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# taz.de -- Kürzungen im Kulturetat von Berlin: Gehen Kassiererinnen in die Op…
> Berlins Bürgermeister meint, Kassiererinnen würden eh nicht Opern
> besuchen. So begründet Kai Wegner Einsparungen im Kulturbereich. Fragen
> wir mal eine Kassiererin!
Bild: Kassierinnen interessieren sich durchaus für „la Boheme“. Vorstellun…
Also, ich gehe gern in die Oper“, sagt die Kassiererin. Seit Berlins
Bürgermeister Kai Wegner in einem Interview das Klischee von der
bildungsfernen, an Kultur nicht interessierten Supermarktkassiererin
[1][aus der Stammtischparolen-Kiste geholt] hat, um die immensen Kürzungen
im Etat der Senatsverwaltung ab 2025 zu rechtfertigen, interessiere ich
mich für das Kassenpersonal in Supermärkten und Drogerien. So kommen wir
beim Buttermilch-Einpacken ins Gespräch.
Mein Gegenüber schaut ironisch, als wir darüber sprechen, dass Wegner dem
weiblichen Kassenpersonal der Stadt unterstellt, nicht in die Oper zu
gehen, und sie wird leicht wütend, als sie erfährt, dass er genau mit
dieser Behauptung seine Forderung nach höheren Eintrittspreisen
untermauert. Wegners populistische Milchmädchenrechnung geht so: Die
Steuergelder der „armen Kassiererinnen“ sollen nicht für die Oper
ausgegeben werden, da sie nicht hingehen. Also Preise rauf, denn die, die
hingehen, haben das Geld.
Die Kassiererin ist geschockt: „Die Preise sollen auf keinen Fall erhöht
werden“, findet Sie, „denn Kultur soll für alle da sein!“ In der nächst…
guten Stunde unterhalte ich mich in der Friedrichstraße und im Wedding mit
weiteren zehn Menschen hinter der Kasse. Drei gehen in die Oper. Eine
Kassiererin geht lieber ins Theater. Die andere outet sich als Ballettfan.
Ein Kassierer war beim Tag der offenen Tür in der Philharmonie. Zwei würden
prinzipiell gerne in die Oper gehen. Wegen der vielen Spät- und
Frühschichten kommen sie leider nicht dazu. Und zwei interessieren sich
nicht die Bohne für die Oper. Was alle vereint, ist, dass niemand die
Kürzungen bei der Kultur gut findet. Und keiner möchte, dass die
Eintrittskarten teuer werden.
Am Abend gehe ich in die Deutsche Oper. Eine Schulklasse verstopft den Weg
zu den Toiletten. Wer schaut sich an einem Mittwochabend „Macbeth“ von
Verdi an, möchte ich wissen und frage in der Pause zwanzig Leute nach ihrem
beruflichen Hintergrund.
## Alle kennen Wegners Satz
Neben zwei Musikern, einem Musiklehrer, zwei Lehrerinnen und einem
Opernregisseur treffe ich auf ein Rentner-Ehepaar, er war Mathematiker und
sie Sozialpädagogin. Am Stehtisch nippen ein Projektleiter und seine gerade
arbeitslose Freundin, die er in die Oper eingeladen hat, an einem Glas
Wein. In einem Sessel sitzt eine junge Verkäuferin.
Zwei Männer, die im öffentlichen Dienst beschäftigt sind, schauen ins
Programmheft. Im oberen Foyer steht eine Dreiergruppe: ein Soldat, eine
Juristin und eine Pflegekraft. Eine Jurastudentin schaut ins Handy und eine
Verlagsangestellte durch die Fenster nach draußen auf die Bismarckstraße.
Kai Wegner hat Versicherungskaufmann gelernt und war als
Unternehmensberater tätig, bevor er er Berufspolitiker wurde. Keine dieser
drei Berufsgruppen ist mir bei meiner Recherche in der Oper begegnet.
Begegnet sind mir hier Menschen, die alle Wegners Zitat kannten und
durchwegs seine Argumentation ablehnten.
Hat dieser Senat überhaupt eine leise Ahnung von der Verfasstheit dieser
Stadtgesellschaft?, frage ich mich ernsthaft. Ignoranz ist die Mutter der
endlosen Kürzungsliste, die 130 Millionen bei der Berliner Kultur einsparen
soll. [2][Kultursenator Joe Chialo] wird zum Streitgespräch in der Berliner
Schaubühne erwartet. Thema: „Kultur wozu?“ Ich schlage vor, dass Herr
Chialo [3][die ganze Liste] ausdruckt, mitbringt und zu jeder einzelnen
Kürzung konkret Stellung nimmt.
Für das kleine Feld-Theater, das erst im Oktober den Theaterpreis des
Bundes bekommen hat und bisher mit 170.000 Euro im Jahr gefördert wurde,
bedeuten zehn Prozent weniger das Aus. Trotzig-verzweifelt schreiben die
TheatermacherInnen: „Wir wissen derzeit nicht, wie unsere Zukunft in 2025
aussieht. Wir können nicht planen. Darum wird es im Januar und Februar
keine Vorstellungen geben. Aber wir wollen das FELD nicht räumen!“
6 Dec 2024
## LINKS
[1] /Kulturkuerzungen-in-Berlin/!6053865
[2] /Sparkurs-im-Berliner-Kulturhaushalt/!6053715
[3] /Berlin-spart-an-der-Kultur/!6048501
## AUTOREN
Katja Kollmann
## TAGS
Kulturförderung
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