| # taz.de -- Visuelle Darstellung von Weiblichkeit: Der Vorhang steht ihr gut | |
| > Ein Käfig voller Ornamente: Die Wissenschaftshistorikerin Anke te Heesen | |
| > analysiert in „Frauen vor Mustern“, wie Weiblichkeit dargestellt wird. | |
| Bild: Wilhelm Trübners Gemälde „Auf dem Kanapee“, 1872 | |
| Mit leicht geöffneten Lippen blickt die junge Frau die Betrachtenden | |
| gleichgültig und direkt an. In der Hand hält sie eine kleine Speise, das | |
| fast konturlose schwarze Kleid lässt ihren Körper verschwinden, nur der | |
| weiße Spitzenkragen und die Manschetten betonen die Haut von Händen und | |
| Gesicht. „Auf dem Kanapee“ sitzt die Frau, so auch der Titel des Gemäldes | |
| Wilhelm Trübners von 1872. Umgeben ist sie von wildem Ornament: geblümte | |
| Tapete, Streublumen auf der Sitzbank, eine karierte Tischdecke zur Linken, | |
| darauf Blumen, dunkles Emblem auf dem Teppich zu ihren Füßen. | |
| Das zwischen Realismus und Impressionismus mäandernde Trübner-Gemälde ist | |
| nur eins von vielen, die das immer wiederkehrende Bildmotiv „Frauen vor | |
| Mustern“ erkennen lassen, dem die Wissenschaftshistorikerin Anke te Heesen | |
| nun einen schmalen kunsthistorischen Essay gewidmet hat. Darin vergleicht | |
| sie ein scheinbar randständiges, tatsächlich aber hoch aufgeladenes | |
| Bildmotiv: Frauen vor Ornament – vor gemusterten Tapeten, Stoffen, | |
| Teppichen oder Vorhängen. Te Heesens These: Das Muster ist nicht bloßer | |
| Hintergrund, sondern der aktive Bedeutungsraum, der die Darstellung von | |
| Weiblichkeit strukturiert, begrenzt, formt. | |
| Ob in der Malerei des 19. Jahrhunderts, in Fotografien des 20. oder in | |
| gegenwärtigen Medien wie Baumarktwerbung – das Motiv weiblicher Figuren in | |
| gemustertem Interieur zieht sich als Konstante durch die visuelle Kultur. | |
| Te Heesen interessieren weniger die einzelnen Frauen als die Räume, die sie | |
| umgeben – und die Funktionen, die diesen zugeschrieben werden: | |
| Häuslichkeit, Ästhetik, Passivität. Räume, die oft als Rückzugsort | |
| romantisiert werden, erscheinen hier als kontrollierte, durchkomponierte | |
| Bühnen. | |
| ## Gespür für Nuancen | |
| In sachlichem Ton und mit Gespür für feine Nuancen arbeitet te Heesen | |
| heraus, wie das Interieur zur weiblichen Sphäre erklärt wurde – als | |
| Zufluchtsort und Gefängnis. Anhand literarischer, kunsthistorischer und | |
| fotografischer Beispiele – von Virginia Woolfs berühmtem Essay „A Room of | |
| One’s Own, Elfriede Jelineks „Frauenraum“ über die französische | |
| Postimpressionistin [1][Suzanne Valadon], die ihre Frauenbilder mit breitem | |
| Strich auf die Leinwand brachte, bis zum Starfoto der Popikone Madonna, | |
| fotografiert von Bettina Rheims, entfaltet te Heesen eine Geschichte des | |
| „Frauenraums“, in dem Frauen überhaupt erst zu Subjekten des eigenen | |
| Schaffens werden können, der gleichermaßen Verheißung und Aufbewahrungsort | |
| ist. Die Mustertapete wird dabei zur Metapher weiblicher Existenz: schön, | |
| ordnend, aber auch nivellierend. Frauen in diesen Räumen verschmelzen mit | |
| dem Ornament, verlieren Kontur, verschwinden fast. | |
| „Ein Muster […]“, zitiert te Heesen Karl Polanyi, „können wir buchstä… | |
| aus dem Blick verlieren, wenn wir seine einzelnen Züge – hinreichend | |
| vergrößert – untersuchen.“ Erst wenn wir sie wieder aus „einiger Entfer… | |
| betrachten“, gewinnen sie ihre Bedeutung zurück. | |
| Tritt man zurück und betrachtet „Frauen vor Mustern“ in einem größeren | |
| Kontext, offenbart sich ein kleiner Baustein in der großen Debatte über | |
| Sichtbarkeit, Raumordnung, Repräsentation, Regulation und nicht zuletzt | |
| Schönheit. Ein klug komponiertes Buch, das, durchbrochen von überaus | |
| sinnlichen Abbildungen, zeigt, aus welch feinen Fäden Kulturgeschichte | |
| gewebt ist und welches (nicht im Loos’schen Sinn) verbrecherische Potenzial | |
| im [2][Ornament] liegt. Nicht zuletzt im Gegenwärtigen: im Dekor der | |
| digitalen Muster und Filter, die auch heute Körper rahmen, verdecken, | |
| inszenieren und inmitten derer man meist gleichgültig und direkt auf den | |
| Bildschirm starrt, während das Subjekt fast verschwindet. | |
| 18 May 2025 | |
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| ## AUTOREN | |
| Hilka Dirks | |
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