# taz.de -- Die Kunst der Woche: Entlang der Spannungen | |
> Harald Frackman erstastet die Horizonte und Abgründe der Abstraktion. Mit | |
> Deep-Fake-Videos und Skulpturen spürt Paolo Cirio dem Neokolonialismus | |
> nach. | |
Bild: Paolo Cirio, Element aus der Arbeit „Siegfried Müller“, 2024, PLA, M… | |
Jede Zeichnung öffnet einen eigenen Raum und lädt ein, sich darin zu | |
verlieren. Dabei ist gar nicht so viel zu sehen. Eine eher dunkle, | |
schattige Farbpalette, oder hartes Schwarz-Weiß, oder ein ganzes Blatt in | |
zartem Blau, darauf ein paar dunkle Farbkleckse, mit ein paar Linien als | |
zwei Körper interpretiert. Da ist der Hund. Ein großer brauner Hund, man | |
stellt sich sofort vor, wie er sich bewegt. Aber dann wirft er einen so | |
merkwürdigen Schatten, dass man sich fragt, ob es nicht doch einfach nur | |
ein Farbverlauf ist, den man als Hund sehen will. | |
Harald Frackmanns Zeichnungen, die jetzt in der [1][Werkstattgalerie] zu | |
sehen sind, leben von der Spannung zwischen Noch-Gegenständlichem und | |
Abstraktion. Und sie leben von der Spannung zwischen dem | |
formal-ästhetischen Ausdruck und dem narrativen Abgrund, der dahinter | |
lauert. Da blickt eine Landschaft mit erschreckten weißen Augen in die | |
Welt, und der zum Schrei geöffnete Mund ist ein Grab, in dem ein Mensch | |
liegt. Krieg oder wann gibt es Gräber einfach so im Boden? | |
Manchmal scheint es nur um die zeichnerische Linie zu gehen, wie sie ein | |
Oval formt, das sich nach innen als Schlangenleib und -kopf entpuppt. Das | |
erinnert an Saint-Exupérys Hut, ebenfalls eine Schlange, eine Boa | |
constrictor, die gerade einen Elefanten verdaut. Auch Frackmann fordert die | |
erwartbare Perspektive heraus, und setzt stattdessen auf die | |
erfinderischen, die unwahrscheinlichen Möglichkeiten, die am Ende doch die | |
Wirklichkeit, die Wahrheit sind. | |
Und das gilt auch für die Horizontstudien, vermeintliche Landschaften, | |
zunächst aber doch nur ungemein verführerisch angeordnete Farbfelder. | |
Deswegen könnten die undatierten Zeichnungen und collagierten Blätter des | |
1944 in Plauen geborenen, in Hamburg lebenden [2][Künstlers], die auch | |
keine Titel haben, gerade entstanden sein. Tatsächlich stammen sie aus den | |
1970er Jahren, denn, wie er selbst an anderer Stelle einmal sagte: „Eine | |
Stunde gemalt, vier Tage ergänzt, sechs Jahre überprüft, jetzt | |
ausgestellt.“ Jetzt sind es eben 50 Jahre Prüfung. Das macht es noch viel | |
besser. | |
## Im neuen alten Kolonialismus | |
„Kongo-Müller“ der Name ist heute vielleicht noch rechtsradikalen | |
Jugendlichen ein Begriff – und dem italienischen Künstler Paolo Cirio, der | |
mit „Kommando 52“ bereits zum dritten Mal bei [3][NOME] ausstellt. Seine | |
minimalistisch inszenierte, coole Ausstellung – vier Videoscreens denen | |
jeweils ein Totenschädel mit militärischem Barett und erfundenen | |
Barettabzeichen gegenübergestellt ist, plus eine weitere Videoarbeit – | |
zeigt einen Ausschnitt aus seinem medienübergreifenden Projekt „Resurrect“. | |
Darin verhandelt Cirio anhand faschistischer, militaristischer und | |
kolonialistischer Charaktere die Rolle westlicher Geheimdienste, | |
Industriekonzerne und ihrer Söldnertruppen wie beispielweise dem deutschen | |
Kommando 52 im 1960 unabhängig gewordenen Kongo. | |
Mit Hilfe künstlicher Intelligenz lässt [4][der Künstler] die Söldner Bob | |
Denard (Frankreich), Siegfried Müller (BRD), Jean Schramme (Belgien) und | |
Mike Hoare (UK) in Deep Fake-Videos mit ihren Originalstimmen ihre Karriere | |
reflektieren. Die Erzählungen der Protagonisten, destilliert aus | |
Archivmaterial wie Fotos, Filmen, Söldnertexten und Biographien, nehmen | |
immer wieder unerwartete Wendungen. | |
Bob Denard zum Beispiel, der zugibt, 1954 die Ermordung des französischen | |
Premier Ministers Pierre Mendes geplant zu haben und an der Ermordung des | |
UN-Generalsekretärs Dag Hammarskjold 1961 beteiligt gewesen zu sein, | |
bekennt, im Auftrag europäischer Geheimdienste und Bergbauunternehmen | |
afrikanische Länder destabilisiert zu haben, „um ihre Wirtschaft zu | |
schwächen und sie arm zu halten, damit der Westen seine Kontrolle und | |
seinen Einfluss aufrechterhalten konnte“. Und dieser Bob Denard sagt dann | |
auch: „Meine Hände sind voller Blut. Ich muss für das, was ich getan habe, | |
vor Gericht gestellt werden“. | |
Mike Hoare alias Mad Mike sagt, er habe Kriminelle, Alkoholiker, Nazis und | |
Sadisten für wenig Geld angeheuert, um im Kongo zu kämpfen und zu töten. | |
„Ich bin verantwortlich für das Töten und Foltern von Gefangenen, das | |
wahllose Erschießen von Zivilisten und das Plündern von Geschäften und | |
Häusern“, sagt die Hoare-Figur und: „Wie verabscheuungswürdig bin ich | |
doch.“ | |
Siegfried Müller, der das Kommando 52 befehligte, berichtet in Cirios | |
Video, dass er nicht der Einzige war, der ein Abzeichen mit Hakenkreuz | |
trug, „die Amerikaner und Briten hatten ja kein Problem damit, dass | |
ehemalige Nazis in Afrika tätig waren. Wir waren genau die Leute, die sie | |
brauchten, um neokoloniale Machtstrukturen aufzubauen“. | |
Es lohnt sich, selbst etwas weiter zu recherchieren, denn Müller verdankt | |
seine Bekanntheit vor allem dem Stern-Reporter Gerd Heidemann (wir erinnern | |
uns – die gefälschten Hitler-Tagebücher) und den antikolonial | |
argumentierenden DDR-Autoren Gerhard Scheumann und Walter Heynowski. Beide | |
Seiten überhöhten seine Bedeutung, gegen die Paolo Cirio die Gegenerzählung | |
liefert. | |
Und es lohnt sich, aktuell in Tageszeitungen und Magazinen über [5][den | |
anhaltenden Konflikt im Kongo] zu lesen. Denn noch immer fordert der | |
Konflikt um die Rohstoffe des Landes, inzwischen vor allem um Seltene | |
Erden, Millionen von Menschenleben. Und noch immer begehen gekaufte Söldner | |
im Dienst der üblichen Verdächtigen aus den USA, Südafrika, Großbritannien | |
etc. etc. die schrecklichsten Gräueltaten, um diesen ihre enormen | |
Reichtümer zu sichern. | |
11 Jan 2025 | |
## LINKS | |
[1] http://www.werkstattgalerie.org/ | |
[2] https://www.frackmann.de/ | |
[3] https://nomegallery.com/ | |
[4] https://paolocirio.net/ | |
[5] /Friedensgespraeche-in-Angola-geplatzt/!6054211 | |
## AUTOREN | |
Brigitte Werneburg | |
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