# taz.de -- Ausstellung von Alex Müller im ZAK: Das Ich in irre vielen Versatz… | |
> Im ZAK erzählt die Künstlerin Alex Müller mit geradezu manisch vielen | |
> Arbeiten aus mehr als 20 Jahren vom Dasein in seiner Mühseligkeit und | |
> Wucht. | |
Bild: Schmal geschrubbte Handseifen: Alex Müller, „Die Zartheit des Täglich… | |
Alex Müller lernte den Alexanderplatz als Kind kennen. Die Künstlerin, 1969 | |
im nordrhein-westfälischen Düren geboren, verbrachte damals ihre Sommer bei | |
Großeltern und Tante in Berlin-Wilhelmsruh, bestaunte den Alltag im | |
Schatten der Mauer, in Wilhelmsruh wie auch in Mitte. Die kleine Alex am | |
großen Alex, zwischen Warenhaus, Weltzeituhr und Fernsehturm. Eindruck muss | |
er auf sie gemacht haben. Nicht aber um den, sondern um die Alex, um sie | |
selbst geht es primär in Alex Müllers Einzelausstellung im [1][ZAK der | |
Zitadelle Spandau]. „Alexandraplatz“ heißt diese, nicht Alexanderplatz. | |
[2][Die Künstlerin, inzwischen selbst Berlinerin], hat sich dort Platz | |
verschafft. Auf einer ganzen Etage hat sie sich ausgebreitet mit Arbeiten | |
aus den vergangenen 20 Jahren. Eine neue Installation besteht aus | |
handschriftlichen oder mit der Maschine getippten Briefen hauptsächlich von | |
ihrer Großmutter an deren Sohn, Müllers Vater. Dieser hatte 1961 im Jahr | |
des Mauerbaus „rübergemacht“, mit 17, ohne ein Wort vorher zu sagen, was | |
ihm seine Mutter nie verzieh. 350 Briefe sind es, in denen steht, was man | |
sich eben so schreibt, Alltägliches, Sorgen, unterschwellige Vorwürfe. Von | |
Paketen ist die Rede, von möglichen Treffen in Prag – als Überläufer war es | |
Müllers Vater mehr als ein Jahrzehnt lang nicht erlaubt, die DDR zu | |
betreten. Gedruckt hat die Künstlerin das Briefekonvolut auf rundlich | |
weiche, Graubner-artige Kissenbilder. Sie sind ein Zeitdokument, erzählen | |
von einer vergangenen Zeit, von deutsch-deutscher Geschichte, im Kleinen, | |
beispielhaft, von der Mauer, die sich zwischen Familien geschoben hat. | |
Die Briefe zeichnen außerdem den Lauf der Zeit nach. Etwas, womit sich | |
Müller auch in anderen Arbeiten beschäftigt. So hat sie mit buntem Papier | |
beklebtem Besteck die Tage abgezählt. Immer vier Löffel oder Gabeln oder | |
Messer und eins quer drüber. Ein ganzes Jahr ergibt sich, „Das erste Jahr“, | |
wovon? Vom Rest des Lebens. Zweidrittel ihres Lebens hat Alex Müller schon | |
hinter sich. | |
Die Auseinandersetzung damit, was es bedeutet nicht mehr jung, aber auch | |
nicht alt zu sein, schwingt in allem mit, in den Fragmenten ihres Lebens, | |
den autobiografischen Versatzstücken, die sie ineinander verwebt. Im Zählen | |
und Abzählen – auch bodenlange, weiße Vorhänge hat sie mit Zählstrichen | |
übersäht. Im Sichtbarmachen von Spuren, dem Verlauf des irdischen Daseins | |
in all seiner Banalität. Für „Die große Zartheit des Täglichen“ hat sie | |
schmal geschrubbte Handseifen – wie diese entstanden sind, zeigt eine | |
Videoarbeit ein paar Räume weiter – in eine Hülle aus Wildseide gesteckt. | |
In der kleinteiligen Mühseligkeit, die sie vorführt, bei den | |
Wandzeichnungen etwa, die sich aus feinsäuberlich aufgeklebten Mohnsamen | |
zusammensetzen. | |
## Gewebtes, Gemaltes, Gestepptes oder Beklebtes | |
Die Freude an Materialen und deren Texturen kann man an all dem ablesen, | |
was Müller für die Ausstellung zusammengetragen hat. Mehr als 50 Arbeiten. | |
Gewebtes und Gemaltes, Gestepptes, Besticktes und Beklebtes. Ein zur | |
Deutschlandkarte zugeschnittener Perserteppich. Koffer und Beautycase in | |
gläsernen Kästen. Zerschnippelte Buchseiten auf Oblaten, Lesestoff | |
gehäkselt zu appetitlichen Makronen. Objekte wie aus einer verwunschenen | |
Märchenwelt, die auf den Alltag, das Häusliche verweisen: Besen mit Borsten | |
aus Keramik, eine Trittleiter aus Bambus, ein beschmiertes Backblech, | |
Hausschuhe, Einmachgläser. Eine altmodische Badewanne verkleidet mit grünen | |
Schälerbsen. Als wollte Aschenputtel es der bösen Stiefmutter noch mal aufs | |
Butterbrot schmieren, wie gut es gearbeitet hat. | |
Das Badezimmer, das bei ihrer in der DDR lebenden Großmutter, sei als Kind | |
ihr Zufluchtsort gewesen, hat die Künstlerin einmal erzählt. Dorthin zog | |
sie sich zurück, um den Diskussionen über die Mauer, die deutsch-deutsche | |
Trennung, die Bedeutung von Freiheit zu entfliehen. Dann setzte sich auf | |
die Toilette, auch wenn sie nicht musste, und schaute – eben auf die Wanne. | |
Zeitgeschichte und Lebensgeschichte. Titel, die wie Geschichten gelesen | |
werden können. Zum Beispiel solche über das Ichsein: „Ali, Alex, Sandra“, | |
eine Zeichnung auf Teppich, eine Figur in der Pose von da Vincis | |
Vitruvianischem Menschen im Wolkenpullover und mit Sonnenkopf. Wer sie wie | |
ruft, das steht nicht dabei. Auch nicht, welches Ich mit welchem Spitznamen | |
verknüpft ist. | |
Die Beschäftigung mit dem eigenen Selbst spiegelt die Künstlerin auch auf | |
das Publikum zurück. Wortwörtlich, mit einem Spiegelkabinett, „Ihr bei mir�… | |
lautet sein Titel. Na klar, da sind wir. Intensiv ist der Besuch bei ihr, | |
irre viel knallt sie einem entgegen. Das Leben, in voller Wucht. | |
20 Feb 2025 | |
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## AUTOREN | |
Beate Scheder | |
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