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# taz.de -- Die Kunst der Woche: Im Dickicht der Farben und Tierwelten
> Die abstrakte Malerin Nicole Heinzel lässt Sonne und Linien mitgestalten.
> Comichaft, doch ernst erscheinen Bertram Jesdinskys Skulpturen und
> Bilder.
Bild: Blick in Nicole Heinzels Ausstellung „frgmntd lmnts / lmntl frgmnts“ …
Eigentlich trifft es auf jede Form der Malerei zu, für diejenige von Nicole
Heinzel aber in besonderem Maße: Fotografische Abbildungen werden ihr nicht
gerecht. Man muss sich vor die einzelnen Bilder stellen, erst von weiter
weg, um sie als Ganze erfassen zu können, dann nah herantreten, um eine
Ahnung von ihrem Entstehungsprozess zu bekommen. Dreidimensional werden
dann die Bilder. In die Farbe hineingekratzte Zeichnungen werden sichtbar,
Schichten, die auf- und wieder abgetragen wurden. Ihre Malerei hat etwas
von druckgrafischen Verfahren, erscheint ebenso konstruiert wie intuitiv.
Der Blick auf sehr unterschiedliche Landschaften und Vegetationen hat ihre
Wahrnehmung der Umgebung schon früh geprägt. Nicole Heinzel, geboren 1969,
wuchs in Libyen, in Iran, in Trinidad, Tobago und Schottland auf. In
Schottland, in Dundee, begann sie auch zu studieren, setzte das später in
London fort, zog dann nach Berlin, arbeitet heute in Werder an der Havel.
An Pflanzen und Blätter erinnern die Arbeiten, die im vorderen Teil der
Charlottenburger [1][Galerie kajetan] hängen, wo die Künstlerin aktuell
ihre Einzelausstellung „frgmntd lmnts / lmntl frgmnts“ zeigt. Tatsächlich
sind solche das Ausgangsmaterial, aus dem sie ihre Motive gewinnt. Heinzel
fertigt Cyanotypien an, ein fotografisches Verfahren, bei dem mittels einer
UV-empfindlichen Lösung blaue Bilder auf dem Papier entstehen, auf dem sich
zuvor darauf abgelegte Pflanzen hell abzeichnen. Solche Sonnendrucke
verändert Nicole Heinzel dann wiederum digital, abstrahiert sie und benutzt
sie als Vorlagen. Fragmentierte Elemente und elementare Fragmente kann man
darin lesen, je nach Perspektive.
Ihre LINEscapes wiederum – so bezeichnet sie Gemälde, auf denen sie mit
geraden, teils parallel verlaufenden, teils sich überkreuzenden Linien
Strukturen schafft und darunterliegende Farbe hervorholt und die in der
Ausstellung einen Raum für sich bekommen – beginnen mit der Zeit vor den
Augen zu flirren, sich in Bewegung zu setzen. So als würde man auf die
Oberfläche eines Gewässers blicken.
## Tierwelt und Autobahn
Manchmal ist es schon allein der Titel einer Ausstellung, der Lust macht,
sie sich anzusehen. Wer würde nicht gerne wissen, was es mit dem „Mondkalb
mit Reibekuchen“ auf sich hat? Die aktuelle Einzelausstellung mit Arbeiten
von Bertram Jesdinsky bei [2][Thomas Schulte] heißt so und den
Protagonisten muss man dort nicht lange suchen. Bei Jesdinskys „Mondkalb“ �…
ein Begriff mit dem man einst Kälber bezeichnete, die mit Fehlbildungen zur
Welt kamen, aufgrund des schädlichen Einfluss des Mondes, daher der Präfix
– handelt es sich um eine aufrecht stehende Figur mit Rinderkopf und Mond
über dem Schädel, die einen ebenso großen, ebenso runden Reibekuchen in den
Händen hält.
Sie steht da, gleich in der Sichtachse, wenn man die Galerie betritt, fast
wie eine altägyptische Wächterfigur, nur dass sich so ein fettiger,
knusprig gebackener Reibekuchen im Ernstfall freilich kaum als Waffe
eignet. Und als Snack gerne mal schwer im Magen liegt. Was auch nicht
gerade förderlich im Kampf ist.
Zusammengebastelt ist [3][Betram Jesdinskys] knuffiges, skulpturales
Bestiarium, zu dem in der Ausstellung auch ein angelnder Bär, ein grasender
Hirsch und ein recht freundlich dreinblickender Basilisk gehört, aus
profanen Materialien wie Wellpappe oder Alufolie, ergänzt und
zusammengehalten mit Epoxidharz, Kupfer oder Eisen.
Die Kunst Jesdinksys wird seit kurzem erst wiederentdeckt, auch durch
Thomas Schütte, der 2022 eine Einzelausstellung des Künstlers in seiner
[4][Skulpturenhalle] zeigte. Jesdinsky, geboren 1960, hat ab 1982 an der
Kunstakademie Düsseldorf studiert, da hatte er sich die Kunst aber schon
längst angeeignet. Als Kind mit Stift und Papier, später als Sprayer und
Teil der Hausbesetzerszene im öffentlichen Raum. 1980 gründete er gemeinsam
mit Thomas Ebeling und Uli Sappok die Performancegruppe „Anarchistische
GummiZelle“. 1992 setzte er seinem Leben ein Ende und hinterließ ein Werk,
das sich aus Malerei, Skulptur, Sound und Video zusammensetzt.
Bei Thomas Schulte konzentriert man sich auf Skulpturen und Wandarbeiten.
Wimmelbildern gleich tummeln sich auf letzteren Tierwesen und andere
fantastische Charaktere. Auch Maschinen oder Fahrzeuge weisen menschliche
Züge auf. So wie die Straßenbahn auf „Bus + Bahn (Zusammenstoß)“ aus dem
Jahr 1982. Beine statt Räder hat diese, molchartige Geschöpfe sitzen auf
dem Dach und kümmern sich um die Stromversorgung, sogar ein Storch streckt
den Kopf heraus. Ähnlich wild schaut jener Bus aus, gegen den die Bahn
geprallt ist, auch da kreucht und fleucht es überall.
Jesdinsky blickt auf den Alltag, auf das Westdeutschland, auch
Ostdeutschland der 1980er/1990er Jahre, verwandelt ihn in eine bunte
Comicwelt. Im Idyll tun sich bei näherer Betrachtung jedoch Brüche auf.
Wenig lustig ist so ein Unfall schließlich.
Immer wieder deutet sich die Katastrophe an, heiter droht die Welt zugrunde
zu gehen. Auf „Autobahn Duisburg“ aus 1986 etwa, wo ordentlich gequalmt
wird. Klein und niedlich wirken noch die Rauchwölkchen, die aus dem Fenster
eines vorbeiziehenden dunkelblauen Autos ganz vorn links im Bild stieben,
massiver schon das, was aus dem Auspuff eines weißen Wagens auf der
Gegenspur strömt, endgültig bedrohlich der Schmutz, den die Kraftwerke im
Hintergrund ausstoßen.
Den gesamten Himmel hat er schon grau gefärbt. Die drei Tierwesen, die es
sich vor einem Bauwagen mitten auf der Autobahn gemütlich machen, schauen
einfach nicht hin, beschäftigen sich lieber mit sich selbst. So geht das
eben mit der postmodernen Gefahrenverdrängung. Der Teufel steckt bei
Jesdinsky im Detail. Manchmal auch nur Nonsens. Und immer Humor.
21 Feb 2025
## LINKS
[1] https://kajetan.berlin/
[2] https://www.galeriethomasschulte.com/
[3] https://www.galeriethomasschulte.com/artists/237-bertram-jesdinsky/
[4] https://thomas-schuette-stiftung.de/newsletter/bertram-jesdinsky/
## AUTOREN
Beate Scheder
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