# taz.de -- Gosia Lehmanns Schau über Kunst und Geld: Immer auf Kurs bleiben | |
> Im Berliner Projektraum Neun Kelche führt die Künstlerin Gosia Lehmann | |
> durch ein Labyrinth der Finanzen. Von Wert ist hier nicht immer das | |
> Original. | |
Bild: Nicht echt und deswegen vielleicht wertvoller sind die „Cowrie Shells�… | |
Zuversicht, Lebensfreude, Genuss und Überfluss. Oder auch: | |
Gastfreundschaft, Geselligkeit, Dankbarkeit und Wertschätzung. Im Tarot | |
prophezeit die Karte der Neun Kelche ziemlich viel Gutes. Kira Dell und | |
Laura Seidel, die ihren Projektraum in Berlin-Weißensee 2021 – mitten in | |
der Coronapandemie also – unter diesem Namen gründeten, hatten vorher eben | |
jene Karte gezogen und sie als positives Zeichen gelesen. Zuversicht ist | |
ohnehin unbedingt nötig, wenn man [1][einen Projektraum führen] möchte, bei | |
heutigen enger werdenden Spielräumen für die Kultur vielleicht noch mehr | |
als 2021. | |
Passend erschienen auch andere Aspekte der Weissagung: Auf Geselligkeit | |
legen die beiden Kuratorinnen viel wert. Willkommen sollen sich alle | |
fühlen, die den Weg nach Weißensee auf sich nehmen oder die in der | |
Nachbarschaft wohnen und zufällig vorbeikommen. Wertschätzend wollen sie | |
die Zusammenarbeit mit Künstler*innen gestalten, Ausstellungen lieber | |
gemeinsam entwickeln als ein starres kuratorisches Programm vorzugeben. | |
Was dabei herauskommt, lässt sich in der aktuellen Ausstellung besichtigen, | |
deren Titel allerdings weit weniger verheißungsvoll klingt: Gosia Lehmann | |
stellt ihr Publikum vor ein „Dilemma“, beziehungsweise sie führt es in | |
eines hinein. Dabei handelt es sich um ein Labyrinth aus königsblauen | |
Velours, in dem einem in einer Tour Pfeile begegnen, [2][wie in einem | |
Kursdiagramm], in dem diese das Steigen oder Sinken eines Werts angeben – | |
und sie verwirren dabei mitunter ganz schön. | |
Dabei sind die Wege in der Regel vorgegeben. Ob es anfangs rechts oder | |
links durchs stählerne Tor geht, entscheidet die Münze. Danach gilt es, gut | |
aufzupassen, die – vermeintlich – richtige Antwort zu geben und den | |
Anweisungen zu folgen. Lehmann reimt Börsensprech auf Wirtschaftsjargon, | |
verwandelt so die Logiken der Finanzwelt in hintergründige Rätsel. Es geht | |
um Briefkastenfirmen, Offshore-Geldanlagen, halblegale Geldgeschäfte, | |
monetäre Systeme und Abhängigkeitsverhältnisse. | |
Kaurimuscheln spielen da zum Beispiel eine Rolle, jene Schneckengehäuse, | |
die in der Südsee, in Afrika, Ost- und Südasien über Jahrhunderte hinweg | |
als Zahlungsmittel genutzt wurden. Lehmann hat solche auf einem Tisch in | |
der Mitte des Labyrinths arrangiert und – so viel sei hier schon verraten – | |
echt sind sie nicht. Aber was ist schon echt? Und was hat Echtheit | |
überhaupt noch mit dem Wert eines Objekts zu tun? Bei Lehmanns Muscheln | |
handelt es sich um eine 100-teilige durchnummerierte Kunstedition aus | |
Porzellan. Ihr Wert bestimmt sich also wieder anders – naheliegend, dass | |
Lehmann auch auf die [3][irren Verflechtungen von Finanz- und Kunstwelt] | |
anspielt. | |
Gosia Lehmann hat ursprünglich einmal Film studiert, baut mit Vorliebe | |
Installationen, die sie mit requisitenartigen Objekten bestückt und die | |
Menschen zur Interaktion herausfordern. Im Fall von „Dilemma“ geht das gut | |
auf. Es macht Spaß, sich quer durch das kleine Labyrinth leiten zu lassen. | |
Fast ein wenig zu schnell ist die Rätsel-Runde wieder vorbei. Einen Schatz | |
hat Lehmann übrigens nicht versteckt, zu gewinnen gibt es nichts, nichts | |
Materielles zumindest, Denkanstöße aber schon. | |
12 Jun 2025 | |
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## AUTOREN | |
Beate Scheder | |
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