Stellenwert die | |
Bürger:innen in einem Land haben, das verteidigt werden muss. | |
23 Jun 2025 | |
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## AUTOREN | |
Matthias Kreienbrink | |
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