# taz.de -- Grünen-Kandidatin über Wohnungspolitik: „Selbst CDU-Wähler sin… | |
> Die Kreuzberger Grüne Katrin Schmidberger will in den Bundestag. Im | |
> taz-Interview fordert sie mehr Umverteilung und kritisiert die | |
> Mietenpolitik der Ampel. | |
Bild: Katrin Schmidberger an ihrem derzeitigen Arbeitsplatz, dem Berliner Abgeo… | |
taz: Frau Schmidberger, Berlin-Friedrichshain-Kreuzberg – Prenzlauer Berg | |
Ost gilt als sichere Bank für die Grünen, seit [1][Hans-Christian Ströbele] | |
2002 den Wahlkreis das erste Mal gewonnen hat. Glauben Sie, dass Sie auch | |
dieses Mal das Direktmandat für die Grünen holen werden? | |
Schmidberger: In der Demokratie ist nichts selbstverständlich. Die Wähler | |
werden das entscheiden. Ich bin täglich im Wahlkreis unterwegs. Wir machen | |
viele Infostände, wir klingeln an den Haustüren. Das Feedback der Menschen | |
ist immer sehr gut. Deshalb bin ich optimistisch. | |
taz: In der Ampelkoalition standen die Grünen viel in der Kritik, auch von | |
linker Seite. Einmal war da die [2][Räumung Lützeraths], dann | |
[3][Waffenlieferungen im Ukraine- und Gazakrieg], bis hin zur Unterstützung | |
[4][menschenrechtlich fragwürdiger Migrationspolitik]. Merken Sie auf der | |
Straße, dass Menschen enttäuscht von den Grünen sind? | |
Schmidberger: Viele Leute sagen uns, dass sie uns mehr kämpfen sehen | |
wollen. Sie verstehen oft, dass wir Kompromisse machen mussten oder auch | |
einfach keine politische Mehrheit hatten in der Koalition. Das gehört zum | |
Regieren dazu. Aber dieses Schönreden von Kompromissen, das stört viele | |
Menschen. Da fühlen sie sich auch nicht ernst genommen in ihrer Kritik. | |
taz: Wie ginge es besser? | |
Schmidberger: Ich finde, wir als Grüne hätten noch mehr das Thema | |
Umverteilung ins Zentrum unserer Politik stellen müssen. Die Menschen | |
merken, dass es nicht mehr gerecht zugeht. Und wenn sie dann das Gefühl | |
haben, dass der Staat sich nicht mehr um eine gerechte Verteilung von | |
Ressourcen, Vermögen und Wohnungen kümmert, dann gerät unsere Demokratie in | |
die Schieflage. Keine spürbare Entlastung beim Bürger*innengeld, kein | |
Klimageld, keine Kindergrundsicherung – wir haben als Ampel hier nicht | |
geliefert und das ist fatal. Kein Wunder, dass das Heizungsgesetz bei den | |
Menschen für Verlustangst gesorgt hat. | |
taz: Momentan läuft der Kanzlerkandidat der Grünen eher den aktuellen | |
Migrationsdebatten hinterher. In seinem „10-Punkte-Plan“ [5][fordert Robert | |
Habeck eine härtere Gangart bei Abschiebungen], anstatt auf das grüne | |
Kernthema der sozial-ökologischen Transformation zu setzen. | |
Schmidberger: Und deshalb gibt es dazu auch deutliche Kritik innerhalb | |
unserer Partei. Beim Thema Migration müssen wir auf eine evidenzbasierte | |
Politik setzen. Menschen anderer Herkunft verantwortlich für Missstände in | |
Deutschland zu machen ist keine grüne Politik. Natürlich ist das Grundrecht | |
auf Asyl nicht verhandelbar. Das haben wir übrigens auch als Partei Ende | |
Januar so beschlossen auf unserem Bundesparteitag und das gilt | |
selbstverständlich. | |
taz: Als die CDU vor gut zwei Wochen zusammen mit der AfD einen Antrag zur | |
Migrationspolitik beschlossen hat, haben die Linken als einzige wirklich | |
starke Widerworte gefunden. Den Grünen wurde vorgeworfen, dass sie sich | |
zurückhielten, weil sie auf eine mögliche schwarz-grüne Koalition schielen. | |
Wären die Grünen nicht besser in der Opposition aufgehoben? | |
Schmidberger: Das habe ich so nicht erlebt. Wir haben sehr hart und klar | |
reagiert. Eine Zurückhaltung gab es da nicht. Allerdings mache ich mir | |
Sorgen, welche Mehrheiten nach der Wahl überhaupt möglich sind. Klar | |
geworden ist, dass Aussagen von Merz über Kooperationen oder Duldungen mit | |
der AfD nichts wert sind. Aber je nach Mehrheitsverhältnissen ist | |
vielleicht nur ein Dreierbündnis möglich und dann wird es kompliziert. | |
Damit keine Missverständnisse entstehen, ich habe ja deutlich gesagt, dass | |
ich niemanden wählen kann, der lieber mit Nazis stimmt als mit Demokraten | |
zu verhandeln. Ich halte Merz für gefährlich. Er steht ja nicht nur für | |
einen Rechtsruck, er steht auch für eine ganz kalte, neoliberale | |
Umverteilung von unten nach oben. Mir fehlt die Phantasie, wie unsere grüne | |
Programmatik, die mehr Umverteilung fordert, die endlich die Klimakrise in | |
den Griff kriegen will, aber auch einen Sozialstaat erhalten will und | |
ausbauen will, auch nur irgendwie mit jener der CDU zusammen passt. | |
taz: In Berlin sind Sie für ihr mietenpolitisches Engagement bekannt. Oft | |
geht es dabei darum, einzelne Projekte oder Häuser vor Verdrängung zu | |
schützen. Auch wenn es viele Rückschläge gab, die Zusammenarbeit von | |
Mietenbewegung und linken Landesparlamentarier:innen von SPD, | |
Linken und Grünen konnte in der Vergangenheit viel bewegen, man denke nur | |
an den [6][Mietendeckel]. Warum nun Ihr Schritt Richtung Bundespolitik? | |
Schmidberger: Wir haben in der rot-grün-roten Koalition in Berlin zwischen | |
2016 und 2023 so gut wie alle Instrumente auf Landesebene versucht, um die | |
Verdrängung und den Ausverkauf der Stadt zu stoppen oder zu korrigieren. | |
Wir haben den Mietendeckel eingeführt, der über 1,5 Millionen Haushalte | |
entlastet hat. Aber wir alle wissen, das Bundesverfassungsgericht hat | |
geurteilt, dass nur der Bund ihn beschließen kann. Und genau das ist jetzt | |
meine Mission. Ich will, dass die Städte endlich raus aus der politischen | |
Ohnmacht kommen und selbst entscheiden können, wie sie ihre Wohnungsmärkte | |
regulieren, um die Mietenexplosion zu stoppen. | |
taz: Angesicht der politischen Gemengelage scheint das keine leichte | |
Aufgabe. Selbst in der Ampelkoalition war Mietenpolitik kaum ein Thema. | |
Nicht einmal die Mietpreisbremse wurde verlängert. Das Feld ist größer, | |
aber auch viel schwieriger. Wie viele Hebel gibt es denn da noch? | |
Schmidberger: Als ich im Berliner Abgeordnetenhaus 2011 angefangen habe, | |
hatten wir auch noch keine links-grüne Mehrheit für eine progressive | |
soziale Mietenpolitik. Das haben wir geschafft, zu ändern. Und sollten mir | |
die Wähler*innen ihr Vertrauen schenken, dann sehe ich es als meine | |
Aufgabe täglich für einen Paradigmenwechsel im Bund zu kämpfen. Selbst die | |
Mehrheit der CDU-Wähler*innen ist für den Mietendeckel, daher bin ich | |
sicher, dass es eine gesellschaftliche Mehrheit dafür gibt, wir müssen sie | |
in eine politische Mehrheit verwandeln. | |
taz: Davon ist im Bundestag aber nicht viel zu spüren. | |
Schmidberger: Wichtig ist, dass wir Städterinnen und Städter uns mehr | |
parteiübergreifend zusammenschließen. Ich sehe da im rot-grün-roten Lager | |
viel Potenzial. Es ist ein dickes Brett, aber alle Argumente sind auf | |
unserer Seite. Wir geben jetzt in Deutschland mittlerweile 20 Milliarden | |
Euro im Jahr aus für Mietzuschüsse – etwa für Menschen, die Bürgergeld | |
beziehen, sowie Wohngeld. Das sind staatliche Gelder, die wieder in die | |
private Immobilienwirtschaft fließen. Das ist volkswirtschaftlich nicht | |
nachhaltig, stattdessen sollten wir lieber die Mieten regulieren, was eine | |
Menge Geld sparen würde. Und ganz nebenbei würden wir die Kaufkraft | |
steigern, weil die Leute wieder mehr Geld zum Ausgeben hätten. | |
taz: Welche Baustellen gibt es noch? | |
Schmidberger: Die steigende Anzahl von Eigenbedarfskündigungen gefährdet | |
das Zuhause von immer mehr Menschen. Wir haben in den Kiezen in | |
Friedrichshain-Kreuzberg, aber auch im Prenzlauer Berg, bis zu 50 Prozent | |
umgewandelte Wohnungen. Eigenbedarf darf nur noch absolute Ausnahme werden | |
und vorgetäuschter Eigenbedarf muss endlich geahndet werden. Ende dieses | |
Jahres läuft die Umwandlungsbremse aus. Auch das Instrument müssen wir | |
dringend über den Bund verlängern. Sonst droht eine neue Verdrängungswelle | |
in den Städten. | |
taz: Im Wahlkampf macht gerade nur die Linkspartei wahrnehmbar Mieten zum | |
Thema, auch bei den TV-Duellen fällt das Thema weitestgehend unter den | |
Tisch. Warum ist die Mietenkrise kein größeres Thema? | |
Schmidberger: Wir in Berlin reden ständig über dieses Thema. Aber im Bund | |
führen wir viel zu viel Debatten über gefühlte Ängste. Wir müssen endlich | |
wieder über die wirklichen Ursachen von Ungerechtigkeit sprechen. Steigende | |
Mieten sind eine zentrale Ursache der immer weiter aufklaffenden Schere | |
zwischen Arm und Reich. Natürlich haben Merz und die CDU darauf keine Lust | |
und flüchten sich in Ablenkungsdebatten über Geflüchtete, | |
„Masseneinwanderung in die Sozialsysteme“ oder „Bürgergeldbetrug“, ohne | |
faktische Grundlage. Diese Debatten sollen von der großen Frage der | |
Vermögensverteilung und einer sozialen Wohnungspolitik ablenken. Betrug | |
beim Bürgergeld kostet uns im Jahr 60 Millionen Euro, Steuerhinterziehung | |
und -schlüpflöcher hingegen 100 Milliarden im Jahr. | |
taz: Hätten die Grünen nicht auch deutlich mehr tun können, um auf eigene | |
Themen wie Mietenpolitik zu setzen? Im Wahlprogramm steht es ja drin. | |
Schmidberger: Mehr geht immer. Und ja, ich hätte mir gewünscht, dass unsere | |
Forderungen aus dem Wahlprogramm offensiver vom Bund vertreten werden. Bei | |
der Mietenpolitik ist in der Ampel zu wenig passiert. Daran trägt aber | |
nicht nur die FDP die Schuld. Es hätte auch von uns mehr Druck gebraucht. | |
Aber machen wir uns nichts vor, das hat schon auch mit der | |
Diskursverschiebung nach rechts zu tun. Die sorgt ja auch dafür, dass wir | |
viel zu wenig über soziale Themen reden. | |
taz: Sie sind eine Nachfolgerin von Hans-Christian Ströbele, dem linken | |
grünen Urgestein, er war damals ja auf fast jeder Demo in Kreuzberg am | |
Start. Und im Parlament hat er dann immer mit Zwischenrufen genervt. Und | |
auch die eigene Fraktion. Wie wollen Sie den Bezirk repräsentieren? | |
Schmidberger: Ich fände es vermessen zu sagen, dass ich in seine Fußstapfen | |
trete. Dafür habe ich zu viel Bewunderung für ihn und sein Lebenswerk, weil | |
er einfach eine Marke war. Er stand jahrzehntelang für eine ehrliche, | |
unbestechliche Politik. Er sagte, was er dachte und war für die Menschen | |
vor Ort da, immer dem Wahlkreis verpflichtet. Mit dieser Integrität möchte | |
ich auch Politik machen. | |
taz: Wie wollen Sie das schaffen? | |
Schmidberger: Politik muss auch auf der Straße sein, man muss dahin gehen, | |
wo die Menschen sind und wo es auch mal wehtut. Aber natürlich will ich | |
auch unbequem sein und weiterhin geradlinig für die Menschen kämpfen, | |
gerade für die, die keine Lobby haben, die nicht so laut und nicht so reich | |
sind. Ich trete nur direkt an und kann nur mit der Erststimme gewählt | |
werden, weil ich die Leute gerne unabhängig vertreten will. | |
Friedrichshain-Kreuzberg – Prenzlauer Berg Ost war schon immer ein | |
Wahlkreis, wo viele politische Probleme zuerst aufgetreten sind und wo auch | |
progressive Forderungen zuerst diskutiert wurden. Es gibt viele | |
Initiativen, wie zum Beispiel gegen den Weiterbau der A100, mit der es | |
schon Absprachen gibt, nach der Wahl zusammenzuarbeiten. | |
taz: Was kann eine einzelne Abgeordnete da im Bundestag ausrichten? | |
Schmidberger: Ich bringe deren Anliegen ins Parlament durch diverse | |
Anfragen und parlamentarische Initiativen. Wenn es sein muss, gehe ich eben | |
auch innerhalb der Fraktion den Leuten auf die Nerven. Ich finde diese | |
Verbindung zwischen Zivilgesellschaft und Parlament extrem wichtig und | |
glaube auch, dass das in kaum einem anderen Wahlkreis so gut funktioniert | |
wie hier. | |
taz: Canan Bayram, ihre direkte Vorgängerin als Kandidatin in dem | |
Wahlkreis, [7][ist nicht mehr angetreten] mit der Begründung, sie wolle | |
kein linkes Feigenblatt mehr für die Grünen sein. Wie stehen Sie zu der | |
Kritik? | |
Schmidberger: Ich finde, sie hat super Arbeit im Bundestag gemacht und ich | |
bin ihr dankbar dafür. Gleichzeitig teile ich ihre Kritik nicht. Gerade | |
hier in Friedrichshain-Kreuzberg, aber auch in Berlin, sind wir keine | |
Feigenblätter. Im Gegenteil. Wir stehen klar für eine links-progressive | |
grüne Politik. Und das wird auch so bleiben – ob beim Thema Asylrecht oder | |
beim Kampf gegen den Rechtsruck. | |
20 Feb 2025 | |
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[1] /Schwerpunkt-Christian-Stroebele/!t5878527 | |
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## AUTOREN | |
Jonas Wahmkow | |
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