# taz.de -- 5 Jahre Mietendeckel: Der Deckel fehlt | |
> Mit dem Mietendeckel schaffte es die Politik vor die | |
> Gentrifizierungswelle zu kommen. Heute ist die Situation auf dem | |
> Mietmarkt schlimmer denn je. | |
Bild: Ein Mietendeckel macht den Vermietern Damps | |
Berlin taz | Es war im Jahr 2007, als die guten Zeiten für Mieter:innen | |
so langsam zu Ende gingen: Damals schwappte Kapital, das infolge der | |
Finanzkrise neue Anlageformen suchte, auf den Wohnungsmarkt – und der | |
Begriff „Gentrification“ aus dem wissenschaftlichen Diskurs in die breite | |
Öffentlichkeit. Wegen seiner Verwendung war der Stadtsoziologe Andrej Holm | |
unter Terrorverdacht geraten, weil ihn auch die „militante gruppe“ in | |
Bekennerschreiben benutzte. Der Vorwurf gegen Holm stellte sich als haltlos | |
heraus, aber die Entwicklung, die Berlin zunehmend in die Zange nehmen | |
sollte – Aufwertung von Stadtteilen, steigende Mieten, Verdrängung – hatte | |
ihr Schlagwort. | |
Während sich die Situation für Mieter:innen seit dieser Zeit | |
kontinuierlich verschlechterte, ignorierte die Politik, insbesondere die | |
traditionell von der Sozialdemokratie geführte Senatsverwaltung für | |
Stadtentwicklung, den Wandel von der Mieter- zur Vermieterstadt. | |
Ambitionierter trat ab 2016 die Linke Katrin Lompscher auf, die sogar | |
Andrej Holm zum Staatssekretär machen wollte, was allerdings an | |
Stasi-Vorwürfen scheiterte. Ein wirksames Mittel gegen das, was inzwischen | |
als „Mietenwahnsinn“ grassierte, fand aber auch sie nicht. Noch 2018 | |
konstatierte Lompscher: „Zum Mietensenken fehlt uns das Instrumentarium.“ | |
Ändern sollte das ein Sachbearbeiter im Amt für Bürgerdienste und | |
Wohnungsamt Pankow. Peter Weber hatte in seiner Freizeit einen juristischen | |
Fachaufsatz geschrieben, der zur Blaupause für den Berliner Mietendeckel | |
werden sollte. Aus der ursprünglichen Idee, die Mieten für fünf Jahre | |
einzufrieren, wurde im Gesetz dann mehr: Nun gab es eine Tabelle mit | |
definierten Höchstmieten je nach Baujahr und damit die Regelung, dass | |
überhöhte Mieten abgesenkt werden müssen. | |
Am 30. Januar 2020, vor genau fünf Jahren, [1][beschloss Rot-Rot-Grün im | |
Abgeordnetenhaus das Gesetz]. Der Mietendeckel war ein radikales | |
Versprechen, die Übersetzung des Slogans „Wir holen uns die Stadt zurück“. | |
Mehr als zwei Millionen Berliner:innen sollten von ihm profitieren. Und | |
tatsächlich: Von einem auf den anderen Tag war die Mietpreisspirale | |
gestoppt. Viele Mieter:innen erhielten erstmals Briefe, in denen sie | |
über Mietsenkungen informiert wurden. | |
## Kurzer Traum | |
Doch der Traum vom sorgenfreien Mieterleben hielt nur ein gutes Jahr. Dann | |
hob das Bundesverfassungsgericht das Gesetz auf, weil Berlin die | |
Gesetzgebungskompetenz fehle. CDU und FDP hatten die Klage angestrengt, | |
allen voran der CDU-Abgeordnete Jan-Marco Luczak, der auch jetzt wieder | |
seinen Landesverband zur Bundestagswahl anführen darf. Konservative und | |
Neoliberale zeigten kein Interesse für die Nöte der mehr als 80 Prozent, | |
die in Berlin zur Miete leben, und klopften sich auf die Schulter, weil sie | |
den Vermietern die Profite gerettet hatten. | |
Peter Weber dagegen blickt „mit Bedauern“ auf die vertane Chance, wie er am | |
Mittwoch der taz sagte. Bedauern über Fehler in der Gesetzesbegründung, die | |
das Argument für einen Verfassungsverstoß „auf dem Silbertablett | |
servierten“ und darüber, dass der als konservativ geltende zweite Senat des | |
Bundesverfassungsgericht die Gelegenheit dann auch nutzte, „statt den | |
wahren Gehalt des Gesetzes zu würdigen“. „Dass der lange Arm der | |
Immobilienwirtschaft dann doch bis nach Karlsruhe reicht, hat man sich so | |
nicht ausgemalt“, so Weber. | |
Die Hoffnung, die Vermietungskonzerne in die Schranken zu weisen und Wohnen | |
als soziales Grundrecht zu priorisieren, hatte ein halbes Jahr nach dem | |
Gerichtsentscheid ein zweites Hoch – durch den Erfolg des Volksentscheids | |
Deutsche Wohnen & Co enteignen. Doch der Bürgerwille wurde verschleppt und | |
hintergangenen. Die Illusion platzte vorerst, genau wie eine jedenfalls im | |
Ansatz progressive Regierung, die die zentrale soziale Frage der Zeit | |
zumindest anerkannte. Der amtierende CDU-SPD-Senat hat für Mieter:innen | |
nichts im Angebot. Der stete Verweis auf den Neubau als einzige Lösung | |
wirkt angesichts der dort aufgerufenen Mieten wie Hohn. | |
## Schlimmer geht immer | |
Berlins Mietenmarkt ist heute in einem katastrophalen Zustand. Die | |
Mietpreise bei Anmietung haben sich in den vergangenen zehn Jahren | |
verdoppelt, neu gebaut wird vor allem im Luxussegment, vermietet fast nur | |
noch möbliert. Viele Mieter:innen müssen bereits die Hälfte ihres | |
Einkommens für die Miete hinblättern. Sie sind arm durch Miete, während | |
Vermieter mit Wohnungen Reibach machen, die schon vor Jahrzehnten abbezahlt | |
waren. Peter Weber sagt: „Ein Mietendeckel ist überfällig.“ Die | |
Bundesländer hätten die Kompetenz dazu und der Bundesgesetzgeber könnte, | |
wenn er wollte, dies mit einem Satz, einer Öffnungsklausel im Bürgerlichen | |
Gesetzbuch klarstellen. | |
Im laufenden Wahlkampf rufen bundesweit mehr als 50 Miet-Initiativen und | |
Vereine „zu einem radikalen Kurswechsel in der deutschen Wohnungspolitik“ | |
auf. Die Kampagne „Mietendeckel jetzt“ zeigt, dass die Idee nicht tot ist. | |
[2][Auch Andrej Holm arbeitet unablässig an der Idee], zuletzt mit einer | |
Studie für die Rosa-Luxemburg-Stiftung. Wahr ist aber auch: Es fehlt der | |
politische Schwung, und die Parteien ignorieren das Thema prominent. | |
Wie sehr, zeigt sich darin, dass es der Bundesregierung nicht gelungen ist, | |
mit der Mietpreisbremse das einzige Instrument zur Mietpreisbegrenzung zu | |
verlängern. Ende des Jahres läuft sie aus, danach können Vermieter bei | |
jedem Mieterwechsel die Miete unbeschränkt anheben. Dass sie das ungeachtet | |
der noch geltenden Regelung schon vielfach tun, zeigt die Mietwucher-App | |
der Linken: [3][Allein in Berlin verzeichnete sie bei 32.000 Eingaben | |
22.700 Mal zu hohe Mieten]. | |
Am Mittwoch wies die Linke zudem mit Aktionen in mehreren Bezirken darauf | |
hin, dass etliche Wohnungen und Gewerbeflächen teils unzulässig leerstehen. | |
Die Verfolgung obliegt den Bezirken, die noch am ehesten gewillt sind, dem | |
Treiben auf dem Wohnungsmarkt Einhalt zu gebieten – nur dass es ihnen an | |
den Kapazitäten mangelt. | |
Zuletzt taten sich vier Bezirke und der Mieterverein zusammen, um Menschen | |
zu schützen, denen nach Aufteilung ihrer Mietshäuser nun | |
Eigenbedarfskündigungen drohen. Doch eine gesetzliche Handhabe gegen die | |
Verdrängung haben sie nicht. Und ob der Versuch erfolgreich sein wird, | |
gegen die Vermietung möblierter Wohnungen vorzugehen, wie es mehrere | |
Bezirke zuletzt ankündigt haben, steht in den Sternen. | |
Der Kampf um die Mieterstadt Berlin geht fünf Jahre nach Einführung des | |
Mietendeckels an vielen Stellen weiter. Nur an den entscheidenden – im | |
Senat und in der Bundesregierung – wird er nicht geführt. | |
30 Jan 2025 | |
## LINKS | |
[1] /Mietendeckel-fuer-Berlin-beschlossen/!5660960 | |
[2] /Soziologe-Andrej-Holm-ueber-Wohnpolitik/!6060775 | |
[3] /App-gegen-Mietwucher/!6065703 | |
## AUTOREN | |
Erik Peter | |
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