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# taz.de -- SPD unter Druck: Nun hofft Olaf Scholz auf ein Comeback
> Der Noch-Kanzler ist kein Visionär. Im Wahlkampf wirkt er gewohnt spröde.
> Kann er den Tabubruch von Friedrich Merz für sich nutzen?
Bild: Olaf Scholz am Mittwoch im Bundestag. Seinen Kontrahenten geht er am Tag …
Berlin taz | Mit Fußball hat es der Gast sonst nicht so. Umso mehr freut
sich der Präsident des 1. FFC Turbine Potsdam, dass Olaf Scholz an diesem
eisigen 3. Januar ins Potsdamer Stadion am Luftschiffhafen zum Training
gekommen ist. „Gefühlt stehen wir Seite an Seite, also ein bisschen im
Keller“, sagt Präsident Karsten Ritter-Lang. Turbine Potsdam liegt
abgeschlagen auf dem letzten Tabellenplatz in der Bundesliga der Frauen.
Früher waren die Kickerinnen aus Potsdam mal ein Spitzenteam. „Das hat ja
Symbolcharakter“, sagt Ritter-Lang fröhlich.
Olaf Scholz ist an diesem ersten Freitag im neuen Jahr in seinem Wahlkreis
Potsdam unterwegs. Das politische Berlin ist noch in der Weihnachtspause,
Scholz’ Wahlkreistour ist sein Aufwärmtraining für den Bundestagswahlkampf.
Nur wenn die SPD am 23. Februar auf Platz eins landet, bleibt Scholz
Politiker. Gewinnt Scholz, ist Friedrich Merz weg; gewinnt Merz, geht
Scholz in Rente.
Der Beinahe-Rentner, die Hände in den Manteltaschen vergraben, kneift nach
der Begrüßung die Augen zusammen und verzieht die Mundwinkel. Es könnte ein
Lächeln sein. Es sind noch 51 Tage bis zur Wahl. Die SPD liegt Anfang
Januar in Umfragen weit hinter der CDU/CSU, im Kanzlerranking wetteifert
Scholz mit Alice Weidel um Platz vier.
Die Fußballerinnen, die im Halbkreis vor ihm stehen, trappeln mit den Füßen
auf dem gefrorenen Rasen, um sich warm zu halten. „Und ist die Spielfreude
da?“, fragt Scholz in die Runde. „Wollen Sie gewinnen?“ Die Frauen nicken.
„Klar! Und bei Ihnen?“ – „Auch beides“, sagt Scholz und nimmt die Hä…
den Taschen. Kämpfen und gewinnen wollen, das motiviere ihn.
## Wende im Wahlkampf?
Wie 2021. Vor drei Jahren stand die SPD zwei Monate vor der Bundestagswahl
auch bei nur 16 Prozent. Dann lachte Unionskanzlerkandidat Armin Laschet
am falschen Ort zur falschen Zeit. Die SPD gewann die Wahl. Jetzt paktiert
Unionskandidat Friedrich Merz mit der falschen Partei. Ist das die Wende im
Wahlkampf?
Die Vorzeichen für eine Wiederholung des Wunders von 2021 sind schlechter.
Die SPD kommt abgekämpft aus der Ampelkoalition. Scholz’ Image als
unauffälliger, aber effektiver Macher ist ramponiert. Das Ende der
Regierung hat ihn getroffen. Danach hat die SPD gezögert, ihn wieder zum
Spitzenkandidaten zu machen. Manche hätten den populäreren
Verteidigungsminister Boris Pistorius vorgezogen. All das hat Scholz Kraft
gekostet, heißt es aus seinem Umfeld. Er, der stählern Selbstbewusste, hat
nach dem Ampel-Aus an sich gezweifelt.
Der gewiefte Machtpolitiker hat untypische Fehler gemacht. Bei der Frage,
wann gewählt werden soll, hätte sich Scholz mit der Opposition auf einen
gemeinsamen Termin einigen können. Doch er hat sich über- und den Gegner
unterschätzt. Das Ergebnis: Er wirkte wie jemand, der aus Eigennutz einen
späten Termin wollte – und scheiterte. Den 23. Februar handelten
SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich und Merz aus. Noch ein Kratzer in der
Politur des Machers.
Im Januar scheint Scholz vor allem gegen sein eigenes Bild in der
Öffentlichkeit anzukämpfen – dröge, unnahbar, arrogant. Er absolviert einen
Wahlkampfauftritt nach dem andern – Bielefeld, Lünen, Münster, Chemnitz,
Halle, Wolfsburg, Lübeck, Schwalbach, Frankfurt, Erfurt – doch diese
Auftritte sind wie Schattenboxen. Sein Hauptgegner Friedrich Merz bleibt
weitgehend unsichtbar. Bis zum 23. Januar. Da wirft Merz die bisherige
Wahlkampfstrategie der Union über den Haufen, stellt seine Pläne zur
Begrenzung der Migration vor, mit Grenzschließungen und Einreiseverboten
für fast alle Asylbewerber, und kündigt an: „Kompromisse sind zu diesem
Thema nicht mehr möglich.“ Ihm sei gleichgültig, wer diesen Weg mitgehe.
Einen Tag zuvor hatte ein psychisch kranker Mann aus Afghanistan in
Aschaffenburg auf bestialische Weise eine Kitagruppe angegriffen.
## „Scholz will immer kontrollieren“
Merz will eine Wende in der Flüchtlingspolitik und setzt SPD und Grüne
unter Druck. Doch eingeladen fühlt sich vor allem die AfD. Am 29. Januar
verhelfen die Rechtsextremen dem Unionsantrag zur Mehrheit. Die
AfD-Fraktion feiert, die Unionsabgeordneten sind wie eingefroren.
Scholz nennt Merz im Bundestag zuvor einen Zocker. Er beschimpft ihn als
Populisten, als einen, der europäisches Recht breche, einen, dem man die
Führung eines Landes nicht anvertrauen könne. Dass Scholz nicht viel von
Merz hält, war schon immer klar. Selten hat er seine Verachtung für seinen
Herausforderer so deutlich gezeigt.
[1][Scholz hält sich sowieso für den am besten geeigneten Kanzler.]
Besonnen und rational. Seine Maxime: Immer das Heft des Handelns in der
Hand behalten. „Scholz will immer kontrollieren“, sagt Gesine Schwan,
Politikwissenschaftlerin und Vorsitzende der SPD-Grundwertekommission. „Er
kann nicht sagen: ‚Lasst es mal laufen.‘ Sein Verständnis von Verantwortung
ist, auf Nummer sicher zu gehen und genau zu kalkulieren, wie wir es
machen.“
Schwan, die Scholz lange kennt, meint das nicht nur positiv. Also habe
Scholz auch jede Diskussion in der SPD über den richtigen Kurs erstickt.
„Er wollte keine diskutierende Partei, das war ihm zu viel Risiko. Er hat
wenig Vertrauen in das Verantwortungsbewusstsein anderer Sozialdemokraten.“
Doch zu diskutieren sei eine Menge, gerade nach dem russischen Angriff auf
die Ukraine, mit dem Erstarken der AfD. Wie buchstabiert man Solidarität,
Freiheit, Gerechtigkeit aus in einer Welt, in der die Trumps, Putins und
Xis den Ton angeben? Für wen macht man Politik?
## Scholz verteidigt harte Asylpolitik
Die SPD hat den Mindestlohn auf 12 Euro erhöht. Doch das reicht wegen der
Inflation kaum zum Leben. Das Bürgergeld, das die Hartz-IV-Wunde heilen
sollte, ist auch in der eigenen Wählerklientel umstritten. Und bei der
Migration, dem Wahlkampfthema derzeit, ist die SPD-Klientel ebenfalls
gespalten.
Sonntag, 19. Januar. Schwalbach, eine Trabantenstadt nahe Frankfurt,
60er-Jahre-Betonbauten. Das Bürgerhaus ist klein und bis auf den letzten
Platz gefüllt. Beim Bürgergespräch mit dem Kanzler kritisiert eine Frau,
dass es bei Migrationspolitik nur Verschärfungen gibt. Andere bemängeln,
dass Migranten schlecht Deutsch sprechen und sich zu wenig integrieren.
Scholz verteidigt die härtere Asylpolitik.
Unter seiner Führung hat die SPD unter Murren zahlreiche Verschärfungen
mitgetragen: [2][Bezahlkarten für Asylbewerber], verlängerter
Ausreisegewahrsam, raschere Abschiebungen. Alles an der Grenze des
Rechtskonformen. Scholz mahnt, an, dass die Ausländerbehörden effektiver
arbeiten müssen und die Bundesländer nicht Jahre brauchen, um Asylanträge
zu bearbeiten. Die Botschaft lautet: Wir kümmern uns. Migration, das
Megathema, das den Westen durchschüttelt, schrumpft bei Scholz zu einem
Problem effektiver Verwaltung.
Scholz ist kein Visionär. Sondern der Mann, der im Maschinenraum alle
Stellschrauben kennt. Er hat immer das Machbare im Blick, das man
vernünftig und in Zimmerlautstärke formuliert. Einen Klempner der Macht
nannte Merz ihn. Das trifft es. Scholz’ Problem ist: All die
Berechenbarkeit, die Planbarkeit, das Kleinteilige seiner Politik hat das
Vertrauen der Menschen in ihn nicht erhöht. Im Gegenteil. Viele seiner
Pläne scheiterten. Die Umwidmung von 60 Milliarden Euro Coronaschulden in
den Klimafonds kassierte das Bundesverfassungsgericht.
## Nüchtern, gelegentlich oberlehrerhaft
Die grüne Transformation, die, wie Scholz kühn prophezeite, jährliche
Wachstumsraten von 5 Prozent bescheren werde, stockt. Die Wirtschaft
schrumpft seit zwei Jahren. Die Aussichten für 2025 sind mies. Kann der
Kanzler diese Krisen wenigstens erklären? Zeigen, dass er trotz der
Rückschläge der Richtige ist?
Wolfsburg, 17. Januar. Die erste SPD-Großveranstaltung. Der Ort ist wohl
gewählt. Bei VW, dem Leuchtturm der Mitbestimmung, kriselt es. VW ist
Symbol für die bundesdeutsche Industrie – und jetzt auch für massive
Abstiegsängste. Scholz’ Auftritt soll zeigen, dass in der Krise auf die SPD
Verlass ist.
Die Halle ist fast voll, 1.500 Leute, nicht nur GenossInnen. Drei
GymnasiastInnen wollen den Kanzler mal live mitbekommen und hören, was er
gegen die Malaise in Wolfsburg tun will. Die spüren sie. Das Schulessen
ist nicht mehr umsonst, sagen sie, weil VW weniger Geld für die Schule
spendet. Und: In Wolfsburg ist alles VW, sagen sie achselzuckend. „Mehr für
Dich. Besser für Deutschland“ lautet der Slogan über der Bühne. In
Wolfsburg wäre „Nicht weniger für Dich“ auch schon eine gute Nachricht.
Scholz schlendert betont locker auf die Bühne und sagt: „Hallo Wolfsburg.“
Pause. „Ich fange so normalerweise keine Rede an.“ Verlegen befingert er
das Mikrofon. Bemüht sich Fahrt aufzunehmen. Wolfsburg sei wegen VW, Krise,
Industrie derzeit etwas Besonderes. Scholz redet eine knappe Stunde. Kein
Wort mehr über Wolfsburg, keine Aufmunterung, kein Versprechen. Die
Wahlkampfrede ist ein halber Vortrag über Wirtschafts- und Finanzpolitik.
Er reiht Fakten aneinander, ohne emotionalen Wärmestrom. Als er den
Made-in-Deutschland-Bonus erwähnt, eine von der SPD geplante Steuerprämie
für Investitionen, applaudieren einige. „Erst klatschen, wenn ich es
erklärt habe“, sagt der Kanzler.
## Scholz profunde Stärken
Nüchtern, gelegentlich oberlehrerhaft. Catchy geht anders. Man kann Scholz
viel vorwerfen. Dass er seinem Publikum nach dem Mund redet, gehört nicht
dazu. Er ist der Gegenpol zum dampfenden Gefühlspopulismus von Markus Söder
und zu Friedrich Merz’ schneidiger Macherattitüde.
Die schärfste Kritik-Formel, die Olaf Scholz in den Hallen und
Bürgerhäusern der Republik im Januar verwendet, lautet: „Das ist nicht in
Ordnung.“ Die faktische Abschaffung des Asylrechts, die die Union betreibt,
„nicht in Ordnung“, dass die Union Reichen Milliarden ohne
Gegenfinanzierung schenken will: „nicht in Ordnung“. Die Union umwölkt er
meist als „der politische Mitbewerber“. Den Namen Merz erwähnt er nicht.
Braucht man vier Wochen vor der Wahl in fast aussichtsloser Lage vor dem
zugeneigten, freundlichen Publikum in Wolfsburg und Frankfurt, Halle und
Schwalbach, nicht mehr Schwung, Verve, Risikobereitschaft? Mehr „Wir gegen
die“?
Scholz redet oft leise. Er hält das Mikro etwas zu weit nach vorn. Leise zu
reden ist keine Machtgeste so wie bei Scholz’ Amtsvorgänger Helmut Schmidt,
der mit Kunstpausen, Schweigen arbeitete, um zu zeigen, wer das Sagen hat
und das Tempo diktiert. Scholz’ leise Ansprache wirkt zurückhaltend.
Eigentlich ist er schüchtern. Er mag keinen Smalltalk. Selbst auf
SPD-Festen wirft er sich selten ins Getümmel und redet lieber mit Leuten,
die er kennt.
Scholz hat durchaus profunde Stärken. Er verkörpert Souveränität, Vorsicht,
Maß und Mitte. „Er setzt auf Argumente“, sagt Schwan. „Und er hat auch
gute. Das Problem ist nur: Sie kommen nicht an.“ Dem Kanzler sei es bisher
nicht gelungen, die kommunikative Mauer zwischen sich und dem Wahlvolk zu
durchbrechen. Er wirkt auf viele kalt, fern, technokratisch.
## Manche sagen Scholz wäre oft witzig
Dabei versucht Scholz fast alles, um das zu ändern. Er macht tausende
Selfies. Er besucht tapfer online Ratesendungen und lässt sich in der
„heute-show „veralbern. In Köln hält er als Hamburger beim Neujahrsempfang
der Handelskammer eine kurze Büttenrede. „Manche sagen, wir sind dröge.
Doch das ist ’ne glatte Löge.“ Er tritt bei der hessischen Online-Talkshow
„Bembel und Gebabbel „auf, wo er durch ein Spalier von leicht bekleideten
Frauen mit SPD-Fähnchen gehen muss. Dazu plärrt es aus den Lautsprechern:
„Das ist die großen bunte Olaf Show.“
Scholz will das Publikum erreichen, dass nie Tagesschau guckt. Er versucht
locker zu erscheinen. Doch das sind Auswärtsspiele für ihn. Bei einem
Auftritt vor SPD-Klientel in Frankfurt fragt ein Genosse, ob Olaf, obwohl
Norddeutscher, nicht mal einen Witz erzählen wolle. Das findet Genosse Olaf
nur bedingt lustig. „Heute nicht“, sagt er.
Dabei kann er im kleinen Kreis ganz anders sein. „Der Kanzler ist oft
witzig und gut gelaunt“, sagt sein Sprecher Steffen Hebestreit. Er sei ein
„wirklich guter Chef“ – rücksichtsvoll und verlässlich. Hebestreit nimmt
„Olaf“ sogar vor Journalisten auf den Arm. „Bloß nicht zu emotional“,
witzelt er vor Hintergrundgesprächen schon mal. Und Olaf grinst.
Übertriebenes Machtbewusstsein, gesteigerten Geltungsdrang oder
Mackerattitüden kann man Scholz nicht vorwerfen.
Dass Politiker süchtig nach Macht sein sollen, gilt als eine Art
Generalschlüssel, um zu erklären, wie sie ticken. Für Scholz trifft diese
Diagnose nur bedingt zu. Ihn treibt eher ein Pflichtethos, so wie es bei
seinem Vorbild Helmut Schmidt der Fall war. Scholz ist längst nicht so
barsch und herablassend wie Schmidt. Aber wie Schmidt versteht Scholz
Politik als Geschäft, in dem Visionen eher stören. Wie sein Vorbild ist
Scholz ein Ideologe des Pragmatismus. Und natürlich ist er immer schlauer
als die anderen, auch wenn die das natürlich erst später begreifen werden.
## Es geht ihm viel um Geld
Mittwoch, 22 Januar. [3][Scholz fliegt, zwei Tage nach Trumps
Amtseinführung, nach Paris.] Das soll zeigen, dass Europa sich nicht von
Trump spalten lässt. Scholz redet im Flugzeug eine Stunde lang mit den
mitreisenden Journalisten. Ein Hintergrundgespräch, aus dem nicht zitiert
werden darf. Doch Scholz gibt ein paar Sätze frei. Das ist ungewöhnlich.
Aber so wichtig ist ihm seine Botschaft: Die Kritik an den unseriösen
Plänen seiner politischen Mitbewerber für zusätzliche Militärhilfen an die
Ukraine. Grüne, FDP und Union fordern zusätzliche drei Milliarden Euro für
die Ukraine. Scholz weist sie in scharfen Worten zurecht. Wirft ihnen vor,
die Öffentlichkeit zu belügen. Es gebe 2025 ein Haushaltsloch von 25
Milliarden Euro.
Man müsse schon sagen, woher das Geld kommen soll. Das, so der Kanzler, der
selten Ich sagt, „empfinde ich als Skandal.“ Und: „Einfach zu behaupten,
das würde trotz der Finanzlücke schon irgendwie gehen, hat das Niveau von
Sprücheklopfern.“ Sprücheklopfer sollen die anderen sein. Nur er rechnet
seriös.
Seine Kernbotschaft, die er leise, aber stetig wiederholt, lautet: Nur mit
der SPD wird Ukraine-Unterstützung und Verteidigung nicht zu Lasten von
Renten und Sozialem gehen. Kein Entweder-oder, sondern ein Sowohl-als-auch.
Scholz erklärt das immer wieder. Wenn er es erklärt, regnet es Zahlen: 12,5
Milliarden, 3 Milliarden, 25 Milliarden. Haushaltspolitik ist kompliziert.
Dabei hat die SPD noch nie eine Wahl mit Finanzpolitik gewonnen.
Als der Kanzler nach Paris fliegt, tötet ein psychisch kranker Flüchtling
aus Afghanistan in Aschaffenburg ein zweijähriges marrokanisches Kind und
einen 41-jährigen. Es braut sich ein Stimmungsorkan zusammen, der die
Wahlkampfstrategie der SPD vom Tisch zu fegen droht. Im Dezember hatte ein
SPD-Stratege prophezeit: „Wir haben eine Chance, wenn der Wahlkampf um
Soziales geht. Wenn es um Migration geht, verlieren wir.“ Es gibt eine
aktuelle Zahl, die SPD-Wahlstrategen Kopfzerbrechen machen muss. Die
SPD-Klientel hat Sympathien für Merz' Grenzen-dicht-Parole. [4][52 Prozent
der SPD-Anhänger sind dafür, 37 dagegen.] Die eigene Anhängerschaft ist
gespalten.
## Die Wahlkampf-Dramaturgie wird neu geschrieben
Doch geht es nun nicht nur um Migration, sondern auch um die Sprengung der
Brandmauer gegen rechts. Denn genau das hat Merz getan: Die Union setzt
einen knallharten Asylantrag, auf den die AfD das politische Copyright
anmeldet, mit AfD-Stimmen durch. Damit geht der Union-Kandidat im Wahlkampf
„all in“, ein Begriff aus dem Poker. „All in“ geht nur, wer im Spielver…
kaum noch Chancen hat. Dabei liegt die Union in Umfragen weit in Führung.
Doch Merz sprengt den Anti-AfD-Konsens der politischen Mitte in die Luft.
Die Wahlkampf-Dramaturgie wird neu geschrieben.
Dienstagabend, 28 Januar. Scholz steht auf einer kleinen Bühne im Festsaal
Kreuzberg in Berlin. Er wirkt selbstsicherer. Er redet flüssiger, und
reagiert spontan auf Zwischenrufe. Für Merz‘ Tabubruch gebe es „keine
Entschuldigung“, sagt er. Und: Es dürfe „keine schwarz-blaue Mehrheit im
Bundestag geben“. Abteilung Attacke. Tosender Beifall. Dass Merz ohne Not
der AfD die Tür geöffnet hat, wirkt auf Scholz wie eine Sauerstoffzufuhr.
Er hat nun endlich den Gegner vor sich, auf den er sich gefreut hat:
erratisch, unzuverlässig, affektgesteuert. Im Wahlkampf, im Bundestag, im
Interview bei „Maischberger“ wirkt Scholz wie ausgewechselt. Das Hölzerne,
Steife, Buchhalterhafte scheint wie weggeblasen.
Die SPD hat dem Moment entgegen gefiebert, in dem Merz, der sich wochenlang
keine Blöße gab, endlich im Ring auftaucht. Nicht nur Scholz kommt in
Schwung. Es liegt Spannung in der Luft, es geht nun um Grundsätzliches.
Plötzlich ist die Chance greifbar, dass Scholz, trotz Ampelcrash, wieder in
seiner Lieblingsrolle wahrgenommen wird – als der verantwortliche
Staatsmann, den nichts aus der Ruhe bringt. Denn Merz' Zickzack-Kurs in
Sachen AfD, das Sprunghafte, Unberechenbare, müsste auf frühere
Merkel-WählerInnen doch abschreckend wirken. Die Ex-Kanzlerin rüffelt Merz
öffentlich, weil er mit der AfD gemeinsame Sache gemacht hat. Ist das ein
Kipppunkt wie 2021, als die Union in internem Streit versank – und der
blasse Scholz vielen als das kleinere Übel erschien?
Die Wahl entscheiden „weder Meinungsmacher noch Umfrageinstitute“, sagt
Scholz stoisch. Er scheint wieder an seine Chance zu glauben. Scholz, der
Mann des Comebacks, der auftaucht, wenn ihn alle abgeschrieben haben.
Anmerkung: In einer früheren Version dieses Textes stand, dass 1. FFC
Turbine Potsdam in der Oberliga spielen würde. Das ist falsch. Die
Frauschaft spielt in der Bundesliga.
1 Feb 2025
## LINKS
[1] /SPD-zu-Merz-Asylvorschlaegen/!6064793
[2] /Kommunalpolitikerin-ueber-Bezahlkarten/!6058078
[3] /Scholz-Besuch-in-Paris/!6060154
[4] https://www.tagesschau.de/inland/deutschlandtrend/deutschlandtrend-3456.html
## AUTOREN
Stefan Reinecke
Anna Lehmann
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