# taz.de -- Nachruf Lucian Freud: Mit enorm interessiertem Blick | |
> Überdehnte Haut, wund geriebene Stellen, blaue Flecken: Lucian Freud, der | |
> Maler der so massigen wie empfindlichen Nacktheit, ist tot. | |
Bild: Farbschichten und (innere) Landschaften, in vielen Arbeitsgängen überma… | |
An das Porträt des renommierten Antiquariatsbuchhändlers Bernard Breslauer | |
erinnerte sich der Maler noch immer gerne und wollte es daher 2008 für die | |
Ausstellung seines Frühwerks in der Londoner Galerie Hazlitt | |
Holland-Hibbert ausleihen. Doch da stellte sich heraus – das Gemälde | |
existierte nicht mehr. Der Porträtierte fand sich so grässlich dargestellt, | |
dass er es zerstört hatte. Ja, der Blick, den Lucian Freud auf seine | |
Modelle warf, war nicht immer schmeichelhaft. | |
Doch das hinderte weder die britische Königin noch das schwangere | |
Supermodel Kate Moss daran, ihm zu sitzen. Ihr „Naked Portrait 2002“ sorgte | |
dafür, dass der Maler nicht nur den internationalen Fashionistas, sondern | |
auch dem Publikum der britischen Boulevardpresse ein Begriff wurde. | |
Durchaus eine Leistung für einen Künstler, der unberührt von der | |
zeitgenössischen Kunstszene und ihren Diskursen den menschlichen nackten | |
Körper mit einem enorm interessierten und dabei doch distanzierten, | |
grausamen Blick ins Visier nahm. | |
Lucian Michael Freud, 1922 in Berlin geboren, emigrierte 1933 mit seiner | |
Familie nach England. Der Enkel des Psychoanalytikers Sigmund Freud wurde | |
Künstler. Ein Maler, vornehmlich mit dem Thema Porträt und Akt befasst. Zu | |
diesem Behufe holte er sich zunächst seine Mutter, Freunde, Nachbarn und | |
Kollegen, später seine Ehe- und sonstigen Frauen samt seinen wenigstens | |
neun Kindern plus deren Freunden und Hunden ins Atelier. | |
## Breite Pinselstriche | |
Dort stand ihm schließlich auch Leigh Bowery Modell, eine bekannte Figur | |
der Londoner Club- und Subkultur, der 1994 an Aids starb. Freud brachte die | |
massige monumentale Nacktheit dieses Klotzes von einem Mann so | |
überdimensional auf die Leinwand, dass er an das ursprüngliche Format | |
weitere Leinwandstreifen anstückeln musste. Mit seinen Aktgemälden Bowerys | |
und „Big Sue“ Tilleys, einer immens fettleibigen Angestellten, die auf dem | |
Gesundheitsamt arbeitete, wurde Freud in den 1990er Jahren über seinen | |
engeren Anhängerkreis hinaus bekannt. | |
In den kräftigen, breiten Pinselstrichen, dem Signum seiner Malweise, | |
erkennt man Tilleys überdehnte, empfindliche Haut mit den blauen Flecken, | |
die sie sich schnell mal holte, und den wund geriebenen Stellen. | |
Gleichzeitig zeichnet ihre Sitzung, glaubt man dem Gemälde „Sleeping by the | |
Lion Carpet“ (1996), eine friedliche, ungenierte Privatheit aus. Diese ist | |
in vielen Bildern Freuds zu sehen und verdankt sich wohl seiner | |
freundschaftlichen, durchaus auch kompromissbereiten Haltung dem Modell | |
gegenüber. | |
Anfangs hatte Freud noch mit dünnem Pinsel gemalt, das „Interior in | |
Paddington“ (1951), das einen Freund in Straßenkleidung neben einer | |
Yuccapalme zeigt, könnte in seiner feinen Malweise und dem diffusen Licht | |
nach Christian Schad gemalt sein. Dieses Feine findet sich manchmal auch | |
noch später, vor allem in seinen Pflanzengemälden, etwa den „Two Plants“, | |
die Ende der 70er Jahre entstanden. | |
## Kaum je heraus aus dem Atelier | |
Mit solchen Naturstudien suchte denn auch die Ausstellung „Lucian Freud – | |
Latelier“, 2010 im Centre Pompidou, den Maler den Franzosen näher zu | |
bringen, die ihn – trotz Auktionsrekorden und anders als die Deutschen und | |
Briten – bis dahin nicht als einen Star der Gegenwartskunst wahrgenommen | |
hatten. Sehr richtig thematisierte sie das Atelier, aus dem sich Lucian | |
Freud kaum je herausbegeben hat, als zentralen Ort seines Werks. Was auch | |
der Künstler selbst in „After Cézanne“ (2000), nach einer Atelierszene des | |
frühen Modernen, sehr bewusst abhandelte. | |
Am Ende ist es aber nicht das Setting, sondern der Umgang mit der Farbe, | |
der Freuds altmeisterliche Porträts und Akte attraktiv macht. Schließlich | |
sind wir in unserem Alltag von Abbildern des Menschen total umstellt. Doch | |
die glatte Oberfläche der Werbe- und Modefotografie, die den Menschen nur | |
in der Momentaufnahme kennt, in einem kurzen, kontingenten, nicht weiter | |
bedeutungsvollen Augenblick, gibt der langwierigen malerischen Studie à la | |
Freud heute eine besondere Faszination. Mittwochnacht ist Lucian Freud in | |
seinem Londoner Haus im Alter von 88 Jahren friedlich entschlafen. | |
22 Jul 2011 | |
## AUTOREN | |
Brigitte Werneburg | |
Brigitte Werneburg | |
## TAGS | |
Moderne Kunst | |
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