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# taz.de -- Linkenkandidat Sören Pellmann: Roter Rettungsschirm im Gegenwind
> Sören Pellmann kämpft darum, das Direktmandat für die Linke in Leipzig zu
> verteidigen. Doch ein neuer Kandidat könnte ihm gefährlich werden.
Bild: Kämpft gegen das BSW in Leipzig: Linkendirektkandidat Sören Pellmann
LEIPZIG taz | Anfang Januar türmen sich im Linke-Büro im Leipziger
Stadtteil Grünau Kartons. Auf den Tischen liegen Sticker und Flyer
verstreut. Der Wahlkampf ist in vollem Gange, doch für Sören Pellmann hat
er eigentlich nie aufgehört. Auch [1][nach seinem Sieg bei der
Bundestagswahl 2021] stellte er regelmäßig Infostände in seinem Wahlkreis
auf und verteilte Flyer.
Bevor es an diesem Mittag zum nächsten Infostand in Grünau geht, sitzt
Sören Pellmann tief in die Polster seines roten Sofas im Wahlkreisbüro
gesunken, das linke Bein über das rechte geschlagen und die Hände hinter
dem Kopf verschränkt. Wenn er von der Linken spricht, dann geht es ihm
hörbar um mehr als nur eine Partei.
Als er zu seinem 16. Geburtstag eintrat, habe er politisches Denken als
„Kümmerer“ gelernt. Heute, 32 Jahre später, nennt er die Linke „so etwas
wie eine Familie“. Auch alle leiblichen Familienmitglieder seien in der
Linken, erzählt er. Schon sein Vater, Dieter Pellmann, war Abgeordneter der
PDS und später der Linken im sächsischen Landtag.
Auch im laufenden Bundestagswahlkampf setzt die Partei große Hoffnungen in
den Namen Pellmann. Als Sören Pellmann das erste Mal als Direktkandidat in
Leipzig antrat, 2017, gewann er mit 25,3 Prozent und weniger als einem
Prozentpunkt Vorsprung gegen den CDU-Kandidaten Thomas Feist. 2021 bekam er
22,8 Prozent der Stimmen, lag dafür aber mit mehr als 4 Prozentpunkten
deutlicher vor der Zweitplatzierten, Paula Piechotta (Grüne).
## Mission Silberlocke könnte scheitern
Auch dieses Mal will Pellmann das Direktmandat – vermutlich braucht es die
Linke dringend. [2][Ihre Umfragewerte dümpeln seit über einem Jahr bei 5
Prozent oder darunter]. Im aktuellen Wahlkampf versucht sie sich deshalb
abzusichern mit der „Mission Silberlocke“: prominenten Direktkandidaten im
Rentenalter. Bodo Ramelow, Gregor Gysi und Dietmar Bartsch werben mit
flotten Sprüchen und breitem Lächeln dafür, die Linke zu „retten“. Drei
Direktmandate sichern einer Partei den Einzug in den Bundestag, selbst wenn
sie an der Fünfprozenthürde scheitert.
2021 war Pellmann einer der drei Direktkandidat:innen, die der Linken den
Wiedereinzug ins Parlament ermöglichten. Ob das diesmal gelingt, bleibt
ungewiss. Dietmar Bartsch etwa lag im seinem Wahlkreis in Rostock 2021 neun
Prozentpunkte hinter der SPD-Siegerin. Und in Leipzig könnte ausgerechnet
ein früheres Parteimitglied Pellmann gefährlich werden: Eric Recke,
Sozialarbeiter und Kandidat des Bündnisses Sahra Wagenknecht (BSW).
„Ich empfinde die Kandidatur als Provokation“, sagt Pellmann mit
zusammengebissenen Zähnen, als das Mitte Januar herauskommt. Das BSW habe
keine Chance, das Direktmandat im Leipziger Süden zu gewinnen, glaubt der
Gruppenvorsitzende der Linken im Bundestag. Doch jede Stimme zählt, [3][und
weil das BSW im vergangenen Jahr vor allem Wähler:innen der Linken von
sich überzeugt hat], könnte die Kandidatur von Recke in diesem Jahr
Pellmann den Sieg kosten.
Pellmann wuchs in Grünau auf, einer der größten DDR-Plattenbausiedlungen.
Vor dem Linke-Büro hört man ausgelassene Kinderstimmen, es klingt ein
bisschen nach Freibad. Sie schallen herüber von dem Gymnasium, das auch
Pellmann besuchte. Später arbeitete er selbst als Lehrer.
## Pellmann unterschrieb Wagenknecht-Brief zu Russland
Warum die Linke so schlecht dasteht, versteht Pellmann nicht ganz. „Aber es
tut weh“, sagt er Anfang Januar auf dem roten Sofa, noch bevor Reckes
Kandidatur öffentlich wird. Nach der Abspaltung Wagenknechts sei der
ständige persönliche Streit eigentlich vorbei. Doch der Stimmenzuwachs
blieb zunächst aus, obwohl die Mitgliederzahl 2022 von 50.000 auf 60.000
stieg. In Leipzig kamen rund 1.000 neue Mitglieder hinzu, berichtet der
Stadtverband.
In Berlin galt Pellmann bis zur Wahl 2021 als unauffälliger Hinterbänkler,
der mehr Zeit im Wahlkreis als im Parlament verbrachte. Er ist bis heute
stellvertretender Fraktionsvorsitzender der Linken im Leipziger Stadtrat.
Nach seinem Wahlerfolg 2021 strebte er den Fraktionsvorsitz im Bundestag
und den Bundesvorsitz der Partei an – beides ohne Erfolg.
2024, nach der Gründung des BSW und der Umwandlung der Linksfraktion zur
Gruppe, wurde Pellmann deren Co-Vorsitzender. Dass er selbst nicht zum BSW
wechselte, überraschte manche Beobachter:innen. Am 27. Februar 2022, drei
Tage nach Russlands Invasion in die Ukraine, unterzeichnete er mit
Wagenknecht und anderen eine Erklärung. Darin verurteilten sie den Angriff,
forderten einen Waffenstillstand und den Rückzug russischer Truppen.
Außerdem warnten sie vor einer Aufrüstung und gaben den USA eine
Mitverantwortung für die Situation. Alle Mitunterzeichner:innen
wechselten später zum BSW – außer Pellmann.
Auf dem roten Sofa in Grünau räumt Pellmann fast drei Jahre später mit
ruhiger Stimme ein: „Ich habe die Erklärung damals nicht im Detail gelesen.
Ich würde sie heute so nicht wieder unterschreiben.“ Gegen
Waffenlieferungen für die Ukraine bleibt er, denn sie brächten keinen
Frieden. Klar sei aber auch, dass die russische Seite „derzeit wenig
Interesse“ an Frieden habe.
## Intensiver Plakatwahlkampf
Ein Wechsel zum BSW sei für ihn nie eine Option gewesen. „Eine andere
Partei als die Linke kann ich mir nicht vorstellen“, sagt er. Mit einem
Harte-Kante-Zeigen gegen das Bündnis habe sich Pellmann trotzdem
zurückgehalten. Doch wenn es nun gezielt die Erfolg versprechenden
Wahlkreise der Linken angreife, „werde ich diesen Schongang nicht mehr
halten können“.
Einen Tag nachdem Pellmann das sagt, meldet die Leipziger Volkszeitung,
dass Eric Recke für das BSW in Leipzig Süd antritt. Insgesamt hat das BSW
nur in sieben von 16 sächsischen Wahlkreisen Kandidat:innen
aufgestellt. Die Strukturen seien noch nicht so ausgeprägt, heißt es von
der Landesspitze. Recke, der keine Zeit für ein Treffen mit der taz hatte,
erklärt per Mail, er wolle in den Bundestag, weil sich nur dort „unsere
Beteiligung an den Kriegen in der Ukraine und im Nahen Osten beenden“
lasse. Unter Willy Brandt sei die Bundesrepublik Mittlerin zwischen den
Völkern gewesen. „Das wünsche ich mir wieder.“
Recke war früher Mitglied der Linken, davor bei der Jungen Union. Seit der
Kommunalwahl 2024 führt er die BSW-Fraktion im Leipziger Stadtrat. Ob er
Pellmanns Sieg gezielt verhindern wolle? „Ich vertrete die Positionen
meiner Partei“, antwortet er.
Während der Wahltermin näherrückt, hängen immer mehr Plakate an den
Laternen, obwohl viele wieder abgerissen werden. Im Leipziger Süden
dominiert die Linke das Erscheinungsbild. Pellmann plant mit 15.000
Plakaten, viel hilft viel. Ein Bildmotiv setzt sich aus drei Plakaten
zusammen: Das obere zeigt Pellmanns Gesicht, das mittlere seinen Torso, das
untere seine Füße. So hängt er in Lebensgröße neben der Straße. Hinzu kä…
50 Großflächenplakate und 50 Litfaßsäulen. „Die doppelte Anzahl im
Vergleich zu 2021“, sagt der Linke und klingt dabei ein bisschen stolz.
Das BSW wirbt laut der Regionalleitung der Partei in ganz Leipzig mit rund
1.000 Plakaten. Das Budget sei klein, bestätigt Recke. Wie Pellmann seinen
großzügigen Wahlkampf finanziert, bleibt ein Thema. 2022 ließ er eine
[4][Spiegel-Anfrage] unbeantwortet.
Ein Anwalt habe ihm dazu geraten, erklärt er nun der taz. Es seien 25
Fragen gewesen, die seinen letzten Aufenthalt in Russland und gezielt
bestimmte Firmen angesprochen hätten, „von denen ich noch nie gehört
hatte“, sagt Pellmann. Damals wie heute habe er ein Budget von etwa 100.000
Euro. Von der Partei komme etwa die Hälfte. Die andere Hälfte stamme privat
von ihm oder von Unterstützer:innen. „2021 waren es 195 Spenderinnen und
Spender, die zwischen 5 Euro und 1.000 Euro gegeben haben, alle mit
Wohnsitz in Deutschland“, versichert Pellmann.
## Vor allem die Kinderarmut möchte Pellmann bekämpfen
Der Jahresabschlussbericht des Stadtverbands von 2021 bestätigt die
Dimensionen. Er liegt der taz vor. Von den etwa 141.000 Euro für den
Wahlkampf in Leipzig waren 86.000 Euro ausschließlich für Pellmanns
Wahlkreis im Süden vorgesehen, 10.000 Euro für seine Parteikollegin Nina
Treu im Wahlkreis Leipzig Nord und 44.000 Euro für das gesamte Stadtgebiet.
Kurz nach diesem Gespräch bricht Pellmann auf. Um 14 Uhr steht ein
Infostand nördlich des Allee-Centers an, 500 Meter von seinem Büro
entfernt. Pellmann stellt sich vor ein Lastenrad und verteilt rote Tütchen
mit Stickern und Flyern für einen Mietendeckel. Er kämpft für
Rentengerechtigkeit im Osten und eine Krankenversorgung für alle. Was die
Wähler:innen interessiert, hänge teilweise vom Stadtteil ab, erklärt
er. In der Südvorstadt sei es eher Bildung, in Grünau, wegen der anderen
Lebenssituation, eher die Bezahlbarkeit des Alltags. Sein wichtigstes
Anliegen bleibt die Bekämpfung von Kinderarmut.
Pellmann verteilt weiter. Im kalten Wind vor dem Allee-Center hängt der
rote Sonnenschirm an seinem Fahrrad bedenklich schief.
3 Feb 2025
## LINKS
[1] /Linkspartei-in-der-Krise/!5805756
[2] /Neue-Prognose-fuer-Bundestagswahl/!6062696
[3] /Linke-gegen-AfD-und-BSW/!6048179
[4] https://www.spiegel.de/politik/deutschland/soeren-pellmann-die-merkwuerdige…
## AUTOREN
David Muschenich
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