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# taz.de -- Militärexperte über Krieg: „Menschen können in Gruppen fast al…
> Was, wenn der Krieg kommt? Der schwedische Sicherheitsexperte David
> Bergman erklärt, warum wir uns nicht in Bunkern, sondern miteinander
> vorbereiten sollten.
Bild: Immer gut gefüllt: Der Vorratsschrank eines Preppers in Stockholm
taz: Herr Bergman, Sie haben in Schweden ein Buch veröffentlicht mit dem
Titel: „Wer bist du, wenn der Krieg kommt?“. Was ist Ihre eigene Antwort
darauf?
David Bergman: Oh, für mich ist das leicht: Ich bin beim Militär. Ich weiß
auf die Sekunde und den Millimeter genau, was zu tun ist, wenn der Krieg
kommt. Das ist ein Luxus, den Zivilisten nicht haben.
taz: Der schwedische Minister für zivile Verteidigung, Carl-Oskar Bohlin,
hatte Ihr Land vor anderthalb Jahren mit dieser Frage aufgeschreckt. Alle
Menschen müssten wissen, was im Kriegsfall ihre Rolle wäre. Das löste eine
Riesendebatte aus, viele reagierten besorgt. Manche nannten es übertriebene
Angstmache. Verstehen Sie das?
Bergman: Auf jeden Fall. Und das war der Punkt, an dem ich mit diesen
Gedanken anfing – als der Minister bei der Sicherheitskonferenz „Folk och
Försvar“ auf der Bühne stand und sagte, dass es in Schweden Krieg geben
könnte. Das war ja an sich nichts Neues. Andere hatten es schon vorher
gesagt, aber erst jetzt war die Öffentlichkeit empfänglich dafür. Ich habe
gemerkt, dass selbst gute Journalisten mir teilweise schwindelerregende
Fragen stellten. Sollte man jetzt fliehen? Wohin sollte man fliehen? Werde
ich in die Schützengräben geschickt?
taz: Was haben Sie geantwortet?
Bergman: Ich habe gesagt: Nein, das wirst du nicht. Bist du ein Lehrer?
Dann wirst du ein Lehrer sein, wenn der Krieg kommt. Du wirst dein Leben
weiterleben, aber unter größeren Entbehrungen, und das kann die Dynamik der
Gesellschaft verändern.
taz: Als ich einer Nachbarin von diesem Interviewtermin erzählte, reagierte
sie abwehrend. Sie meint, dass die Aufrüstung in Schweden und das ganze
Gerede darüber erst zur Kriegsgefahr beiträgt. Was sagen Sie dazu?
Bergman: Dass es am gefährlichsten ist, den Kopf in den Sand zu stecken und
so zu tun, als gäbe es die Gefahr nicht. Das Beste ist es, immer
vorbereitet zu sein. Sowohl Schweden als auch Deutschland sind Länder, die
eine explizit defensive Strategie verfolgen. Und solange man militärisch
nur auf die Verteidigung des Landes ausgerichtet ist, ist das gut, um einen
Krieg zu verhindern. Das ist es, was die Abschreckung aufbaut. Die
Geschichte zeigt, dass eine Beschwichtigungspolitik in der Regel der
gefährlichste Weg zum Krieg ist. Denn die signalisiert den anderen, dass
sie tun können, was sie wollen, ohne dass wir etwas dagegen unternehmen.
taz: Ihr Buch handelt aber davon, was passiert, wenn alle Abschreckung
nichts genützt hat und der Krieg tatsächlich kommt.
Bergman: Nach der Rede von Carl-Oskar Bohlin gab es viele Medienanfragen an
mich als Experten. Und was mir auffiel, war, dass nicht mal die
talentierten Journalisten wussten, wie sie das Thema angehen sollten. Sie
fragten nach Vorratshaltung, Kurbelradios und Wasserkanistern. Ich habe
versucht, möglichst freundlich zu erklären, dass es in einem Krieg nicht
darum geht, in den Keller zu gehen und dort Konserven zu essen, bis alles
vorbei ist. Danach kam der Verlag auf mich zu und fragte, ob ich das nicht
aufschreiben könnte für alle.
taz: Worum geht es in einem Krieg?
Bergman: Dass man weiter zur Arbeit geht und so einen wichtigen Beitrag zur
Aufrechterhaltung der Gesellschaft leistet. Und das kann man am besten,
wenn man weiß, dass man etwas Gutes zu essen hat, wenn man am Abend nach
Hause kommt. Genau darum geht es bei der Vorratshaltung. Das ist in der
Debatte oft verloren gegangen. Die Menschen haben ihre aktive Rolle in
einem Krieg nicht erkannt. Und sie neigen dazu, die Situation schlimmer zu
machen, als sie wäre. Gesellschaften sind extrem widerstandsfähig. Ich will
einen Krieg nicht beschönigen. Doch je stärker der äußere Druck ist, desto
mehr neigt eine Gesellschaft dazu, sich zum Wohle des Kollektivs
zusammenzuschließen. Wie in der Pandemie oder nach Terroranschlägen, wo wir
genau das sehen.
taz: [1][Die Prepper-Kultur kommt] nicht so gut weg bei Ihnen. Warum?
Bergman: Ich kritisiere nicht die Prepper selbst, ich weiß, dass es viele
tolle Prepper gibt. Ich bin kritisch gegenüber der Kultur. Sie entstand in
den 1950er Jahren in den USA. Da verbreitete sich die Angst, dass der
nächste Krieg die Welt als nukleare Wüste hinterlassen würde, in der jeder
für sich selbst ums Überleben kämpft und alle anderen eine potenzielle
Bedrohung sind. Die Prepper-Kultur hat zwei Fehler: Sie ist eine Dystopie.
Gesellschaften fallen nicht auf diese Weise auseinander. Und sie ist sehr
individualistisch. Der ultimative Prepper ist jemand, der sich einschließt
und in Einsamkeit sein Dosenfutter mampft.
taz: Sie sagen, dass es wichtiger sei, seine Nachbarn zu kennen, als den
perfekten Vorrat anzulegen.
Bergman: Absolut. Da geht es auch um die rein praktische Unterstützung.
Aber in einem Krieg kommen auch persönliche Sorgen und Ängste zum
Vorschein. Verdammt, was bedeutet das jetzt für mich? Werde ich nicht zu
dieser Hochzeit gehen können? Werde ich nicht pünktlich zum
Vorstellungsgespräch erscheinen können? Sie werden in einer Extremsituation
ganz persönliche Gedanken mit anderen teilen, wie Sie es sonst nicht tun
würden. Allein die Gewissheit, dass es dafür jemanden in der Nähe gibt,
kann sehr heilsam sein. Das gibt oft ein ungeheures Gefühl der Sicherheit,
und das ist normalerweise das Wichtigste. Menschen in Gruppen können fast
alles aushalten.
taz: Sie sagen auch, es sei ein Mythos, dass es nur Chaos, Unsicherheit und
Plünderungen gibt in einem Krieg.
Bergman: Viele Leute glauben offenbar, dass alle wie kopflose Hühner
herumrennen würden. Und dann fliehen. Aber das tun wir nicht. Ganz im
Gegenteil. Menschen wollen so lange wie möglich in ihrer Heimat bleiben.
Dort hat man seine Sicherheit. Physisch, emotional und sozial. Das sehen
wir etwa in der Ukraine. Erst wenn die Kämpfe im Wald nebenan stattfinden –
dann vielleicht kann man die Menschen dazu bringen, ihre Häuser zu
verlassen.
taz: Viele sind aber auch direkt am Anfang des russischen Angriffs 2022
geflohen.
Bergman: Ja, natürlich, es gibt immer Flüchtlinge als Folge von Konflikten.
Aber wenn wir sehen, dass sie sich bewegen, dann oft zunächst am Anfang.
Dann hört es auf und die meisten von ihnen können noch während des
Konflikts zurückkehren. Das ist das Muster, das wir auch in der Ukraine
gesehen haben.
taz: Können wir etwas daraus lernen, wie die ukrainische Gesellschaft auf
den russischen Angriff reagiert hat?
Bergman: Das können wir. Wir können von fast jedem Land lernen, das sich im
Krieg befindet. Was wir sehen, ist eine Gesellschaft, die immens leidet,
aber gleichzeitig merkt, wie ein starker äußerer Druck die Bevölkerung
zusammenschweißt und tatsächlich für ein gemeinsames Ziel vereint. Und man
sieht auch, dass das Leben für viele ganz normal weitergeht. Nicht jeder
ist die ganze Zeit in den Schützengräben. Die Leute gehen noch auf Dates,
gehen noch zur Arbeit, nörgeln noch an den Kindern herum, bezahlen noch
Rechnungen.
taz: Sie schreiben, dass man im Krieg so gut es geht mit seinem Leben
weitermacht, „bis wir gewonnen haben“. [2][So steht es auch in der
aktualisierten Krisen-Broschüre, die Schweden an alle Haushalte verschickt
hat:] „Wir geben niemals auf.“ Mir scheint, in diesem Punkt sollen die
Menschen explizit optimistisch sein, nicht realistisch. Es kann doch
passieren, dass man verliert.
Bergman: Es besteht immer die Möglichkeit, dass ein Krieg nicht so
verläuft, wie man es sich wünscht. Aber hier ist tatsächlich ein Vergleich
mit dem Sport angebracht. Wir müssen immer mit der Einstellung auf den
Fußballplatz gehen, dass wir das Spiel gewinnen werden, sonst werden wir
das verdammte Ding nicht gewinnen. So ist es auch im Krieg. Wenn wir
aufgeben, bevor wir überhaupt angefangen haben, würde das niemals
funktionieren. Das wäre Defätismus und würde in der Bevölkerung
Hoffnungslosigkeit verbreiten. Sie wird nichts erreichen wollen, wenn wir
nicht glauben, dass wir gewinnen können. Und der Gegner könnte das als
Schwäche auffassen. Das könnte ihn sogar dazu bringen, seine Aggression zu
verstärken.
taz: [3][Wie steht es um den zivilen Teil der Verteidigung in Schweden?]
Schutzräume gibt es immerhin in großer Zahl. Wir haben in Deutschland nicht
mehr so viele.
Bergman: Zivile Verteidigung ist weit mehr als diese Schutzräume. Es geht
um die Planungsvoraussetzungen. Wie kann ein Krankenhaus in Kriegszeiten
weiter funktionieren? Wie kann die Stromversorgung aufrechterhalten werden?
Es geht um die Ausbildung von dienstpflichtigen Zivilisten für
Rettungsdienst, Gesundheits- und Stromversorgung. Dass wir einen Plan haben
und Personal, das darüber nachdenkt und es probt: Das ist der größte Teil
der zivilen Verteidigung, die zur Gesamtverteidigung gehört. Und der wird
auch in Schweden erst wieder aufgebaut.
taz: Ihr Buch heißt nicht „Wer bist du, falls der Krieg kommt“, sondern
„wenn“. Meinen Sie, er kommt auf jeden Fall?
Bergman: Ja. Wir haben in Schweden zwar seit 200 Jahren keinen Krieg mehr
gehabt, aber davor alle zehn Jahre. Wenn wir uns die Statistiken ansehen,
hätten wir in den letzten hundert Jahren mindestens drei Mal im Krieg sein
müssen. Man kann auch die Frage stellen, ob ich so viel Vertrauen in den
derzeitigen Frieden habe, dass ich es wage zu garantieren, dass es nie
wieder passieren wird. Und nein, das ist nicht wahrscheinlich. Ich will
nicht dystopisch sein oder sagen, dass es morgen passieren wird. Vielleicht
auch nicht mehr zu unseren Lebzeiten, aber früher oder später wird etwas
passieren.
24 Jun 2025
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## AUTOREN
Anne Diekhoff
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