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# taz.de -- Analyse zu AfD-Wahlprogramm: Auf dem Rücken der Ärmsten
> Die AfD verkauft sich gern als Partei des kleinen Mannes. Tatsächlich
> würden fast ausnahmslos Reiche profitieren, sagt Wirtschaftsweise Achim
> Truger.
Bild: Wahlgeschenke der AfD an einem Messestand auf der AFA-Messe in Augsburg i…
Berlin taz | Das AfD-Wahlprogramm für die Bundestagswahl begünstigt vor
allem Reiche, während mittlere und untere Einkommen stärker belastet
werden. Zu diesem Ergebnis kommt der Wirtschaftsweise Achim Truger in einer
Analyse für die taz. „Bei der Steuerpolitik ist die AfD im Club von
CDU-Wirtschaftsflügel und FDP voll dabei.“ Dies zeige sich etwa in der
geplanten Abschaffung des Solidaritätszuschlags und der Senkung der
Unternehmenssteuern.
Der Professor für Sozioökonomie hat den Entwurf des AfD-Wahlprogramms
gelesen und eingeordnet: „Die AfD will die oberen Einkommensschichten und
die Wirtschaft entlasten“, fasst er zusammen. Allerdings würde der
geforderte EU-Austritt und das Fehlen eines Konzepts gegen den
Fachkräftemangel Deutschland in eine tiefe Rezession stürzen. Truger
urteilt: „Das AfD-Programm ist harter Neoliberalismus, garniert mit
nationalistischer EU-Feindlichkeit und Anti-Klimapolitik.“
Aus Trugers Sicht wäre vor allem der von der AfD geforderte Dexit
verheerend: „Der Austritt aus dem Euroraum sowie die Wiedereinführung der
D-Mark wären wirtschaftspolitisch vollkommen irre.“ Ebenso fehle der Partei
ein Rezept gegen den Fachkräftemangel – „wenn die AfD weiterhin
ausländerfeindlich ist und auf Migration verzichten will, wird sie das
Arbeitskräftepotential nicht erhöhen können.
Die AfD plant, ihr Wahlprogramm auf dem Parteitag am 11. und 12. Januar in
Riesa zu verabschieden. Der Leitantrag sieht neben dem EU-Austritt und der
Wiedereinführung der D-Mark die Aufhebung der Sanktionen gegen Russland für
billiges Gas vor. Ebenso leugnet die AfD die menschengemachte Klimakrise
und setzt auf Kohle und Atomstrom. Die Partei fordert zudem Zurückweisungen
und Festnahmen an der Grenze und will Leistungen für
Asylbewerber*innen und Bürgergeld-Empfänger*innen stark einschränken.
Erbschafts- und Vermögenssteuer sollen abgeschafft, Unternehmenssteuern
gesenkt werden.
## Völkische Familienpolitik
Die Lösung des Fachkräfteproblems sieht die AfD in ihrer Familienpolitik,
die auf den Erhalt des deutschen Volkes abzielt und Staatsangehörige mit
Migrationshintergrund ausschließt – auch wenn die Partei letzteres hinter
gewissen Formulierungen kaschieren will: „Durch eine aktivierende
Familienpolitik strebt die AfD eine Geburtensteigerung und damit die
demografische Wende in Deutschland an, die … auch unsere Kulturweitergabe
sicherstellt…“
Aktivierende Familienpolitik bedeutet Herdprämien und Steuergeschenke für
jedes zusätzliche Kind: Betreuungsgehalt statt Kita, Rückzahlung von 20.000
Euro an Rentenbeiträgen pro Kind und Ehe-Start-Kredite, die mit jedem
weiteren Kind teilweise erlassen werden. „Familien sollten idealerweise von
einem Gehalt leben können und nicht auf eine Doppelberufstätigkeit
angewiesen sein“, heißt es.
Welcher Elternteil zu Hause bleibt, lässt die AfD offen – angesichts
sozialisierter Rollenbilder und der Lohnlücke zwischen Männern und Frauen
ist jedoch klar, wen es betrifft. Ähnlich antifeministisch ist die
Forderung, Gleichstellungsbeauftragte zu Familienbeauftragten zu machen.
Beim Thema Abtreibungen zeigt sich, dass Frauenkörper für die AfD
hauptsächlich Verfügungsmasse für den Fortbestand des Volkes sind:
Abtreibungen sollen erheblich erschwert werden und müssten die „absolute
Ausnahme bleiben, z.B. bei kriminologischer und medizinischer Indikation“.
Schwangerschaftskonfliktberatungen sollen „dem Schutz des ungeborenen
Lebens dienen“, indem Schwangeren verpflichtend Ultraschallbilder gezeigt
werden und Informationen über Abtreibungen verboten werden.
## Belastungen bei Rente müsste Mitte tragen
Die von der AfD versprochene Kinderprämie hilft nicht gegen den
Fachkräftemangel, meint der Wirtschaftsweise Truger. „Mal abgesehen davon,
wie man deutschnationalen Kinderreichtum bewerten will, hilft das die
nächsten 20 Jahre nicht, zumal die AfD Deutschland erst einmal in eine
tiefe Rezession führen würde durch den Euro-Austritt.“ Die
wirtschaftspolitischen Forderungen seien „neoliberale Steuersenkungspolitik
mit einer Durchbrechung bei der Rente, wo es auch soziale Momente gibt.“
So will die AfD die gesetzliche Rente stärken und ein Rentenniveau von 70
Prozent erreichen. Doch Truger sieht große Fragezeichen bei der
Finanzierung: Höhere Kosten erfordern höhere Beiträge, die die AfD durch
Steuersenkungen ausgleichen will. Von Entlastungen bei der Einkommensteuer
profitieren vor allem obere Einkommensschichten: „Die zusätzlichen
Belastungen müssten die untere Mitte und die Mitte tragen“, sagt Truger.
Ein Preisschild fehlt auch bei der Erhöhung des einkommensteuerlichen
Grundfreibetrags auf 15.000 Euro, die untere Einkommen entlasten soll.
Truger dazu: „Da ist die Finanzierungsfrage völlig offen“. Allein die
Anhebung des Grundfreibetrags dürfte mehr als 15 Milliarden Euro kosten.
Ebenso führe die Senkung der Unternehmensteuern zu Haushaltslöchern. Auch
die geforderte Abschaffung des Solidaritätszuschlags wäre mit weiteren 12
Milliarden Euro teuer und würde vor allem hohe Einkommen entlasten.
Gleichzeitig wolle die AfD die Schuldenbremse einhalten: „Das bewegt sich
alles im finanzpolitischen Nirwana“, sagt Truger.
## Sparen bei den Ärmsten
Die AfD will bei den Ärmsten den Rotstift ansetzen: beim Bürgergeld und bei
Asylbewerber*innen. Auch beim Klimaschutz will die Partei sparen, ebenso
die Entwicklungshilfe kürzen und die Förderung bestimmter NGOs einstellen.
Das reicht laut Truger nicht: Nach Abschaffung von Solidaritätszuschlag,
Erbschaftssteuer, CO₂-Abgaben und Grundsteuer fehlen „sicher 100, eher 200
Milliarden Euro Plus“. Bei Kürzungen zu Lasten Geflüchteter und
Bürgergeld-Empfänger*innen gebe es zudem verfassungsrechtliche Schranken.
Einsparungen bei Klimaausgaben stehen großen Senkungen von CO₂-Abgaben und
Energiesteuern entgegen – „die Rechnung möchte ich mal sehen“, sagte
Truger.
Fraglich ist auch, auf welche Weise die AfD Wahlgeschenke wie die Erhöhung
der Renten oder die 20.000 Euro-Prämie für Kinder finanzieren will: „In dem
Programm wurde überhaupt nichts durchgerechnet – es fehlt ein umfassendes
Gesamtkonzept zur Finanzierung.“ Wie die Forderungen der Partei
funktionieren sollen, bleibt offen.
Hinzu kommen mögliche gesellschaftliche und volkswirtschaftliche
Folgeschäden einer unterlassenen Klimapolitik, der Abschaffung der
CO₂-Abgabe und der Fokussierung auf fossile Brennstoffe. Truger bilanziert:
„Würde das in die Realität umgesetzt, wird einem angst und bange.“
19 Dec 2024
## AUTOREN
Gareth Joswig
## TAGS
Schwerpunkt AfD
Schwerpunkt Bundestagswahl 2025
Wirtschaftspolitik
Achim Truger
Social-Auswahl
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Bundestag
Robert Habeck
Deutsche Burschenschaft
Kolumne Der rechte Rand
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