# taz.de -- Fotos über Gentrifizierung in Berlin: Abreißen, aufhübschen, unb… | |
> Die Fotogalerie Friedrichshain zeigt Fotos über Gentrifizierung. Nur | |
> wenige Gegenden sind stärker davon gezeichnet als der Kiez rund um die | |
> Galerie. | |
Bild: Aus der Fotoreportage „Kampf um das Tuntenhaus“ zum Thema der Ausstel… | |
Berlin taz | Die [1][Fotogalerie Friedrichshain an der Helsingforser | |
Straße] liegt in einer unwirklichen Gegend. Jenseits der Warschauer Brücke | |
posieren die glänzenden „Leuchttürme“ der Berliner Stadtentwicklung, die | |
seit den späten 2000er Jahren aus dem Megakommerzprojekt [2][Mediaspree] | |
hervorgegangen sind: die Uber Arena, die East Side Mall, das Zalando | |
Headquarter, der Amazon Tower. | |
Gegen die Kolossbebauung des Spreeufers hatte sich anfangs Widerstand | |
formiert. Es half nichts. Weder ein Bürgerentscheid noch Demonstrationen | |
und Aktionen des zivilen Ungehorsams konnten dem Stadtumbau gefährlich | |
werden. Auf den rund 3,7 Kilometern entlang der Spree mussten neben alten | |
Industriebauten auch Wohnraum und Kulturorte weichen. Sozialer Wohnungsbau | |
war während der Planung ein nebensächliches Thema – und schließlich keines | |
mehr. | |
Der ramponierte Anblick der Silhouette Richtung Spree von der Fotogalerie | |
aus verlagert sich auf der anderen Seite der Warschauer Straße in sein | |
Komplementär: Veränderung vollzieht sich hier vergleichsweise gemächlich. | |
Das Friedrichshain, das einst von Arbeitern, Aktivisten und | |
Systemverweigerern geprägt war, hat sich nur ganz allmählich – aber überaus | |
sorgfältig – aus dem Boxhagener Kiez und seinen Ausläufern verabschiedet. | |
Heute findet das letzte Aufbegehren unangepassten Lebens vielleicht noch in | |
der Rigaer Straße im Friedrichshainer Nordkiez seinen Niedergang. An der | |
Warschauer Straße eröffnet dagegen ein Rewe mit rein pflanzlichem | |
Sortiment; nebenan wird veganes Sushi angeboten. Zu Tisch sitzen jene, die | |
einst Mediaspree versenken wollten. | |
## Mittels Eigenbedarfskündigung gezwungen zu gehen | |
Anders als beim Mediaspree-Moloch haben die Kiezbewohner die | |
lebensfeindlichen Bedingungen mitgeschaffen, die die Umgebung des | |
Boxhagener Platzes prägen. Wer bis heute in diesem Friedrichshain | |
durchgehalten hat, fällt mit seiner Wohnung möglicherweise demnächst aus | |
der Sozialbindung oder wird mittels [3][Eigenbedarfskündigung] gezwungen zu | |
gehen – wie im Quartier an der Weberwiese, wo den Bewohnern von 500 | |
Wohneinheiten angeboten wurde, ihre Wohnung zu kaufen – oder abzuwarten, | |
bis ein Dritter übernimmt und Eigenbedarf anmeldet. | |
Zwischen diesen Sphären präsentiert die Fotogalerie Friedrichshain derzeit | |
die Ausstellung „Wohnst du noch – Reportagen über Verdrängung“. Sie lä… | |
noch bis zum 21. Februar. Konzipiert wurde sie von der Fotojournalistin | |
Ann-Christine Jansson, die die zehn teilnehmenden Fotografen ein Jahr lang | |
im Rahmen ihrer Projektklasse Reportagefotografie schulte. | |
Neukölln, Kreuzberg, Prenzlauer Berg und Lichtenberg sind die Orte des | |
Geschehens dieser Abschlussarbeiten: Überall wird abgerissen, aufgehübscht | |
und unbrauchbar gemacht. Der Gebrauchswert sinkt, der Tauschwert steigt. Wo | |
vor Kurzem noch ein Gemeinschaftshaus stand, ist heute teure Brache. Wo | |
gerade noch ein Miniappartement war, sind jetzt zwei Mikroappartements. Im | |
Berlin des Wandels steht alles zur Disposition. | |
Die Ausstellung fängt diese Unsicherheit ein. Zu sehen sind Aufnahmen von | |
abgekämpften Gesichtern. Orte, die einst Sicherheit gaben und heute bedroht | |
oder verschwunden sind. Aber auch Menschen, die sich gegen die Verdrängung | |
stellen und einfach bleiben – oder bleiben müssen. | |
## Leben zwischen den Welten | |
Wie am [4][Hafenplatz in Kreuzberg], wo mehr als 1.300 Menschen in bester | |
City-Lage, aber heruntergekommenen Gebäuden wohnen. Tom Sauer hat dieses | |
Leben zwischen den Welten in „Hafenplatz schwebt“ dokumentiert. Auf einer | |
seiner Fotografien blicken zwei Mädchen aus einem geöffneten Fenster auf | |
das unscharfe Weite, das auf der einen Bildhälfte nach wenigen Metern an | |
der Wand des Nachbarhauses endet und sich auf der anderen Hälfte im Grün | |
der Bäume verliert. | |
Ihre Gesichter sind nicht zu sehen, aber ihr Gefühlsausdruck lässt sich | |
ableiten, wenn man die Geschichte des Hafenplatzes kennt. 2021 kaufte ein | |
Investor das Grundstück. Seither spekuliert er auf den Abriss, überlässt | |
den Komplex und seine Bewohner sich selbst. Der Hafenplatz verfällt, | |
während eine Kindheit heranwächst, die zwischen Müll und Sehnsucht schwebt. | |
Ingrid Munkhammar geht in ihrer Reportage „Das Verschwinden“ zu Menschen | |
und an Orte in Neukölln, die in der Verwertungslogik der | |
Immobilienwirtschaft überflüssig sind. Anstelle von Kneipen treten mondäne | |
Bars, die Neuköllner Nachfragekriterien erfüllen: dunkles Licht, | |
abgerissene Tapete und Negroni. | |
Verdrängung in der Erzählung von Munkhammer bedeutet aber nicht nur | |
Verschwinden, sondern auch Sichtbarkeit. Die Fotografin porträtiert | |
Menschen entlang des Landwehrkanals: Schwarze, die ihren Alltag im Freien | |
verbringen, gesehen und übersehen werden, Kiffer, Musiker, Obdachlose. | |
Munkhammer fängt sie ästhetisch ein, aber stilisiert sie nicht. Das | |
Hässliche hat in den Fotografien seinen Platz. Wie sollte es auch anders | |
sein auf der Straße, wo sich fast das ganze Leben der Menschen abspielt? | |
Sie sind gekommen, um zu bleiben. Und das geht am besten dort, wo das | |
Sitzen keinen Eintritt kostet. | |
## Erfolgreich gegen einen Investor zur Wehr gesetzt | |
Einige der in der Ausstellung dokumentierten Kämpfe möchten Hoffnung | |
machen. Das Beispiel des [5][Tuntenhauses in Prenzlauer Berg] zum Beispiel, | |
das sich erfolgreich gegen einen Investor zur Wehr setzte. Doch diese | |
kleinen Siege können nicht darüber hinwegtäuschen, dass sie nur eine | |
vorläufige Momentaufnahme sind. Deshalb ist es gut, ihnen jetzt Raum zu | |
geben und nicht auf ihr Verschwinden zu warten. | |
Diesen Auftrag sieht auch Kuratorin Ann-Christine Jansson für sich: | |
„Reportagefotografie bedeutet für mich, eine eigene Position zur | |
Wirklichkeit zu beziehen und sie in den fotografischen Erzählungen zu | |
zeigen.“ In der Ausstellung haben sich ihre Schüler dieser Maxime | |
verschrieben. Die gezeigten Fotografien dokumentieren nicht nur, sie nehmen | |
auch am Geschehen teil – und wer sie betrachtet, tut dies ebenfalls. | |
Der Ort, der dies möglich macht, trotzt seit nunmehr 40 Jahren den | |
Veränderungen im unmittelbaren Umfeld. 1985 war die Galerie in | |
Friedrichshain der erste Ausstellungsort in der ehemaligen DDR, in dem | |
ausschließlich Fotografie gezeigt wurde. „Fotografie galt in der DDR noch | |
nicht als Kunst“, sagt Andreas Maria Kahn, der hier als Galerieassistent | |
arbeitet. Die Galerie habe dieses Verständnis erst etabliert, betont der | |
55-Jährige. „Heute zeigen wir hier Fotografie nach ästhetischen, | |
politischen und künstlerischen Abwägungen.“ In einem Werk könnten jedoch | |
alle drei Aspekte zusammenfallen, sagt Kahn. | |
Wenn dem so sein sollte, dann entzieht sich die Kunst sowohl dem Schönen | |
als auch dem Politischen als alleinigen Kriterien: Sie widersteht einem | |
bestimmten Zweck und letztlich der Verwertung. Vielleicht schafft dies neue | |
Freiräume, die der Verdrängung entgegenwirken. | |
10 Feb 2025 | |
## LINKS | |
[1] https://fotogalerie.berlin/ | |
[2] /Bedrohtes-Kulturzentrum-Zukunft/!5820380 | |
[3] /5-Jahre-Mietendeckel/!6062254 | |
[4] https://hafenplatz.berlin/ | |
[5] /Queeres-Hausprojekt-in-Berlin/!6007800 | |
## AUTOREN | |
Christoph Mayer | |
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