# taz.de -- Biopic „Niki de Saint Phalle“: Ein zittriges Gemüt | |
> In ihrem Regiedebüt „Niki de Saint Phalle“ zeichnet Céline Sallette | |
> leichtfüßig ein Porträt der Künstlerin als zerrissene Frau. Ihr Stil ist | |
> sicher. | |
Bild: Hier mal burschikos: Niki de Saint Phalle (Charlotte Le Bon) | |
Die Künstlerin Niki de Saint Phalle gehört mit ihren humorvoll | |
feministischen Nanas zum kollektiven Bildgedächtnis. Jene bunt bemalten, | |
fülligen Frauenfiguren mit dicken Pos und kleinen Köpfen – oder [1][ihre | |
fröhlich-fantasievollen Großplastiken aus den Siebzigerjahren stehen in | |
Paris, in Jerusalem, in Basel, in Hannover, wo Niki de Saint Phalle gar | |
Ehrenbürgerin ist]. Darüber übersieht man fast, dass sie lang mit dem | |
Künstler Jean Tinguely, Schöpfer kinetischer Figuren, liiert war. Gemeinsam | |
waren sie ein überaus erfolgreiches Künstlerpaar von den 60ern bis in die | |
80er Jahre. | |
Doch die Bühne des Kunstbetriebs galt lang ihr, der Meisterin des koketten | |
Auftritts. Für ihre Schießbilder, die „tirs“, bei denen sie in | |
Objektassemblagen Farbbeutel einarbeitete und sie dann in einem spektakulär | |
inszenierten Akt mit Schusswaffen derart traktierte, dass die Farbe wie | |
Blut über die Bildtafeln lief, trat sie im selbst entworfenen körperengen | |
Kampfanzug an. Niki de Saint Phalle, das einstige Model und Covergirl, war | |
wütend und dabei ziemlich sexy. | |
Die Schießbilder sind der Urknall ihrer Kunst, erstmals öffentlich performt | |
1961 in Paris, in der Künstlerkolonie Impasse Ronsin am Montparnasse. In | |
der Kunstgeschichte beginnt hier die Story. Da ist Saint Phalle 31 Jahre | |
alt. Im Biopic „Niki de Saint Phalle“ von Céline Sallette endet sie da. | |
Die französische Film- und Theateschauspielerin Céline Sallette blickt in | |
ihrem Regiedebüt auf die Phase im Leben Saint Phalles, als die | |
Anfang-20-Jährige mit ihrer Tochter und ihrem Ehemann, dem Autor Harry | |
Matthews (John Robinson), von den USA nach Europa zieht. Nein, sie fliehen, | |
wie die beiden in manchen Pariser Cafégesprächen des Films kokettieren. | |
Für Niki, eigentlich Catherine Marie-Agnès Fal de Saint Phalle, bedeutet | |
das zunächst eine Emanzipation von ihrer streng katholischen | |
Oberschichtsherkunft – der Vater ist ein französischer Adeliger und war in | |
den USA im Finanzbusiness tätig. Im Verlauf des Film geht sie dann allein | |
weiter – wankelmütig, schmerzerfüllt, abgründig – bis zur Kunst. | |
## Mit Elektroschocks behandelt | |
Sallettes Biopic wirkt kaum wie ein Debüt. So leichtfüßig verstrickt die | |
1980 in Bordeaux geborene Regisseurin ihre lineare Erzählung vom Werden | |
einer Künstlerin mit einzelnen Rückblenden, mit manch experimentellen Cuts. | |
Sie fügt in ihre lichten, schönen Ansichten aus dem Leben einer | |
Künstlerbohème im Nachkriegsfrankreich – besonders mondän: die | |
Prä-Geburtsszene, in der Niki auf dem Rücksitz eines schicken Kleinwagens | |
mit dem zweiten Kind vor Schmerz schreiend in den Wehen liegt und sich | |
hinter ihr die dramatische Felsenküste und das blaue Mittelmeer auftun – | |
immer wieder auch eine subjektive Kamera. Diese wird dann zu Niki de Saint | |
Phalles Blick, etwa wenn sie sich furchtsam wackelnd vom Beifahrersitz aus | |
auf das schlossartige Gebäude einer psychiatrischen Heilanstalt zubewegt, | |
in die Niki nach Panikattacken eingewiesen und mit Elektroschocks behandelt | |
wird. | |
Oder die Kamera (Victor Seguin) nimmt die Position der Kunst selbst ein. | |
Die produziert Niki nach ihrer psychiatrischen Behandlung nämlich | |
unermüdlich. Dann wandert der Blick der Hauptdarstellerin Charlotte Le Bon | |
prüfend am Objektiv entlang, als wäre es das von ihr bearbeitete Kunstwerk. | |
## Eine Schlange im Gras | |
Niki de Saint Phalles tatsächliche Kunst hingegen ist in diesem Film gar | |
nicht zu sehen, Sallette erhielt nicht die Bildrechte dafür. Das macht aber | |
nichts. | |
Das schwere, eigentlich alles bestimmende Motiv im Film und im frühen Leben | |
der Niki de Saint Phalle belässt Sallette nur in der Andeutung: der | |
sexuelle Missbrauch des Vaters. Da schiebt sich mal eine | |
sonnenlichtdurchflutete Jugenderinnerung ins Bild, bei der etwas im | |
Gartenhaus passierte, oder eine Freud’sche Einblendung: eine Schlange, die | |
sich im Gras windet. Das macht Sallette ziemlich kunstvoll und | |
psychologisch feinsinnig. | |
Getragen wird der Film von der Hauptdarstellerin Charlotte Le Bon. Sie kann | |
ihr porzellanpuppenhaftes Gesicht ins Liebliche, Burschikose und | |
Hysterische verziehen, spiegelt das zittrige Gemüt ihrer Figur. Le Bon ist | |
selbst auch Künstlerin. Daher handhabt sie den Pinsel so routiniert, fährt | |
so geschwind mit den Fingern durch jegliches Material, das Niki im Laufe | |
der 98 Filmminuten manisch sammelt, zerbricht, wieder neu verarbeitet, | |
verklebt, verrammelt. | |
Sallettes Filmbiographie ist das Porträt einer zerrissenen Frau Ende der | |
50er, eine liebende, gleichsam zweifelnde Mutter, die sich entscheiden | |
muss: Kunst oder Kinder. Sie sei halt nur „eine Ehefrau, die malt“, sagt | |
ihr [2][Joan Mitchell in einer Dinnerszene in aller Ungemütlichkeit, für | |
die die große Malerin des Abstrakten Expressionismus] bekannt ist. Für Niki | |
de Saint Phalle ist das ein Wendepunkt. Sie wird die Familie verlassen. | |
Dann haust sie in einer Pariser Wohnung nahe der Impasse Ronsin, hat eine | |
bittere Liebesaffäre, der Ehemann hält ihre Launen nicht mehr aus, der | |
Psychiater vertuscht den Missbrauch des Vaters – ihre Wut ballt sich. Was | |
kommt dann? Niki schießt. Gegen das Patriarchat. | |
20 Mar 2025 | |
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## AUTOREN | |
Sophie Jung | |
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