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# taz.de -- Die Kunst der Woche: Eiskalte Stellvertreter
> Max Schaffer channelt eine Senatsfeier, die nie stattfand. ChertLüdde
> zeigt Ruth Wolf-Rehfeldt: eine besondere Retrospektive, die in die Tiefe
> geht.
Bild: Blick in Max Schaffers Ausstellungs „Weihnachtsfeier der Senatsverwaltu…
Den Titel seiner Ausstellung hat sich Max Schaffer nicht ausgedacht. Er kam
zu ihm. Gerade als Stephanie Kloss, die den Projektraum [1][Die Möglichkeit
einer Insel] leitet, ihn in seinem Atelier besuchte, erhielt sie eine
denkwürdige Email. Betreff: „Weihnachtsfeier der Senatsverwaltung für
Finanzen“. Eine Anfrage jener Senatsverwaltung, den Projektraum für ihre
Weihnachtsfeier zu benutzen, am 20. Dezember, ab 16 Uhr. Die Feier wurde
später abgesagt. Daher heißt die Schau nun so: „Weihnachtsfeier der
Senatsverwaltung für Finanzen (abgesagt)“. Eröffnet wurde die Ausstellung �…
natürlich – am 20. Dezember.
Darin begegnen einem aufeinandergestapelte Plastikbehältnisse, die an
Donald Judds „stacks“ erinnern könnten, wäre sie nicht vor einiger Zeit
schon mutwillig oder versehentlich zerstört worden. Die Lagerboxen, wie man
sie für Fleisch verwendet, sind in sich so zusammengeschmolzen, dass von
ihrer Form an einigen Stellen kaum mehr etwas übrig ist.
An angerußten Kerzenwachs könnte man bei ihrem Anblick denken, passend zur
Jahreszeit, an unschön angebrachten Zuckerguss oder das dreckige Grau-Weiß
von Berliner Schnee.
Die Stapel stehen im Raum verteilt, als warteten sie noch auf ihre
Bestimmung. Wie stumme Stellvertreter für die Stehtische der
Weihnachtsfeier, die nie aufgestellt wurden, für die Personengruppen, die
sich nie um diese formierten.
„Cold Cuts“ hat Schaffer die Objekte genannt, wie die englische Bezeichnung
für den „Aufschnitt“, der bei solchen Gelegenheiten gerne gereicht wird.
Lesen kann man in dem Titel aber auch implizite Hinweise auf die Kürzungen,
die für den Berliner Kulturbetrieb eiskalt gefällt wurden. Beschlossen
wurden diese – trotz massivem Protest – einen Tag vor der Eröffnung der
Ausstellung.
An der Wand ältere Arbeiten [2][des Künstlers], die er eigentlich zunächst
– vor Absage der Feier – als deren „Dekoration“ geplant hatte:
XPS-Dämmplatten aus dem Hausbau, auf denen er ein Modell der Berliner
Museumsinsel wie einen Stempel drückte und die er dann mit Make-up und
Lippenstift überzog.
Als drittes liegen Maueranker von Altbauten ihrer Funktion beraubt auf dem
Boden herum.
Um Methoden des Bewahrens um Halt, Halter, Halterungen geht es in allen
Arbeiten, auf die eine oder andere Art und Weise. Anders, dringlicher fühlt
es sich an, darüber nachzudenken in einem – bislang zumindest noch
senatsgeförderten – Projektraum in Berlin Anfang 2025. Was bleibt?
Eine Antwort, die überraschend optimistisch anmutet, liefern die
Maueranker: Es handelt sich um Achten, die zum Zeichen für Unendlichkeit
gedreht wurden.
## Ruth Wolf-Rehfeldt in all ihrer Tiefe und Breite
Zehn Jahre ist es bereits her, dass die [3][Galerie ChertLüdde] erstmals
Arbeiten der Künstlerin Ruth Wolf-Rehfeldt ausstellte. Gerade erst
wiederentdeckt hatte die Kunst sie da, sich neu verliebt in ihre
Schreibmaschinengrafiken und ihre konkrete Poesie, auch dank Galeristin
Jennifer Chert. Die am vergangenen Wochenende eröffnete neue Ausstellung in
der Galerie, deren Titel „In the end something begins with us“ einen Text
der Künstlerin aus den 1980er Jahren zitiert, die erste seit Wolf-Rehfeldts
Tod im vergangenen Jahr, hat nun mehr noch retrospektiven Charakter.
Es ist eine Ausstellung, wie man sie eher in einem Museum als in einer
kommerziellen Galerie vermuten würde, in die man sich vertiefen kann, die
Anhaltspunkte gibt, das Werk der Künstlerin im Zusammenhang ihrer Zeit noch
besser zu verstehen. Auszüge aus Wolf-Rehfeldts Tagebüchern liegen da in
acht Vitrinen, Skizzen, Notizen, Wortspielereien und Zeichnungen,
Papierarbeiten, Stempel.
Auch eine Mappe mit Mail-Art – gemeinsam mit ihrem Mann Robert Rehfeldt
hielt sie zu Zeiten der deutsch-deutschen Teilung ein internationales
Mail-Art-Netzwerk lebendig –, die von den DDR-Behörden abgefangen wurde,
ist dort dokumentiert. Ein kleiner handbeschriebener Zettel liegt unweit
daneben: „F/ wie Freiheit/ die nie siegt/ weil es keine Freiheit gibt/ für
das, was existiert“, steht darauf.
Wolf-Rehfeldt, geboren 1932, war Autodidaktin. Und natürlich griff sie bei
ihren ersten Gehversuchen in die Kunst noch nicht zur „Erika“, sondern
vielmehr zu Pinsel und Farbe. Gesehen hat man ihre Malerei bislang kaum,
auch diese Lücke schließt die Ausstellung. An den Wänden hängen Bilder, die
sie zu Beginn ihrer künstlerischen Tätigkeit malte – und schließlich im
Keller aufbewahrte, wo die Galerie sie fand und restaurierte. Stillleben
aus den Anfangsjahren, abstrakte Gemälde auch, Wirbel, Muster, deren
Rhythmen durchaus Ähnlichkeit zu späteren Typwritings aufweisen.
Von denen gibt es freilich auch einige zu sehen, darunter Schlüsselmotive
wie ihre „cagy beings“/ „Käfigwesen“, oder ihre „concrete thoughts�…
zuletzt finden sich viele Arbeiten, die sich mit Natur- und
Umweltzerstörung auseinandersetzen, ein Thema, das die Künstlerin
zeitlebens umtrieb. Eine kleine, eher unscheinbare Arbeit bringt ihre Sorge
auf den Punkt. Buchstaben in Großbuchstaben auf einem Papierbogen
gruppiert: „EVOLUTION/ NATURE/ NATURE AND MEN/ MEN AND NATURE/ MEN END
NATURE/ MEN END MEN/ NATURE“.
17 Jan 2025
## LINKS
[1] https://www.moeglichkeit-einer-insel.de/
[2] https://maxschaffer.com/
[3] https://chertluedde.com/exhibitions/
## AUTOREN
Beate Scheder
## TAGS
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