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# taz.de -- Gallery Weekend Berlin: Ein Versprechen auf eine Zukunft ohne Chef
> In den Schaufenstern des KaDeWes steht seit dem Wochenende Kunst. Der
> Besuch der Eröffnung hinterlässt bei unserer Autorin unentschlossene
> Gefühle.
Bild: Schau, das KaDeWe zeigt jetzt Kunst
Die Stadt ist voll und heiß wie im Juni. In Neukölln schlendern Männer, die
denken, sie seien Jungs, in kurzen Hosen und seit dem Morgen mit Bier in
der Hand durch die Seitenstraßen. Vor den Cafés sitzen geblümte Frauen mit
glänzenden Haaren und großen Sonnenbrillen, in der Ferne blinkt Blaulicht
zwischen hellem Lindengrün. Es riecht nach Pfirsichsaft und Hundepisse, ein
Polizeihubschrauber rüttelt am Himmel.
Es ist der frühe Abend [1][des Ersten Mai]. Beim Versuch, per Fahrrad nach
Westen zu kommen, gebe an den ersten Polizeiabsperrungen auf, und steige
stattdessen in die merkwürdig leere U7. Früher roch es am Tag der Arbeit
nach Tränengas und verbranntem Plastik, doch davon ist diesmal nichts zu
spüren. Barista-Barista Antifascista, denke ich, während sich der Waggon
durch den Tunnel drückt.
Einen Umstieg später spuckt mich die Fahrt am Wittenbergplatz wieder aus.
F. steht schon dort und fällt mir um den Hals, wir gehen Arm in Arm ins
[2][KaDeWe], dessen Schaufenster anlässlich des [3][Gallery Weekends] vom
Kurator Sebastian Hoffmann mit zum Teil höchst sehenswerter Kunst bestückt
wurden. Ware ist halt Ware, und auch wenn es sie diesmal eigentlich nicht
im Kaufhaus des Westens zu kaufen gibt, so passt sie doch unangenehm gut an
diesen Ort, in diese Stadt, zu genau dieser Zeit, in der die Kultur eh zum
Luxus schlechthin wird.
Wie ein Museumsbesuch in der Zukunft
„Es ist so, als ob wir auf einem Museumsbesuch in der Zukunft wären: So
haben die Menschen früher geshoppt“, sagt F., während wir auf Rolltreppen
vorbei an wegen des Feiertags geschlossenen Etagen in die Gastronomieetage
schweben. Als Kind war es dort der Inbegriff der begehrenswerten
Erwachsenenwelt für mich. Zweimal im Jahr kam meine Patentante zu Besuch,
eine laut lachende Unternehmerin im kosmopolitischen
90er-Jahre-Business-Stil zwischen Postmoderne und New Wave. Sie roch nach
Chanel, lud mich in „die Sechste“ zu Krabbencocktails und Schokotarte ein
und brachte mir bei, dass man sich auch als Frau einfach alles selbst
kaufen kann, ohne um Erlaubnis zu bitten.
Paradoxerweise war ihr Konsum für mich Ausdruck absoluter Freiheit. Das
chromglitzernde Design des Kaufhauses als ein Versprechen auf eine Zukunft
ohne Chef, aber mit knallrotem Lippenstift.
Nun quetschen sich geschmackssichere Menschen in der genau richtigen
Kleidung in den abgetrennten Eventbereich der Austernbar, die durch den
Umbau so seelenlos wie ein internationaler Flughafen geworden ist. Das
Versprechen war leer: Hallo Welt. Luftküsse und Gossip werden mit süffigem
Atem verteilt, Weißwein zu den rohen Schalentieren gereicht. Weiter hinten
gibt es natürlich auch Currywurst und Bier in exaltierten Gläsern: Dit is
Berlin, wa? Die Stimmung ist vorhersehbar glänzend bei den Gästen und
verständlicherweise mies beim Personal.
Kaputtgebauter Sehnsuchtsort
Als wir uns nach einer Stunde von den Kunstmassen lösen und wieder auf die
Straße treten, leuchtet Christian Jankowskis „Luftschloss“ rötlich im
Fenster hinter meinem Rücken. Es ist die in eine Neoninstallation
übersetzte Zeichnung des Poliers der Baustelle für das Museum des 21.
Jahrhunderts, Andreas B.: „Lieber Arbeiter, bitte zeichne mir das Schloss
deiner Träume“, war laut Ausstellungstext die Aufforderung. Nun hängt es
hier im Konsumtempel der alten BRD, im kaputtgebauten Sehnsuchtsort meiner
Kindertage. Zurück in der U-Bahn starre ich mit unentschlossenen Gefühlen
im Kopf vor mich hin.
Im Berliner Fenster verkündet Die Welt von der Revolutionären Ersten
Mai-Demo: „Journalisten von Demonstranten als Kapitalistenschweine
beschimpft.“ Und auch ganz ohne Springer-Hintergrund bin ich heute wohl
mitgemeint.
6 May 2025
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## AUTOREN
Hilka Dirks
## TAGS
Ausgehen und Rumstehen
Kunst
Kunst Berlin
Tag der Arbeit / 1. Mai
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