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# taz.de -- Frank-Auerbach-Ausstellung in Berlin: Wie innere Landschaften
> Mit Porträts wurde Frank Auerbach weltberühmt. Zum Gallery Weekend
> eröffnet die Galerie Michael Werner die erste Auerbach-Ausstellung in
> Berlin.
Bild: Farbschichten und (innere) Landschaften, in vielen Arbeitsgängen überma…
Die bislang einzige Berliner Ausstellung des in seiner Heimatstadt
weitgehend unbekannten Malers Frank Auerbach fand 1983 in Berliner
Jugendzimmern statt: Viele junge New Romantics dürften sich seinerzeit beim
Betrachten des Covers des Doppelalbums „Oil on Canvas“ der englischen
Synthiepop-Band „Japan“ gefragt haben, wen oder was sie da eigentlich
ansehen. Abgebildet ist, mit viel Farbauftrag gemalt, ein verzerrter Kopf,
die Haut sehr weiß, grobe schwarze Striche und Kurven lassen Augen, Nase,
Mund erahnen, verleihen einem Gesicht die Konturen, das wohl keine KI auf
die Person zurückführen könnte, die hier Modell saß. Auch Geschlecht oder
Alter bleiben unklar – figürlich und doch weit entfernt von realistischer
Darstellung erinnern die erdigen Farben von Schultern und Hintergrund an
Landschaft – tatsächlich eher an eine innere, und man fragt sich, ob es das
ist, was das Bild so intensiv wirken lässt.
Wer auf die Rückseite des Covers blickte, konnte die Zeile „Cover Painting,
Head of JYM II’ 1980 by Frank Auerbach“ lesen, womit zumindest das Rätsel
um die Urheberschaft des Gemäldes gelöst war, noch nicht aber das der
porträtierten Person. Julia Yardley Mills war es, die ab 1957 zweimal die
Woche über 40 Jahre lang dem Künstler Modell saß, wie auch rund ein Dutzend
anderer Personen, denen Auerbach Porträts widmete. Mit diesen wurde er
weltberühmt – nur eben nicht in Berlin, seiner Geburtsstadt.
1931 auf die Welt gekommen, verbrachte er die ersten Jahre im Wilmersdorfer
Elternhaus; sein Vater war Anwalt, seine Mutter hatte Kunst studiert, einer
seiner Cousins war [1][Marcel Reich-Ranicki]. Aufgrund ihrer jüdischen
Herkunft entschlossen sich die Eltern 1939, ihren Sohn vor der Verfolgung
durch die Nazis zu schützen und schickten ihn nach England. Sie selbst
blieben in Berlin, wurden 1943 nach Auschwitz deportiert und dort ermordet.
In London heimisch geworden, studierte Frank Auerbach ab 1948 Kunst, zuerst
an der St. Martin’s School of Art, später am Royal College. Mit seinen
figürlichen, sehr expressiven Zeichnungen und Gemälden – Londoner
Straßenszenen und Porträts etwa von Freunden – wurde er ab den
1970er-Jahren, neben Malern wie [2][Lucian Freud] oder Francis Bacon, der
„School of London“ zugerechnet. Der Künstler vertrat Großbritannien auf d…
[3][Biennale von Venedig] oder zeigte seine Zeichnungen in der National
Gallery.
## Die erste Ausstellung nach seinem Tod
Im November ist Frank Auerbach in London gestorben; nun zeigt die Berliner
Dependance der Galerie Michael Werner die erste Ausstellung nach seinem Tod
– und die tatsächlich erste Ausstellung Auerbachs in Berlin. Einige Wochen
vor deren Eröffnung erzählt die Londoner Kunsthistorikerin Catherine
Lampert der taz in den Galerieräumen von der Ausstellung, die sie
kuratiert. Lampert hat nicht nur eine Biographie über Auerbach geschrieben
und eine Retrospektive des Künstlers konzipiert, die 2015/16 in Bonn
(Kunstmuseum) und London (Tate Britain) gezeigt wurde, sie saß ihm auch
über 40 Jahre lang Modell, von 1978 bis zum September 2024. Auerbachs
Ausstellung sei bereits vor seinem Tod geplant gewesen, so Lampert. Ihm
hätte die Idee gefallen, in Berlin auszustellen, gekommen wäre er wohl aber
nicht. Er sei eher ungern verreist, zuletzt immer nur einmal im Jahr für
einen Tag nach Brighton. Das erste Mal wieder in Deutschland sei er 1986
und 1987 gewesen, zu seinen Ausstellungen in Hamburg und Essen, danach
nicht mehr. Selbst seine Tate-Retrospektive habe er nicht zur Eröffnung
besucht.
Während der stundenlangen Modellsitzungen habe Auerbach den irischen
Dichter William Butler Yeats zitiert, während er mit den Pinseln jonglierte
und eine Farbschicht nach der anderen auftrug, um sie dann wieder
abzukratzen, bis das Bild für ihn fertig war, aber Dinnereinladungen etwa
habe er eher ausgeschlagen. Seine haptischen Porträts, die er selbst mit
Goyas Spätwerk verglichen hat und die andere schon an präkolumbianische
Terrakottaobjekte erinnerten, wollte er für sich selbst sprechen lassen,
sein Werk nicht mit seiner Biographie in Verbindung bringen lassen; einen
impliziten Einfluss des Holocaust auf sein Werk habe er abgestritten.
Unter den bei Michael Werner gezeigten Bildern findet sich auch ein Porträt
von Catherine Lampert, eines seiner Frau Julia und ein Gemälde, das eine
Szenerie in der Nähe seines Ateliers in Camden Town einfängt, in dem er –
ohne Assistenten – ab 1954 und bis zuletzt sieben Tage in der Woche an
seinen Bildern arbeitete. Und es wird eines seiner Selbstbildnisse gezeigt,
eine Motivwahl, die er während der Pandemie notgedrungen vertiefte. Es ist
kurz vor seinem Tod entstanden – aus dem er kein großes Aufsehen machen
wollte. Kein öffentliches Begräbnis fand statt, nicht einmal ein privates,
dies sei ihm nicht wichtig gewesen, erzählt Lampert.
Dass sein Sohn Jake, der als Filmemacher bereits zweimal den Schaffensdrang
seines Vaters dokumentierte, seinen neuen Film „Frank Auerbach: life and
death“ nennt, hat allerdings nur mittelbar mit dessen Tod zu tun, vielmehr
entspricht der Titel der deutschen Redewendung, nach der Frank Auerbach
gemalt habe, als sei es um sein Leben gegangen.
29 Apr 2025
## LINKS
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## AUTOREN
Martin Conrads
## TAGS
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