# taz.de -- Die Kunst der Woche: Tod und Wiederkehr | |
> Januar der Wieder- und Neuentdeckungen: Die Autonomie des Bildes mit | |
> Kilian Breier, HELMAs meisterhafte Malerei und Serena Messalinas Blick | |
> auf Punk. | |
Bild: HELMA Petrick, „ohne Titel“, 2017–2018, Öl auf Leinwand, 99 x 150 … | |
Sein Selbstporträt zeigt ihn als schmalen jungen Mann, der sein Gesicht der | |
Kamera zuwendet, aber seinen Blick an ihr vorbei in unbestimmte Räume | |
schweifen lässt. Es ist auch nicht ganz klar, wo er sich befindet. Der | |
Hintergrund, vor dem er steht, könnte ein abstraktes Bild sein, wirkt aber | |
irritierend räumlich, dreidimensional. | |
Was genau wir sehen bleibt auch bei den anderen Fotografien von Kilian | |
Breier (1931-2011) ein Rätsel. Das war von ihm so gewollt. Wobei es ihm | |
nicht um das Rätsel ging. Er fand Fotografien einfach zu motivabhängig, die | |
Fotografen liefen ihm regelrecht hinterher. Ihm ging es um die Autonomie | |
des Bildes, das von seiner mimetischen Funktion losgelöst nun als | |
bildgeneratives Potential zu sehen ist. | |
Das Ergebnis sind beeindruckende grafische bis malerische Abstraktionen, | |
modernistische Raster und Strukturen. Anfangs lassen sich seine Aufnahmen | |
wie etwa ein „Wald 1“ von 1955 der „subjektiven fotografie“ zuordnen, b… | |
deren Ideengeber Otto Steinert Breier zu dieser Zeit studierte. Später gibt | |
es Verbindungen zur konkreten Fotografie und generativen Ästhetik wie sie | |
Gottfried Jäger und Max Bense vertraten. | |
Breiers Raster- und Strukturbilder sind schließlich aus der Bekanntschaft | |
mit den ZERO-Künstlern und der gemeinsamen Faszination für das Licht zu | |
verstehen. Mit ihnen nahm Breier in den 1960er Jahren in wichtigen | |
Kunstausstellungen wie „La nuova concezione artistica“ in der Mailänder | |
Galerie Azimuth von Enrico Castellani und Piero Manzoni (1960), | |
„Konstruktivisten“, 1962 im Schloss Morsbroich oder „Europäische | |
Avantgarde“ in der Galerie d in Frankfurt am Main (1963) teil. | |
Heute stellt die [1][Alfred Ehrhardt Stiftung] diesen wichtigen | |
experimentellen Fotokünstler der Nachkriegszeit in einer von Franziska | |
Schmidt großartig zusammengestellten Werkschau mit rund 50 Fotografien aus | |
der Zeit von 1950 bis 1980 als Wiederentdeckung vor. „Kilian Breier – Am | |
Nullpunkt der Gestaltung“ ist eine Museumsschau in nuce (denn die von | |
Florian Ebner vorbereitete große Retrospektive im Essener Folkwang Museum | |
kam wegen seines Wechsels ans Centre Pompidou nicht zustande) und zeigt | |
Fotografien abstrahierter Naturformen wie Gestrüpp, gestapeltes Holz oder | |
die Jahresringe eines gefällten Baumes. | |
Parallel dazu entstehen kameralose Aufnahmen von Gräsern, Blättern und | |
anderem Pflanzenmaterial, die direkt auf das lichtempfindliche Fotopapier | |
gelegt werden. Seine Suche nach rein fotografischen | |
Gestaltungsmöglichkeiten war ungeheuer einfallsreich, so dass man bei sehr | |
vielen Bildern – vor allem den Rasterbildern – nur zu gerne wüsste, wie sie | |
zustande gekommen sind. | |
Natürlich hat er das Negativ bearbeitet, es beschädigt, also etwa verklebt | |
und bei den kameralosen Arbeiten das Fotopapier gefaltet und zerknüllt, um | |
den Lichteinfall zu irritieren. Er kehrte die Reihenfolge von Belichtung, | |
Entwicklung und Fixierung um, bis zu dem Punkt an dem er Belichtungen auch | |
gar nicht mehr fixierte. Deshalb schützen Tücher einige Vitrinen in der | |
Alfred Ehrhardt Stiftung. Sie lassen sich anheben und dann sieht man unter | |
dem Glas auf chemisch behandelten Fotopapieren wunderschöne Farbverläufe, | |
die oxidieren und verblassen. Breiers Experimente mit der Bildentstehung | |
schließen den Zerfall, den Tod des Bildes mit ein. | |
## Die Sprache der Gewächse | |
Der Tod ist bei HELMA sehr gegenwärtig, obwohl ihr malerisches Werk doch | |
das Leben feiert. Das Paradox erklärt sich dadurch, dass sie gerne unter | |
die Erde schaut, wo eben Leben und Tod zusammenkommen. Dort sieht sie | |
Gräber und im 200 x 250 cm messenden Format „Mördergrube“ von 1988/89 auch | |
Schädel en masse. Aber sie beobachtet auch die schönsten Blumen, die | |
bereits über die Schädel hinauswachsen. Natur steht für Kreislauf, für | |
Verwandlung. Ein ganz wesentliches Motiv in ihrem Werk, gerne in kafkaesker | |
Version. | |
Auch HELMA, in den 1980er und 1990er Jahren eine viel ausgestellte und in | |
wichtigen Sammlungen vertretene, bekannte Künstlerin, ist heute, 30 Jahre | |
später, eine Wiederentdeckung. Bevor sie im Februar im Rahmen des | |
[2][Förderprogramms re-discover] auf der art Karlsruhe zu sehen sein wird, | |
zeigt die [3][Galerie Poll] anlässlich HELMAS 85. Geburtstag unter dem | |
Titel „Traumwelten“ Arbeiten aus verschiedenen Jahrzehnten. | |
Die in akribischer, meisterhafter Perfektion in Öl auf Leinwand gemalten | |
Szenerien HELMAS werden gerne als surreal bezeichnet, doch könnte man die | |
1940 in Berlin geborene Künstlerin, die seit 1964 mit dem Maler Wolfgang | |
Petrick verheiratet ist, ebenso gut als Symbolistin verstehen. Bei ihr | |
sprechen nicht nur die Blumen, etwa die Rosen von der Liebe, sondern auch | |
die Farben, etwa das intensive Rot vom Leben, das durch die dornenbewehrten | |
Ranken des Rosenbusches zu fließen scheint, wie Blut durch menschliche und | |
tierische Adern. | |
Überhaupt sind die Tiere, vor allem die Katzen, die die | |
Betrachter:innen mit wunderschönen, unergründlichen Augen direkt | |
anblicken, wichtige Protagonisten ihrer Bilder, in denen die menschliche | |
Figur nicht wirklich vorkommt. Dafür aber die Opfer der Katzen, die Vögel, | |
in all ihrer wunderbaren Pracht. Im „Paradies“ reckt sich dann eine Leiter | |
empor (2002). Sagen nicht die Schamanen, dass es solche Leitern braucht, um | |
zum Licht aufzusteigen? | |
## Die Präsenz von Punk | |
Wie nasse Putzlappen wirft Serena Messalina die löchrigen Designer-Shirts | |
auf und über die Leinwand. So geht die ironische Version des | |
Wet-T-Shirt-Contest – und das Spiel mit der Zwei- und Dreidimensionalität, | |
konkret mit der Leinwand und ihren Grenzen. Richtiggehend angefressen | |
schaut der Schirm einer Balenciaga-Baseballcap aus, die auch einen | |
Nasenring trägt. Ketten natürlich, Sicherheitsnadeln, Spikes und Buttplugs | |
sind weitere Elemente von Messalinas plastischen und malerischen Arbeiten | |
bei [4][Sauers], einem Projektraum, der vor eineinhalb Jahren in der Nähe | |
des Gleisparks eröffnet wurde. | |
Eine Arbeit zeigt einen Stapel Bücher unter einer Plexiglashaube. Darunter | |
„Bad Behaviour“, Mary Gaitskills Kurzgeschichten über Außenseiter in New | |
York. „Bad Behavior“ ist denn auch der Titel der Ausstellung, in der sich | |
Serena Messalina mit der anhaltenden Präsenz von Punk in unserer | |
Gesellschaft auseinandersetzt. Obwohl hier und da noch als persönliche | |
Haltung gelebt, ist Punk heute vor allem in modischer Form zum | |
Mainstream-Phänomen geworden. | |
Die absolut konforme Nonkonformität bringt wenig kulturellen, dafür umso | |
größeren finanziellem Gewinn. Es zeigt sich eine Ästhetisierung nicht der | |
Politik, von der Walter Benjamin einst sprach, sondern eine Ästhetisierung | |
der Anarchie. Mit einer ihrer Formen werden wir uns bekanntlich nun vier | |
Jahre lang auseinandersetzen müssen. Die Ausstellung der Stunde. | |
26 Jan 2025 | |
## LINKS | |
[1] https://www.aestiftung.de/ | |
[2] https://www.art-karlsruhe.de/de/besuchen/themenbereiche/rediscover/ | |
[3] https://poll-berlin.de/galerie/ausstellungen/aktuell/ | |
[4] https://www.instagram.com/sauersberlin/ | |
## AUTOREN | |
Brigitte Werneburg | |
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