# taz.de -- Die Kunst der Woche: Umhüllte Welt | |
> Am Rosa-Luxemburg-Platz gibt es Häkelobjekte von Elisabeth Schrader zu | |
> entdecken. Mountains ehrt David Medallas Werk voller Camp und | |
> Berlingeschichte. | |
Bild: Elisabeth Schrader, „Pilzlandschaft“, 1988 | |
Es ist eine Geschichte, die man so ähnlich schon viele Male gehört hat: Die | |
Künstlerin Elisabeth Schrader, geboren 1935, hat seit Mitte der 1960er | |
Jahre mit unterschiedlichen Medien und Materialien experimentiert. Über die | |
Jahrzehnte entstanden auf diese Weise eigenwillige Werke aus Papier, Ton, | |
Textil, Schnüren, Kabeln. | |
Was aber bislang fehlte, war die Anerkennung. Ausgestellt wurde Schraders | |
Kunst nur im kleinen Rahmen, im Fokus stand sie nie. Jetzt aber, zeitgleich | |
zum Gallery Weekend Berlin eröffnete eine Ausstellung am | |
Rosa-Luxemburg-Platz, kuratiert von Frank Hauschildt, von der erst nur ein | |
paar Eingeweihte gehört hatten. Ein Geheimtipp, der sich herumsprach, erst | |
recht, sobald die Ersten Fotos von den dort ausgestellten, wirklich | |
erstaunlichen Objekten vorzeigen konnten. | |
Ausgewählt hat Hauschildt eine Werkgruppe Schraders aus gehäkelter | |
Telefonlitze – bei Telefonlitze handelt es sich um einen dünnen mit | |
Kunststoff umwickelten Draht für alte Festnetztelefone und Klingelanlagen, | |
erhältlich in Schwarz, Weiß, Grün und Rot. Mitte der 1990er Jahre hatte | |
Schrader dieses Material für sich entdeckt. Es gibt der Handarbeit etwas | |
Kühles, Schweres, Technisches. Schrader fertigte daraus Tragbares, | |
Skulpturales und Umhüllendes. Teilweise hat sie Dinge damit umhäkelt, | |
Haushaltswaren wie Teller und Löffel, Puppen, Figuren, Geweihe, oder sie | |
hat das Maschenwerk mit Folien oder allem möglichen Füllmaterial | |
ausgestopft. | |
Hauschildt hat die Arbeiten in dem verwinkelten [1][Ladenlokal am | |
Rosa-Luxemburg-Platz] mit Bedacht verteilt. Farblich sortiert stehen sie in | |
Gruppen am Boden, hängen von der Decke, füllen Nischen. Feinsäuberlich | |
nebeneinander reihen sich an einer Kleiderstange pechschwarze Hemden, | |
Hosen, Kleider, Stiefel, Objekte wie aus einer düsteren Märchenwelt. Am | |
Boden vor dem Schaufenster wuchert eine grellgrüne Pilzlandschaft. | |
Ein wenig erinnert Schraders Häkelkunst an textile Arbeiten von Louise | |
Bourgeois, steht dann aber doch ganz für sich und wirkt dabei absolut | |
zeitgenössisch. Gerade wurde die Ausstellung bis zum 25. Mai verlängert. | |
Wer am Wochenende noch nicht da war, sollte die Chance also schleunigst | |
nutzen. Erst ein Anfang ist die Schau. Viele Schätze gibt es bei Elisabeth | |
Schrader, die heute 90 Jahre alt wird, noch zu bergen. Im Juli werden | |
Zeichnungen der Künstlerin in der Galerie [2][Esther Schipper] zu sehen | |
sein. | |
## Queere Luftbrücke | |
Ähnlich alt wie Schrader wäre der philippinische Künstler David Medalla, | |
dem auf der gegenüberliegenden Seite des Rosa-Luxemburg-Platzes | |
[3][Mountains] eine erste Einzelausstellung widmet, würde er noch leben. | |
Medalla, geboren 1938, gestorben 2020, der sich von den 1960ern an | |
nomadisch an verschiedenen Kunstorten Europas und der Welt aufhielt, kam | |
1997 als Stipendiat des DAAD in nach Berlin. 1998 zeigte er in der DAAD | |
Galerie, die sich damals noch in der Kurfürstenstraße befand, die | |
Ausstellung „Air Lifts Berlin“. | |
Als Dreh- und Angelpunkt dient die damalige für die aktuelle Schau. Schon | |
der Titel „Luftbrücke“ deutet daraufhin. Kuratiert wurde die Ausstellung | |
gemeinsam mit Medallas langjährigem Partner Adam Nankervis, sie erzählt von | |
einem bewegten Künstlerleben, das in Medallas Kunst ihren Ausdruck findet, | |
vom Schwulsein und vom Berlin der späten 1990er Jahre. | |
Medallas Kunst ist persönlich, unkonventionell, vielfältig, biografisch und | |
fiktional, camp und politisch. Auch seine Malerei ist all das. Auf einem | |
seiner Bilder steht ein bananeessender Nankervis vor einem Plakat zum | |
1.-Mai-Fest auf dem Mariannenplatz, das „für ein solidarisches Kreuzberg“ | |
plädiert, „gegen Armut, Rassismus, Arbeitslosigkeit und Sexismus“. | |
Auf einem weiteren porträtiert Medalla die Tierärztin Maria Gräfin von | |
Maltzan, die während des NS-Zeit viele jüdische Berliner*innen in ihrer | |
Wohnung versteckte und ihnen zur Flucht verhalf, beim Schreiben ihrer | |
Memoiren. Von Maltzan, die Medalla im Tuntenhaus kennenlernte, verstarb | |
während seines Aufenthalts in Berlin. Zur Malerei gesellen sich aus Seiten | |
von Illustrierten ausgeschnittene oder gerissene Gesichtsmasken, eine | |
Neonarbeit, das Ergebnis eines partizipativen Stickprojekts. | |
Leider nur während des Gallery Weekends hatte die Galerie ihre | |
Ausstellungsfläche erweitert und zusätzlich die ehemaligen Räumlichkeiten | |
der Apotheke auf der Weydingerstraße, ein paar Häuser weiter bespielt. | |
Platz war dort noch für ein paar seiner kinetischen Skulpturen – | |
motorbetriebene Halsketten, die ihre Sandkreise drehen – und eine seiner | |
feinen Seifenschaum ausspuckenden „Bubble Machines“. | |
Mit einer solchen war Medalla unter anderem 1969 Harald Szeemanns | |
Ausstellung „Live in Your Head: When Attitudes Become Form“ vertreten. Für | |
alle, die am Gallery Weekend nicht da waren: Bis Mitte Juli noch gibt es | |
eine „Bubble Machine“ in der Gruppenausstellung „After Images“ in der J… | |
Stoschek Foundation zu bestaunen. | |
In Vorbereitung der Ausstellung hat Galerist Markus Summerer das Archiv des | |
DAADs durchforstet und ausgesuchtes Material in diese integriert. Ein paar | |
Dokumente sind zwischen der Kunst an einer Wand in der Galerie | |
aneinandergereiht, Briefe, ein handschriftliches Artist-Statement, eine | |
Einladung zu einer Performance, Kontaktabzüge von Fotos der Eröffnung. | |
Gefunden (aber nicht aufgehängt) hat er bei seiner Recherche auch eine | |
Besprechung von „Art Lifts Berlin“ des Kunsthistorikers [4][Michael | |
Nungesser damals, 1998 in der taz]. Dieser endete seinen Text wie folgt: | |
„Medalla, der ‚transzedentale Hedonist par excellence‘, mixt mit Witz und | |
Ironie Neodada, Fluxus und Konzeptualismus, Flowerpower und | |
Schwulenästhetik, unter dem Motto: love, peace and happiness. Das wirkt | |
sympathisch, nie pathetisch, eher ein wenig beliebig und verströmt den | |
diskreten Charme der Nostalgie.“ Eben so könnte man auch die Ausstellung | |
bei Mountains zusammenfassen. Ein Besuch ist unbedingt empfohlen. | |
6 May 2025 | |
## LINKS | |
[1] https://www.stedi-stiftung.de/ | |
[2] https://www.estherschipper.com/ | |
[3] https://mountains.gallery/ | |
[4] /Zwischen-Buddha-und-Cowboy-David-Medalla-in-der-daadgalerie/!1340015/ | |
## AUTOREN | |
Beate Scheder | |
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