# taz.de -- AfD-Wahlkampfauftakt in Halle: Bier, Bratwurst, Rassismus | |
> 4.000 nationalistisch berauschte AfD-Fans feiern in Halle den | |
> Wahlkampfauftakt mit Weidel. Die Stimmung ist machttrunken – auch dank | |
> CDU-Chef Merz. | |
Bild: Nächster disruptiver Eingriff in eine liberale Demokratie von Elon Musk:… | |
Halle taz | Am Ende war es dann doch wieder stumpfer Rassismus: In dem | |
Moment, als AfD-Spitzenkandidatin Alice Weidel in ihrer Rede massenweise | |
Abschiebungen fordert sowie den völkischen Euphemismus „Remigration“ mal | |
wieder zur Aufführung bringt, johlen die meisten der rund 4.000 AfD-Fans | |
lautstark auf. Eine Frau Ende fünfzig mit schwarzer Kurzhaarfrisur und | |
Kassenbrille ruft: „Raus damit!“ Ein vor ihr sitzender Mittdreißiger mit | |
kurzgeschorenen Seiten und zur Seite gegelten Restscheitel wird noch | |
deutlicher: „Raus mit de Viecher!“, brüllt er. Niemand hier stört sich | |
daran, ein paar lachen. | |
Es ist der offizielle AfD-Wahlkampfauftakt in Halle an der Saale. Die | |
autoritär-nationalradikale Partei hat für eine mehrere Stunden dauernde | |
Show die Messehalle gebucht. Die Anhänger skandieren während Weidels Rede | |
abwechselnd „A-lice“, „Ab-schie-ben“ und den an den verbotenen SA-Spruch | |
angelehnten Spruch „Alice für Deutschland“ und schwenken Deutschlandfahnen. | |
Alice Weidel zeigt mit ihren Händen Herzen in die Menge und ruft: „Ich | |
liebe euch!“ | |
Kurz zuvor hatte die vor Stolz triefäugige Weidel noch live den | |
Tech-Oligarchen Elon Musk den AfD-Fans auf einer riesigen Leinwand | |
zugeschaltet. Die AfD-Anhänger feierten ihn wie einen Heiland. Jene Leute, | |
die sich sonst gegen die Elite aufhetzen lassen und sogar Elektroautos oder | |
Windräder leidenschaftlich hassen, ließen sich von Musk bauchpinseln und | |
jubelten ihm zu, als er sagte, dass die Deutschen stolz auf sich sein | |
sollten und gegen „Multikulturalismus“ wetterte. Als Musk dann auch noch | |
Geschichtsrevisionismus auspackte und sagte, dass die Deutschen die „Schuld | |
überwinden“ sollten, war ihm Jubel in der Halle sicher, auch wenn nicht | |
wenige Anhänger bei seiner hölzernen Ansprache auf Englisch zeitweise etwas | |
lost in translation wirkten. | |
## Elitenhass meets Turbokapitalismus | |
Es war ein surrealer Moment – der populistische Elitenhass von Pegida | |
trifft auf den Turbokapitalisten schlechthin und feiert ihn ekstatisch, als | |
Musk von einer meterhohen Leinwand seinen Wahlaufruf für die AfD erneuerte | |
und sich damit [1][einmal mehr in Wahlkämpfe einer liberalen Demokratie | |
einmischte] – wohlgemerkt als Teil der US-Regierung. | |
Der offizielle AfD-Wahlkampfauftakt sollte wohl an die amerikanischen | |
MAGA-Rallies von Donald Trump erinnern. So ganz hat das allerdings nicht | |
geklappt: Zwar war der Publikumsbereich für den Showeffekt abgedunkelt und | |
wurde bei vielen Gelegenheiten mit wummernden Bässen beschallt und einer | |
Lightshow bestrahlt. Aber zwischen den Reden gab es dann keine Rockstars | |
oder Profi-Wrestler, sondern musikalisch eher unglamouröse Acts, die dann | |
doch eher Musikantenstadl meets Querdenken waren. Die Stuhlreihen der Halle | |
durchwehte immer wieder der Fußballkurvenhauch von Bratwurst, Bier und | |
Furz. | |
Und auch vor den Türen der Messehalle gab es andere Verhältnisse als in den | |
autoritär gekippten USA: [2][Allein in Halle demonstrierten rund 10.000 | |
Menschen gegen den AfD-Wahlkampfauftakt]. Im Berliner Regierungsviertel | |
gingen gar zeitgleich 100.000 Menschen auf die Straße, um ein Zeichen gegen | |
Rechtsextremismus zu setzen. Auch in weiteren Städten gingen bundesweit | |
Tausende an diesem Samstag auf die Straßen – im schleswig-holsteinischen | |
Neumünster etwa kamen auf 150 Teilnehmer*innen einer AfD-Veranstaltung | |
etwa 2.000 Gegendemonstrant*innen. | |
## Der beste Wahlkämpfer der AfD: Friedrich Merz (CDU) | |
Gesellschaftlicher Widerspruch tat der nationalistischen berauschten | |
Stimmung in Halle allerdings keinen Abbruch – bei der Erwähnung politischer | |
Gegner und auch der Gegendemonstrant*innen kippte die Stimmung in der | |
Halle deutlich ins Aggressive: Sobald die Sprache auf Grünen-Politiker kam, | |
steigerte sich das Publikum in eine aufgeladene, mobartige Stimmung hinein. | |
Als etwa ein Bild von Robert Habeck mit der Überschrift „Schwachkopf“ | |
eingeblendet wurde, buhten, pfiffen und schimpften die AfD-Fans lautstark. | |
Später wünschten Teilnehmer die Ampelregierung an die Front im | |
Ukrainekrieg. Ein Mann mit einem halben Liter Bier in der Hand rief: | |
„Sollen sie sich doch da erschießen lassen“. Auf der Bühne hauten | |
AfD-Politiker ungehemmt radikale Positionen raus. | |
Es war ein Heimspiel für Weidel, die teils langen Applaus und Standing | |
Ovations bekam für die üblichen düsteren Szenarien, die sie von | |
Deutschlands vermeintlichen totalen Niedergang zeichnete – wobei | |
insbesondere das AfD-Wahlprogramm laut Experten [3][vor allem | |
wirtschaftspolitisch verheerend wäre und vor allem Reichen zugutekäme]. Was | |
allerdings hier im nationalistischen Rausch offenbar niemanden | |
interessierte. | |
Interessant war: Die Union ging Weidel in ihrer Rede weniger scharf als | |
zuletzt an. Sie stichelte vielmehr: „Liebe CDU, reißt die undemokratischen | |
Brandmauern ein! Der Wähler will eine blau-schwarze Koalition“, rief sie. | |
Das stimmt zwar nicht, weil eine deutliche Mehrheit der Deutschen trotz | |
hoher AfD-Umfragewerte bei 20 Prozent es vehement ablehnen, dass eine | |
Regierung mit AfD-Beteiligung zustande kommt. Dennoch sitzt der Satz von | |
Weidel. | |
Denn der beste Wahlkämpfer der AfD war an diesem Samstag nicht in der | |
Halle: Der nämlich heißt Friedrich Merz und ist Kanzlerkandidat der CDU. | |
Der hat die [4][furchtbare Messerattacke in Aschaffenburg] eines | |
ausreisepflichtigen Asylbewerbers für eine populistische Selbstinszenierung | |
als Möchtegern-Trump genutzt. Merz sagte, mit ihm als Kanzler würde es am | |
ersten Tag im Amt Zurückweisungen von Flüchtlingen an der Grenze geben. | |
Aber damit nicht genug: Für viel auch CDU-interne Kritik sorgte dann seine | |
Ankündigung, noch vor der Wahl am 23. Februar umfassende Anträge zu | |
Migration zur Abstimmung bringen zu wollen – und somit auch Stimmen der AfD | |
mitzunehmen. Also exakt das, was die AfD seit Wochen gefordert hat. Es ist | |
eine Absage an die von Merz zuvor vielfach betonte politische Isolation der | |
autoritär-nationalradikalen Partei – und möglicherweise ein Anfang vom Ende | |
der Brandmauer auf Bundesebene. | |
## Höcke reiste nach Aschaffenburg | |
Zuvor hatte [5][Merz strikt abgelehnt], Anträge aufzusetzen, die mit | |
Stimmen der AfD durchgehen könnten: „Ich möchte, dass wir jetzt nur noch | |
die Dinge auf die Tagesordnung setzen, die wir vorher im Konsens von | |
Opposition und restlicher Regierung vereinbart haben, ums uns alle davor zu | |
bewahren, dass wir plötzlich Zufallsmehrheiten mit AfD oder Linken haben. | |
Ich will das nicht!“, hatte Merz nach dem Bruch der Ampel-Koalition | |
deutlich gesagt. Diese Woche hieß es dann von ihm: „Mir ist es völlig | |
gleichgültig, wer diesen Weg politisch mitgeht“. Kompromisse seien „nicht | |
mehr möglich“. | |
FDP, BSW und AfD zeigten sich für die Merz-Vorschläge offen. Es bräuchte | |
allerdings dazu auch noch ein paar Stimmen von fraktionslosen Abgeordneten | |
(unter anderem AfD-Abtrünnige), um auf eine Mehrheit zu kommen. Es ist also | |
noch keineswegs ausgemacht, dass ein CDU-Antrag zur Migration nächste Woche | |
mit der AfD als Zünglein an der Waage durchkommt – zumal es in der Union | |
nach der Merz-Ankündigung gewaltig rumort. | |
Eines hat Merz aber schon jetzt erreicht: Für die berauschten AfD-Anhänger | |
in der Messehalle von Halle aber fühlt es sich offensichtlich so an, als | |
wäre die AfD bereits an der Macht. Für die AfD kam das Merz-Manöver | |
durchaus unerwartet, hinter den Kulissen lachen sich AfD-Funktionäre und | |
-Politiker ins Fäustchen über so viel unverhoffte Wahlkampfhilfe von Merz. | |
Der parlamentarische Geschäftsführer Bernd Baumann sprach gar offen von | |
einer „Revolution“ und auch Weidel triumphierte bereits tags zuvor auf X: | |
„Die Brandmauer ist gefallen!“ | |
Zeitgleich instrumentalisieren sie und ihre Parteifreunde die schreckliche | |
Tat von Aschaffenburg schamlos für ihre Politik. Während die Stadt um die | |
Betroffenen trauerte, bewies die AfD einmal mehr, dass für sie die Opfer | |
dabei nicht im Fokus stehen: Der Thüringer AfD-Chef [6][Björn Höcke fuhr am | |
Freitag nach Aschaffenburg], um dort eine rassistische Rede zu halten und | |
pauschal gegen Menschen mit nicht-deutschen Vornamen zu hetzen. In seiner | |
Rede sprach er dabei gleich mehrfach von einem ermordeten Mädchen – obwohl | |
ein zweijähriger Junge marokkanischer Herkunft ermordet wurde. | |
25 Jan 2025 | |
## LINKS | |
[1] /Weidel-Musk-Talk-auf-X/!6061470 | |
[2] /Proteste-gegen-Rechtsextremismus/!6064723 | |
[3] /Analyse-zu-AfD-Wahlprogramm/!6057715 | |
[4] /Nach-dem-Messerangriff-in-Aschaffenburg/!6059741 | |
[5] https://x.com/JHillje/status/1882841593616707841 | |
[6] https://www.primavera24.de/aktuelles/news/hoecke-bei-afd-gedenkveranstaltun… | |
## AUTOREN | |
Gareth Joswig | |
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