# taz.de -- Die Highlights zum Gallery Weekend: Von großen Geschäften, tiefen… | |
> Es ist Gallery-Sellerie-Weekend: Die Galerien ziehen ihre Trümpfe, die | |
> Off-Szene wird abseitiger und Leilah Barbiye zeigt, was Schönheit ist. | |
Bild: Die Fensterfront des KaDeWe mit je einer Kunstinstallation in den zehn Sc… | |
Der Berliner Kunstbetrieb fährt an diesem Wochenende so richtig hoch. Es | |
ist Gallery Weekend – und Sellerie Weekend. Und alle ziehen ihre Trümpfe. | |
Etwa Levy Galerie. Sie wird den vor nur wenigen Monaten verstorbenen Daniel | |
Spoerri zeigen. Aber nicht die berühmten Fallenbilder des selbst ernannten | |
„Universaldilettanten“, vielmehr holt sie eine weniger bekannte | |
großformatige Installation aus seinem barocken Werk hervor, in der Spoerri | |
Küchenmesser zu Federschmuck umdeutet. Einer anderen Kultfigur widmet sich | |
die Galerie Mountain, dem 2020 verstorbenen, indonesischen David Mendella. | |
Der tourte seit den 1960ern als Aktionskünstler, Ausstellungsmacher, | |
Netzwerker und mit seinen kinetischen Skulpturen durch Europa. | |
Selbst in den Schaufenstern des KaDeWe hat Kurator Sebastian Hoffmann, der | |
auch als Dekorateur arbeitet, jetzt die blinkenden Fashionartikel gegen | |
Kunst eingetauscht. Gegen Saâdane Afifs Malewitsch-haft abgewandelte | |
Straßenschilder zum Beispiel, oder Alexandra Birckens „Honda Honda Bionda | |
Onda“ aus Motorradtanks und Echthaarteilen. 10 Künstler:innen, 10 Galerien, | |
10 Installationen, 10 Fenster („SCHAU, FENSTER“ heißt das Ganze, erinnert | |
stark an den fast gleichnamigen Kunstraum „SCHAU FENSTER“). | |
Große Geschäfte sind ohnehin ein Thema: Die internationale Megagalerie Pace | |
eröffnet während des Gallery Weekend ihre Berliner Dependance in der | |
schicken Fiftees-Tankstelle an der Bülowstraße, wo bis vor kurzem noch Das | |
Kleine Grosz Museum war, mit dem fulminanten Trio Basquiat, Dubuffet und | |
Nava. Warum Pace sich jetzt hier niederlässt, beantwortete Direktorin Laura | |
Attanasio im Kunstmagazin Frieze damit, dass Berlin eben noch immer eine | |
internationale Künstler:innenstadt sei und – entgegen ihres Rufs – voll | |
mit zahlkräftigen Sammler:innen. | |
## Frisch unterwegs beim Sellerie Weekend | |
Geht es um abseitige Orte in der Stadt, dann sind die gut 100 | |
nichtkommerziellen Kunstinitiaven des [1][Sellerie Weekend] den | |
kommerziellen Galerien um einiges voraus. Insola ist ein schwimmender | |
Projektraum in der Rummelsburger Bucht. Und Raum WWW zeigt Kunst in einer | |
Neuköllner Telefonzelle. „Gelbe Seiten“ heißt die Schau auf 1,5 | |
Telekom-Quadratmetern mit einer Künstler:innenliste fast so lang wie | |
das einstige Branchentelefonbuch: Emma Adler, Isabella Fürnkäs, Fette Sans | |
sind unter den gut 50 Namen. | |
Dass die freie Szene auf Floß, Telefonzelle oder andere Orte weit außerhalb | |
der Innenstadt ausweicht, hat nicht nur den Charme des Abseitigen. Es ist | |
wohl auch ein Symptom für die schwindenden Räume in der Stadt, für die | |
Mieten, die zu hoch sind für Kunst ohne wirtschaftlichen Gewinn. | |
Etwas außerhalb in Tempelhof liegt auch der Projektraum Soft Power. Der | |
geht mit seiner Ausstellung [2][„Changing Room“] nun ins Innerliche. Sieben | |
Künstler:innen, geboren zwischen 1970 und 2002, erinnern sich darin an ihre | |
Adoleszenz. An diese intensive Zeit im Leben in einem Alter irgendwo | |
zwischen 13 und 19 Jahren, in einem Zustand irgendwo zwischen Rebellion und | |
Anpassung. Wenn die wilde Welt sich im Kopf abspielt und der eigene Körper | |
dabei meist im Jugendzimmer verweilt, jenem „Room“ im Titel. | |
Zu den wilden Gedanken gehören dann auch manch seltsame Vorbilder, wie | |
Ayanna Williams, die Anaïs Fontanges auf einer ihrer charakteristisch | |
reduzierten Zeichnungen festgehalten hat, das Gesicht hinter eine seltsamen | |
Arkadenarchitektur gelegt. Die Arkaden sind die gekrümmten, ultralangen | |
Fingernägel, mit dem Williams als Fingernagelweltrekordbrecherin eine | |
ziemliche Medienberühmtheit wurde. | |
Oder die Malereien von Marius Meyer-Jens sind zu sehen, riesige, geöffnete | |
Münder, mit all den Assozationen, die das Organ freisetzt: Geruch, Alter, | |
Pflege, Ekel. Das ist alles ein bißchen psycho, wie die Adoleszenz eben | |
eine psychisch intensive Zeit ist. Da wird selbst die | |
Ausstellungsarchitektur aus Billie-Regalen, dem Ikea-Standardmöbel aus wohl | |
jedem europäischen Jugendzimmer der 1990er-Jahre, etwas unheimlich. | |
## Von Schein und Sein | |
Sie wolle etwas Schönes schaffen, meint Leilah Babirye in einem der vielen | |
Youtube-Videos über sie im Netz. [3][Max Hetzler] zeigt zum Gallery Weekend | |
erstmals eine Einzelschau der Künstlerin. Wie ehrlich sie mit dieser | |
Aussage ist. Nur wenige bekennen sich so klar dazu, hat doch das Schöne die | |
Konnotation, nur Oberfläche, nur Schein zu sein. | |
Bei der aus Uganda vor einigen Jahren in die USA geflohenen Künstlerin – | |
sie verließ als offen queere Person das Land und kann wegen seiner harten | |
Anti-LGTBTIQ-Gesetzgebung nicht zurück – kriegen aber auch Schein und | |
Oberfläche eine eigene Tiefe. Weil sie Weggeworfenes zum Glänzen bringt, | |
Wertloses zu Wertvollem macht – und damit eine Message transportiert, die | |
über das Materielle hinausgeht. | |
Man sieht in der zeitgenössischen Kunst immer wieder, dass auch der Müll zu | |
etwas Wertigem gemacht werden kann. Aber das mit der Schönheit, das hat | |
Leilah Babirye besonders gut drauf. Wie sie Fahrradritzel, -ketten und | |
-räder zu Kopfschmuck drapiert, sie extravagant und hoch über das Haupt | |
einer ihrer hölzernen Statuen türmt wie an einem Pouf der Marie Antoinette. | |
Sowieso das Haar: Häufig flechtet Babirye es aus alten Radschläuchen zu | |
modulierbaren Zöpfen, die dann schräg und kurios auf ihren Masken, Köpfen | |
und Gesichtern aus Holz, Keramik oder – ganz neu – teurer Bronze sitzen. | |
Das hat etwas Lebendiges, Lebendes, so scheint es. | |
Ohnehin geht es bei den Bildhauerarbeiten und Zeichnungen viel um Schein | |
und Sein. Wer sind wir und wer geben wir vor zu sein, fragt die 1985 in | |
Kampala geborene Babirye mit ihren ambivalenten, keinem Geschlecht | |
zuordbaren Figuren in der Ausstellung. Die Vorlage für ihre Gesichter mit | |
offenen Mündern, grafischen Nasen und langen Hälsen findet Babirye in der | |
Kunstgeschichte Afrikas, nicht immer Ugandas, häufig auch Westafikas. Sie | |
präsentieren echte oder erdachte Portraits queerer Menschen aus ihrem | |
Leben. Die können öffentlich nicht immer sein, was sie sind, brauchen den | |
Schein, die Schönheit. | |
1 May 2025 | |
## LINKS | |
[1] https://www.sellerie-weekend.de/ | |
[2] https://softpower.world/de/info/ | |
[3] https://www.maxhetzler.com/ | |
## AUTOREN | |
Sophie Jung | |
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