| # taz.de -- Notfallvorsorge: Besser bunkern, ohne zu hamstern | |
| > Die Welt ist kriegerischer geworden und unser Schutzmechanismus fragiler. | |
| > Wie sorgt man am besten für den Ernstfall und für Katastrophen vor? | |
| Nüsse und Knäckebrot? Oder Büchsenfleisch, Müsliriegel, Schokolade? Oder | |
| doch besser Haferflocken, Müsli und Trockenfrüchte? Was sollte man als | |
| Notfallvorrat zu Hause haben? Nicht unbedingt für den Fall, dass man das | |
| Haus mal nicht verlassen will, sondern für einen echten Notfall: | |
| Hochwasser, Stromausfall, Unwetter. | |
| Die Antwort ist gar nicht so leicht. Da hilft vielleicht die neue Strategie | |
| für die Krisenvorsorge, die die EU-Kommission im März 2025 vorgelegt hat. | |
| Die EU empfiehlt, dass alle Bürgerinnen und Bürger einen Notfallvorrat | |
| haben sollten, mit dem sie mindestens 72 Stunden über die Runden kommen. | |
| Was genau in diesen Notvorrat gehört, soll den individuellen Bedürfnissen | |
| und Risiken in den jeweiligen Ländern angepasst sein. | |
| Aber woher soll man wissen, was man dafür braucht? Fisch und Gemüse in | |
| Konserven, abgepacktes Vollkornbrot, Aufstrich? Auf jeden Fall haltbare und | |
| nahrhafte Gerichte, die satt und glücklich machen und nicht aufwendig | |
| gekocht werden müssen. Dazu genügend Wasser in Glasflaschen – pro Person im | |
| Haushalt mindestens 1,5 bis 2 Liter pro Tag. Auch warme Kleidung, Decken, | |
| Batterien, Taschenlampen, einen Campingkocher, ein Radio, ein medizinisches | |
| Notfallset. | |
| In Deutschland gibt es seit 2016 umfangreiche [1][Empfehlungen des | |
| Bundesamts für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe], was Menschen als | |
| Notfallvorsorge zu Hause haben sollten. [2][Ist das Panikmache?] Nicht | |
| unbedingt. Eher ein wichtiger Teil eines verantwortungsvollen | |
| Zivilschutzes. Und das nicht nur für den Fall eines – hoffentlich | |
| ausbleibenden – Kriegs. Hochwasser und Stromausfälle können Infrastrukturen | |
| ebenso treffen und eine Notlage auslösen. Auch mit der Gefahr der | |
| [3][hybriden kriegerischen Notlage] müssen wir uns das erste Mal seit | |
| Jahrzehnten wieder auseinandersetzen. | |
| Nach dem Ende des Kalten Krieges wurden in Deutschland viele | |
| Zivilschutzstrukturen abgebaut und Vorsorgestrategien der geopolitischen | |
| Entspannung angepasst. Bereits 2012 hat die Bundesregierung erstmals seit | |
| 1989 ein neues Zivilschutzkonzept in Auftrag gegeben, das die | |
| Verwundbarkeit unserer weltweit vernetzten modernen Infrastruktur absichern | |
| soll. Größte Gefahren seien nicht mehr nur feindliche Panzer, sondern | |
| Computerviren und Cyberattacken. | |
| [4][Schon 2016 warnte der damalige Innenminister Thomas de Maizière, CDU, | |
| vor Angriffen auf das deutsche Stromnetz]: „Ich kann mir vorstellen, dass | |
| es Gruppen oder Staaten oder eine Mischung von Gruppen und Staaten gibt, | |
| die ein Interesse daran hätten, einmal auszuprobieren, wie resilient, wie | |
| anpassungsfähig die deutsche Gesellschaft ist mit Blick auf die | |
| Abhängigkeit von der Stromversorgung.“ | |
| Aber es gibt auch andere Risiken für unsere Infrastruktur. So weisen | |
| Risikoforscher von der Rückversicherung Munich Re in einer Analyse von 2024 | |
| darauf hin, dass der Klimawandel Krallen zeige. Vorstand Thomas Blunck | |
| spricht von einem „Hitzerekord nach dem anderen“, die Folgen seien | |
| „verheerend“: „Die zerstörerischen Kräfte, die der Klimawandel mit sich | |
| bringt, werden immer offensichtlicher, und diese Tatsache wird von der | |
| Wissenschaft untermauert. Die Gesellschaften müssen sich für stärkere | |
| Wetterkatastrophen wappnen.“ | |
| ## Wichtige Säule des Bevölkerungsschutzes | |
| Angesichts dieser Szenarien ist der persönliche Notfallvorrat eine wichtige | |
| Säule des Bevölkerungsschutzes in einer Situation, in der viele Personen | |
| auf einmal Hilfe brauchen. Es ist eine Vorsichtsmaßnahme, die der Art | |
| gerecht wird, wie wir heute unser Leben organisieren. Das hat sich in den | |
| vergangenen Jahrzehnten radikal verändert: Versorgungssysteme wurden | |
| digitalisiert, Wasserversorgung wurde von mechanischen auf elektrische | |
| Pumpen umgestellt, Produktion automatisiert, Lieferketten wurden optimiert | |
| und gemeinschaftliche Aufgaben zentralisiert. Was für uns Notfälle sein | |
| könnten, hat viel mit unserem gewohnten Komfort und einer privilegierten | |
| Infrastruktur zu tun, die in einem Land wie Deutschland selbstverständlich | |
| ist. | |
| Gleichzeitig wird die Zivilschutz- und Rettungsinfrastruktur in Deutschland | |
| zu wesentlichen Teilen von Ehrenamtlichen geschultert. Im Jahr 2022 gab es | |
| über 1,4 Millionen freiwillige Feuerwehrleute inklusive der | |
| Jugendfeuerwehr, aber nur 35.754 Beschäftigte bei der Berufsfeuerwehr. | |
| Umfassende aktuelle Daten zu Ehrenamtlichen im Rettungsdienst fehlen zwar, | |
| aber es dürften sehr viele sein. Bei Hochwasser und Katastrophen | |
| verschiedener Art springen unter anderem das Technische Hilfswerk ein, die | |
| Deutsche Lebens-Rettungs-Gesellschaft, das Deutsche Rote Kreuz, die | |
| Diakonie Katastrophenhilfe. Deutschland ist ein Land, in dem einander | |
| geholfen wird. Auf dieses soziale Netz sind wir in Notsituationen | |
| angewiesen – und alle müssen sich aufeinander verlassen können. | |
| Das soziale Netz braucht mehr Rückendeckung aus Politik und Wirtschaft – | |
| für alle und sozial gerecht. Doch an dieser Stelle rächt sich die | |
| zurückhaltende Investitionspolitik der vergangenen Jahrzehnte, unsere | |
| Infrastruktur ist vielerorts marode: Straßen, Schulen, Schienen. Im | |
| Gesundheitssystem fehlen Menschen, Ressourcen, Schutzräume. Ein | |
| Zivilschutzkonzept ist nur dann gut, wenn alle notwendigen Hilfsmaßnahmen | |
| funktionieren und alle die Hilfe bekommen, die sie benötigen. | |
| Katastrophenschützer betonen, dass die Resilienz eines Systems am | |
| schwächsten Glied hängt. Die Soziologin Tricia Wachtendorf, Professorin und | |
| Leiterin des Disaster Research Centre (DRC) in Delaware, wo seit 60 Jahren | |
| das Verhalten von Menschen in Katastrophensituationen erforscht wird, | |
| kritisiert Medien, die Katastrophen genüsslich zu inszenieren: Die | |
| Affinität vieler Medienberichte zu spektakulären Horrorszenarien generiere | |
| mehr Klicks als der disziplinierte Blick der Wissenschaft. | |
| ## Amerikaner:innen sorgen besser vor | |
| So hat eine DRC-Feldstudie im Fall des Hurricanes „Katrina“ im Jahr 2005 | |
| herausgefunden, dass die Menschen einander geholfen haben, Hilfsgüter und | |
| Lebensmittel geteilt und sich sogar für andere in Gefahr gebracht. Medien | |
| indes hätten vor allem Schreckensvisionen menschlicher Abgründe vermittelt, | |
| Fernsehbilder von „plündernden Monstern“ drangen in die Wohnzimmer der | |
| Menschen außerhalb der betroffenen Regionen. | |
| Dabei waren sie die totale Ausnahme. Ein Fakt, der auch 2025 bei den | |
| verheerenden Bränden um Los Angeles zu beobachten war. Dabei ist es in den | |
| USA wesentlich normaler, sich auf Katastrophen vorzubereiten und Vorräte im | |
| Haus zu haben, denn es gibt kein so starkes soziales Netz wie in | |
| Deutschland. | |
| Gleichzeitig spielt die soziale Ungleichheit in den USA eine große Rolle | |
| für die Verwundbarkeit der Menschen. Statistisch gesehen sind | |
| marginalisierte Menschen in Katastrophen stärker gefährdet. Wichtig ist | |
| auch, wie viel Komfort Menschen im Alltag gewohnt sind. Der | |
| Katastrophenschützer und Chef der Leitstelle Tirol, Bernd Noggler, hat bei | |
| seinen weltweiten Einsätzen in Katastrophengebieten von Haiti über Pakistan | |
| und Chile beobachtet, dass es große Unterschiede gibt, wie gut Menschen mit | |
| Katastrophen umgehen: Menschen in Ländern, die nicht so privilegiert leben, | |
| können oft besser improvisieren und verlieren weniger schnell die Nerven. | |
| Der Alltag in unserer hochindustrialisierten und modernen Welt hingegen hat | |
| fast immer mit Strom zu tun, unser Leben ist auf das perfekte Funktionieren | |
| von Versorgungssystemen aufgebaut. | |
| Wir müssen nicht vorausplanen, solange alle Rädchen ineinandergreifen und | |
| nichts passiert, was diese Ordnung stört. Man kann jederzeit Geld am | |
| Automaten abheben, unkompliziert im Supermarkt einkaufen und sich Sachen | |
| liefern lassen. Das Handynetz funktioniert (zumindest weitgehend), Ampeln | |
| regeln den Verkehr, Zapfsäulen geben Sprit, öffentliche Verkehrsmittel | |
| fahren, das Wasser kommt aus dem Hahn, die Heizung läuft. Die Klospülung | |
| funktioniert, die Müllabfuhr kommt und das Navi weist den schnellsten Weg. | |
| Wir müssen nicht darüber nachdenken, was alles passieren muss, damit unser | |
| Supermarkt jeden Morgen frische Ware hat. Unsere Lieferketten wurden in den | |
| vergangenen Jahrzehnten optimiert, sodass niemand große Lagerflächen | |
| vorhalten muss, sondern tagesaktuell auf Bedarf reagieren und Nachschub | |
| anfordern kann. Weil Warenwirtschafts- und Abrechnungssysteme digitalisiert | |
| sind, kann es nun dazu kommen, dass ein Supermarkt seine Tore schließen | |
| muss, wenn das Kassensystem nicht mehr funktioniert. Wenn der Nachschub ein | |
| paar Tage ausbleibt, weil an anderer Stelle der Lieferkette Probleme | |
| auftauchen, bleiben die Regale erst einmal leer. | |
| ## Niemand denkt gern über Verwundbarkeit nach | |
| Auf einen Katastrophenfall sind die meisten Menschen nicht vorbereitet. | |
| Aber das lässt sich ändern. Als Erstes ist es wichtig, seine individuellen | |
| Bedürfnisse zu klären: Lebe ich in der Stadt oder auf dem Land? Lebe ich | |
| allein oder in einer Gemeinschaft? Habe ich eine Familie, für die ich | |
| sorgen muss? Gibt es PartnerInnen, LiebhaberInnen, verpeilte Freunde, | |
| Haustiere, NachbarInnen, die in der Vergangenheit besonders viele Pakete | |
| für mich angenommen haben und die ich im Notfall bewirten will? Habe ich | |
| einen Garten? Habe ich natürlichen Zugang zu Trinkwasser, vielleicht eine | |
| elektrische Pumpe im Garten? Lebe ich in einer Region, die von | |
| Überschwemmungen, Waldbränden oder Stürmen bedroht ist? Brauche ich | |
| regelmäßig Medikamente? Wie komme ich ein paar Tage ohne Internet klar? | |
| Kurz: Wie kann ich mich vor Hunger und (ohne Brandgefahr) vor Kälte | |
| schützen, bis die staatlichen Zivilschutzkonzepte erfolgreich laufen? | |
| Niemand denkt gerne über Verwundbarkeit nach, vor allem nicht über solche, | |
| die außerhalb unserer Einflusssphäre liegt. Douglas Rushkoff, | |
| amerikanischer Medienprofessor und Autor des Buches „Survival of the | |
| Richest“, hat die Überlebensfantasien von Superreichen und | |
| Tech-Milliardären untersucht. Sein Fazit: Die Superreichen könnten künftig | |
| mehr Probleme bekommen als die weniger Reichen und Ärmeren. Nur ahnen das | |
| die Tech-Milliardäre noch gar nicht. Das Drama der Superreichen zeichnet | |
| sich nicht nur bei der Frage ab, ob diese genug Wasser in Glasflaschen zu | |
| Hause haben, sondern insbesondere beim sozialen Zusammenhalt. Denn die | |
| beste Katastrophenvorsorge – so lässt sich Rushkoff zusammenfassen – ist | |
| es, kein Arschloch zu sein. | |
| Auf jeden Fall ist es klug, sich die Zivilschutzkonzepte von EU und | |
| Bundesregierung zu Herzen zu nehmen und den eigenen persönlichen | |
| Bedürfnissen anzupassen. Pragmatisch heißt das, Lebensmittelvorräte für | |
| eine Woche zu Hause zu haben. Am besten Dinge, die man gerne isst und im | |
| normalen Alltag verbrauchen kann, die ExpertInnen nennen das „lebendigen | |
| Vorrat“. | |
| Dann immer mal das Haltbarkeitsdatum überprüfen und all das essen, was | |
| demnächst fällig wird – beim nächsten Einkauf kann man für Nachschub | |
| sorgen. So muss man auch gar nicht zum Hamster werden. Niemand will | |
| regelmäßig bei Kerzenlicht Dosenravioliwoche machen und zu viel über die | |
| Notwendigkeit dieser Praxis nachdenken. Man kann das so handhaben wie eine | |
| Haftpflichtversicherung: Sie ist für den Notfall. Und wenn man sie nie | |
| braucht, umso besser. | |
| 18 Apr 2025 | |
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| [1] https://www.bbk.bund.de/DE/Warnung-Vorsorge/Vorsorge/vorsorge_node.html | |
| [2] /Deutschlands-neue-Sicherheitsstrategie/!6013185 | |
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| ## AUTOREN | |
| Julia Neuhaus | |
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