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# taz.de -- Kuratorengruppe über Off-Szene in Berlin: „Kultur als nicht komm…
> Bald ist Sellerie Weekend, organisiert vom Aktionsraum Spoiler. Der hat
> einen neuen Ort in Berlin. Anlass für ein Gespräch über Kunst und
> Kulturpolitik.
Bild: Im alten Spoiler: Lena-Marie Emrich „A Total Burnout Performance“, 20…
taz: Spoiler, wie entstand Ihr Aktionsraum Spoiler?
Spoiler: Wir kennen uns teilweise schon viele Jahre, sind befreundet, teils
verheiratet. Anfangs trieben nur drei von uns die ursprünglich auf drei
Monate befristete Zwischennutzung in unserem ersten Raum voran. Als der
Mietvertrag verlängert wurde, wurden wir ganz natürlich diese sechs. Für
die zuerst angenommene begrenzte Zeit legten wir für uns Prinzipien fest:
Niemand darf doppelt ausstellen, nur Gruppenausstellungen, alle dürfen
ausstellen – bzw. sich bewerben. Die haben wir bis heute behalten. Wir
hatten nie ein größeres Ziel, außer Kunst möglich zu machen. Bei uns dauern
die Ausstellungen nur ein Wochenende, es gibt eine enge Taktung, sehr viel
Programm, kurze Aktionen, um möglichst vielen Akteuren Raum und vor allem
jungen Künstler:innen die Möglichkeit zu geben, schnell ihre Arbeiten zu
zeigen. Wir hätten auch sagen können, wir machen eine schicke,
durchkuratierte Ausstellung, aber haben stattdessen versucht, für alle zu
öffnen. Dadurch ist auch dieser Nicht-Personen-Kult entstanden, deswegen
treten wir als Spoiler auf. Wir wollen uns nicht profilieren. Es ging und
geht um die Sache. Um die Kunst und darum, einen Ort zu schaffen, an dem
man gerne abhängt.
taz: Wie viele Künstler:innen haben Sie schon ausgestellt?
Spoiler: Im alten Space hatten wir mehr als 66 Shows und damit über 666
Künstler:innen in fünf Jahren. Bis heute haben wir nur eine einzige
Einzelausstellung gemacht, weil wir [1][den Berlin Art Prize mit
zugewiesenem Programm ausgerichtet] haben. Sonst waren es immer
Gruppenausstellungen, Performances, unterschiedliche Pop-up-Formate. Nach
jeder Show gab es mehr Bewerbungen.
taz: Auch Ihr neuer Ort ist in Moabit, passenderweise ein alter Pitstop.
Sind Sie lokal stark eingebunden?
Spoiler: Große Teile unseres Publikums generieren sich natürlich aus der
Nachbarschaft. Wir sind immer offen, aber kein klassisches Kiezprojekt. Ab
und zu haben wir mit lokalen Galerien oder Kunstinitiativen kooperiert. Und
der [2][Moabiter Rapper Apsilon ist bei uns aufgetreten]. Moabit kam immer
eher von allein bei uns vorbei.
taz: Kam auch mal die Politik?
Spoiler: Joe Chialo war mal angekündigt, weil er wohl nicht wusste, was ein
Projektraum ist. Weiß er wahrscheinlich bis heute nicht. Seine
Mitarbeiter:innen im Senat wollten eine Tour mit ihm machen, initiiert
vom Projektraum Tropez. Die wurde dann aber kurzfristig abgesagt. Lokale
Politiker:innen kamen auch nie. Aber ein netter Mitarbeiter aus der
Senatsverwaltung war gerade bei unserer Eröffnung am neuen Standort zu
Gast.
taz: Wie finanzieren Sie sich? Sind Sie von den Kürzungen des Kulturetats
betroffen?
Spoiler: Dass die Förderungen circa halbiert worden sind, kriegt man schon
mit. Förderungen schließen für uns eher Lücken oder ermöglichen etwas
Neues, aber wir würden es irgendwie auch ohne schaffen. Wir haben für 2024
und 2025 erstmalig eine Strukturförderung des Berliner Senats bekommen. Die
kann nun wegfallen. Ansonsten gab es immer nur projektbasierte Gelder. Und
anfangs den mittlerweile abgeschafften Projektraumpreis. Die Förderungen
für die freie Szene werden einfach weniger. Aber Spoiler ist sowieso bis
heute ein komplettes Plus-minus-null-Ding, das sich größtenteils über
Spenden deckt. Wir können meistens keine Honorare zahlen und haben uns auch
selbst jahrelang nichts bezahlt. Spoiler ist nur möglich, weil wir alle
noch andere Jobs haben. Es ist eine Art Ehrenamt, ein Leidenschaftsprojekt,
das nicht vorbei ist, nur weil es kein Geld oder keinen Ort mehr gibt. Dann
muss es anders gehen. Diesen Spirit finden wir nach wie vor wichtig für die
Kultur. Den müssen wir erhalten. Und das heißt nicht, dass es keine
Förderung braucht. Insbesondere etablierter arbeitende Institutionen sind
darauf angewiesen. Die Off-Szene hat schon immer auf Selbstausbeutung
beruht – und sich dadurch eine ultimative Freiheit bewahrt. Unsere
wildesten Sachen hätten wir niemals gefördert bekommen.
taz: Was für wilde Sachen?
Spoiler: Die Künstlerin Lena-Marie Emrich hat im Raum einen Burnout mit
einem Auto gemacht, also die Reifen durchdrehen lassen, bis sie sich
auflösen und blauer Nebel den ganzen Raum füllt. Ein Künstler hat den Boden
mit Frittierfett geflutet. So was halt. Dafür schreibt man keinen
Förderantrag. Das macht man einfach.
taz: Spoiler ist ja auch ein Aktionsraum. Sehen Sie sich in der Tradition
der Aktionskunst?
Spoiler: Zeitgenössisch interpretiert vielleicht. Wir haben den Namen
gewählt, weil wir es nicht auf „Ausstellungsraum“ reduzieren wollten. Es
passiert Action. Der Ort ist vorgegeben, sonst nichts. Wir sind eher eine
Plattform für alles, was da sein kann, als ein klassischer Projektraum.
taz: Nun bilden Sie mit dem Sellerie Weekend noch eine weitere Plattform
für die gesamte Off-Kunstszene.
Spoiler: Erst gab es den Wortwitz – und dann haben wir es einfach gemacht:
Das Off-Programm während des Gallery Weekends gesammelt und es so genannt.
Im Gegensatz zum Gallery Weekend muss bei uns niemand Geld bezahlen, um
mitzumachen und es wird nichts ausgewählt. Alle mit einem festen Ort oder
Konzept und ohne kommerzielle Interessen dürfen mitmachen.
taz: Das klingt eigentlich nach einem Programm, das vom Senat organisiert
oder unterstützt werden sollte, so wie die Art Week.
Spoiler: Viele, die in Berlin über Kulturprogramme und Mittelvergabe
entscheiden, haben keinen Anschluss mehr und sie machen sich auch nicht
mehr die Mühe, die Szene kennenzulernen. Es hilft, dass wir selbst viel in
der Szene unterwegs sind, zu Eröffnungen gehen und viel mit Leuten
sprechen. Die Arbeit, einen Verteiler mit den unzähligen Off-Spaces
anzulegen, macht sich sonst keiner, sodass wir das dann ehrenamtlich machen
müssen. Dabei sind wir beim Sellerie Weekend immer selbst überrascht, wie
viele Projekträume es gibt – in jedem Bezirk.
taz: Hat sich diese Szene in den letzten Jahren verändert?
Spoiler: Es gibt vielleicht eine Professionalisierung der Räume. Früher
waren die meisten Initiativen von Künstler:innen angestoßene
Zwischennutzungen, während es jetzt mehr feste Orte mit einem bestimmten
Profil gibt. Alleine auf der Leipziger Straße sind ganz verschiedene Räume
in direkter Nachbarschaft. Die Räume nehmen sich ernster, sie haben
verstanden, wie wichtig sie sind.
taz: Man munkelt, Berlin wird bald eine:n neue:n Kultursenator:in
haben. Was wäre Ihr Ratschlag an Chialos Nachfolge?
Spoiler: Misch dich unter die Leute. Geh auch privat auf Ausstellungen.
Entbürokratisiert die Förderkonzepte, die zum Teil realitätsfremd sind.
Wenn sich die Kulturszene diversifizieren soll, dann müssen es auch die
Strukturen tun. Das einzige Kapital der Stadt ist Kultur. [3][Joe Chialo
hat das nur als Kampfmittel] genutzt, um eine politisch-konservative Linie
durchzuziehen. Die Leute kommen nicht nach Berlin wegen der Staatsoper,
sondern weil sie zufällig in eine Ausstellung reinlaufen können und da
gerade eine Performance stattfindet. Die Gesellschaft braucht Kultur als
nicht kommerzielle Horizonterweiterung.
taz: Und wo kann man denn beim kommenden Sellerie Weekend am besten seinen
Horizont erweitern?
Spoiler: Am besten selbst auf der Website die Map aufmachen und schauen,
was einen anspricht oder gerade in der Nähe ist. In der ganzen Stadt ist
was los. Im Aktionshaus in Neukölln/Britz gibt es am Freitag essbare Kunst
und danach DJ-Tapes. Bei New Fears in Kreuzberg gibt es auch eine große
Gruppenausstellung und den ganzen Tag über Performances. Insola Berlin ist
ein schwimmender Projektraum in der Rummelsburger Bucht, sicher einen Trip
wert. Aber am besten einfach mal auf gut Glück random irgendwo hingehen, wo
man noch nie war. Können wir sehr empfehlen. Machen wir auch so.
26 Apr 2025
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## AUTOREN
Hilka Dirks
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