| # taz.de -- Wirtschaftlichkeit von Aufrüstung: Mehr Militär für eine bessere… | |
| > Bekannte Ökonomen setzen auf höhere Rüstungsausgaben, um die Wirtschaft | |
| > anzukurbeln. Andere Forscher bleiben skeptisch, wie Anfragen der taz | |
| > zeigen. | |
| Bild: Im Schraubstock? Die künftige schwarz-rote Bundesregierung löst gerade … | |
| Hamburg taz | „Autos zu Rüstung!“ Mit diesem Motto wirbt der | |
| Interessenverband der deutschen [1][Rüstungsindustrie] für massive | |
| Investitionen in Kriegswaffen. Arbeitsplätze und Fabriken, die in der | |
| kriselnden Autoindustrie überflüssig werden, könnten umgewidmet werden, | |
| schlägt der Bundesverband der Deutschen Sicherheits- und | |
| Verteidigungsindustrie (BDSV) vor. Die politischen Rahmenbedingungen für | |
| diese Form der Rüstungskonversion scheinen günstig zu sein: Die künftige | |
| schwarz-rote Bundesregierung löst gerade die Schuldenbremse für | |
| Verteidigungsausgaben, und die Europäische Union startet ein | |
| Rüstungsprogramm in Rekordhöhe. Die EU-Kommission will bis zu 800 | |
| Milliarden Euro mobilisieren. Argumentative Munition liefern bekannte | |
| Wirtschaftswissenschaftler. | |
| Höhere Ausgaben für die Verteidigung könnten das Wirtschaftswachstum | |
| deutlich ankurbeln und den Industriestandort stärken. So lautet das Fazit | |
| eines Reports aus dem Institut für Weltwirtschaft IfW in Kiel. Danach würde | |
| das Bruttoinlandsprodukt (BIP) um 0,9 bis 1,5 Prozent im Jahr steigen, wenn | |
| die EU-Staaten in dem entsprechenden Jahr ihre Militärausgaben über das | |
| NATO-Ziel von 2 Prozent hinaus auf 3,5 Prozent des BIP anheben würden. Das | |
| BIP ist ein Maß für die Wirtschaftsleistung und entspricht der Summe aller | |
| hierzulande produzierten Waren und Dienstleistungen. | |
| „Die Wachstumseffekte höherer Verteidigungsbudgets sind von entscheidender | |
| Bedeutung für die politische Debatte in Europa“, sagt Ethan Ilzetzki, Autor | |
| des IfW-Reports „[2][Guns and Growth: The Economic Consequences of Defense | |
| Buildups]“ und Professor an der London School of Economics. „Das bedeutet, | |
| dass Europa über seine Militärausgaben entscheiden kann, ohne sich von der | |
| Angst vor einer wirtschaftlichen Katastrophe ablenken zu lassen.“ | |
| ## Rüstungsforschung treibt Innovation an | |
| Rüstung könne die Konjunktur ankurbeln und nachhaltige technologische | |
| Spillover-Effekte auf andere Wirtschaftszweige erzeugen, davon ist auch der | |
| Präsident des von Bund und Land finanzierten IfW, Moritz Schularick, | |
| überzeugt. Dazu sollte die europäische Forschungspolitik neu ausgerichtet | |
| werden. So geben die USA 16 Prozent ihrer Militärausgaben für Forschung und | |
| Entwicklung aus, die EU lediglich 4,5 Prozent. Eine deutliche Erhöhung der | |
| Militärausgaben werde daher die Produktivität auch der privaten Wirtschaft | |
| erhöhen. | |
| Auf diesen „Technologiekanal“ setzt auch Friedrich Heinemann vom | |
| Leibniz-Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung, ZEW. „Viele | |
| bahnbrechende Innovationen kamen immer aus der Rüstungsforschung. Berühmte | |
| Beispiele dazu sind Satellitennavigation, Mikrowellenöfen und Klebeband“, | |
| sagte er der taz. | |
| Wissenschaftlich bleibt jedoch umstritten, ob Rüstungsforschung produktiver | |
| ist als Ausgaben für zivile Forschung und Entwicklung. „Das wird oft | |
| behauptet, aber ich bin da skeptisch und finde in diesem Punkt die | |
| Darstellung in der Kieler Studie nicht überzeugend“, schreibt Michael | |
| Brzoska, Senior Fellow des Hamburger Instituts für Friedensforschung und | |
| Sicherheitspolitik in einer Stellungnahme für die taz. | |
| ## Europas Regierungen sollten mehr Schulden aufnehmen | |
| Die 52-seitige Studie aus Kiel hält Forschungsaltmeister Brzoska ansonsten | |
| für solide – wenn auch gelegentlich in der Darstellung der Quellen für | |
| unausgewogen. Der Report fasst Studien aus mehreren Bereichen wie Ökonomie, | |
| Friedensforschung und Wirtschaftsgeschichte zusammen, von den Konflikten | |
| des 19. Jahrhunderts bis hin zu den US-Kriegen in Afghanistan und Irak. | |
| Unterm Strich widerspricht die Kieler Studie der verbreiteten Annahme, dass | |
| Regierungen vor der Wahl „Kanonen oder Butter“ stehen. Allerdings seien | |
| einige Bedingungen zu beachten. Das Wachstum werde geringer ausfallen, | |
| möglicherweise sogar negativ, wenn zusätzliche Verteidigungsausgaben von | |
| Anfang an durch höhere Steuern finanziert würden, weil das Unternehmen und | |
| Menschen belaste. Europas Regierungen sollten daher mehr Schulden | |
| aufnehmen. Vor allem aber sollten sie dafür sorgen, dass ein größerer Teil | |
| ihrer Militärausgaben in Europa verbleibt. Derzeit stammen rund 80 Prozent | |
| ihrer Beschaffungen von Unternehmen außerhalb der Europäischen Union. | |
| Schularicks wirtschaftswissenschaftlicher Kiel-Report orchestriert eine | |
| politische Melodie, die er zusammen mit vier anderen renommierten Ökonomen | |
| in einem Papier anstimmte: mit Clemens Fuest, Präsident des | |
| wirtschaftsliberalen Ifo-Instituts, Michael Hüther, der das arbeitgebernahe | |
| Institut der deutschen Wirtschaft Köln leitet, dem gewerkschaftsnahen Jens | |
| Südekum, Professor an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, und dem | |
| saarländischen Ökonomen und SPD-Politiker Jakob von Weizsäcker. Das | |
| Empfehlungspapier dieser großen Koalition wurde zur Grundlage für die | |
| Vorschläge, die CDU und SPD jetzt noch dem alten Bundestag vorlegten – | |
| einer von der Schuldenbremse ungehemmten Finanzierung der Bundeswehr. | |
| ## Der Wirkungsgrad von Rüstungsinvestitionen ist gering | |
| Wachstum durch Rüstung? Nicht jeder Wirtschaftswissenschaftler marschiert | |
| da mit. Das IfW vollziehe „eine ziemlich provokante Zeitenwende in der | |
| wirtschaftswissenschaftlichen Beratung“, kommentiert Rudolf Hickel im | |
| Gespräch mit der taz. Mit einem Nach- und Aufrüstungsprogramm die | |
| Gesamtwirtschaft zu pushen, sei nur eine „Wiederentdeckung“, eine | |
| Botschaft, die an den nach dem Zweiten Weltkrieg in den USA propagierten | |
| Rüstungskeynesianismus erinnere. Hickel ist Mitgründer der Arbeitsgruppe | |
| Alternative Wirtschaftspolitik. „Dagegen rückt der wohlstandsorientierte | |
| Keynesianismus die Frage, welche zivile Projekte mit den Staatsausgaben | |
| finanziert werden, in den Mittelpunkt.“ Statt Wirtschaftspolitik heute auf | |
| die ökologische Transformation zu konzentrieren, werde die | |
| Rüstungsindustrie zum permanenten Schrittmacher künftiger Entwicklung | |
| gekürt. | |
| Volkswirtschaftlich gesehen, sei Rüstungsproduktion sogar „vergleichsweise | |
| nachteilig“, betont Helge Peukert auf Anfrage. Der Siegener Professor für | |
| Wirtschafts- und Staatswissenschaft gilt als Vorreiter der „pluralen | |
| Ökonomik“, welche die auf quantitatives Wachstum ausgerichtete | |
| Mainstream-Lehre kritisiert. „Der längerfristige Ankurbelungseffekt, der | |
| Multiplikator, wird in seriösen Studien meist mit 1 angegeben. Das ist | |
| mickrig.“ Bei erneuerbaren Energien werden meist Werte von 1,5 bis 2 | |
| ermittelt, bei IT und Dienstleistungen 2, Bildung und Gesundheit 1,5 bis | |
| 2,5. Zivile Investitionen haben also einen deutlich besseren Wirkungsgrad | |
| als militärische. | |
| Ohnehin dürften die allermeisten Rüstungsmilliarden nicht in Forschung und | |
| auch nicht in Panzer, Fregatten und Kampfflugzeuge fließen, erwartet Tilman | |
| Brück von der Berliner Denkfabrik International Security and Development | |
| Center. Tatsächlich verschlangen im vergangenen Jahr Besoldung, Verwaltung | |
| und Pensionszahlungen zwei Drittel des deutschen Verteidigungsetats. Die | |
| meisten militärischen Ausgaben seien halt nur konsumtiv, wie eben die | |
| Gehälter für Soldaten: „Ebenso könnten Sie die Gehälter von Lehrern | |
| erhöhen.“ | |
| 13 Mar 2025 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Ruestungsindustrie/!t5014265 | |
| [2] https://www.ifw-kiel.de/publications/guns-and-growth-the-economic-consequen… | |
| ## AUTOREN | |
| Hermannus Pfeiffer | |
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