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# taz.de -- Sparpolitik in Berlin: Herber Einschlag
> Der Sozialbereich scheint bei den Kürzungen glimpflich davongekommen zu
> sein. Die Wahrheit ist: Befristete Projekte und deren Angestellte sind
> extrem bedroht.
Bild: Über tausend Sozialarbeiter:innen und Betroffene protestierten gegen Kü…
Berlin taz | Schon von Weitem sind die Trillerpfeifen und Rasseln zu hören.
Mehrere Hundert Menschen haben sich am Donnerstagvormittag am Anhalter
Bahnhof versammelt: Mitarbeiter:innen von Sozialprojekten, Kinder- und
Jugendeinrichtungen, aber auch viele Kids. Zu der Protestaktion
[1][#unkürzbar gegen die Sparpläne des Senats] in Bildung, Kinder und
Jugendhilfe hatten Verdi und die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft
(GEW) aufgerufen.
„Viele Sozialarbeiter:innen wissen nicht, ob sie im Januar noch ihre
Stelle haben“, ruft ein Gewerkschaftsvertreter unter Applaus ins Mikrofon.
Langsam setzt sich der Demozug Richtung Abgeordnetenhaus in Bewegung. Dort
stehen an diesem Donnerstag die Sparbeschlüsse der schwarz-roten
Landesregierung auf der Tagesordnung.
Auf den ersten Blick scheint [2][das Soziale noch glimpflich davongekommen
zu sein]. Nur rund 75 Millionen Euro sollen im Ressort von Sozialsenatorin
Cansel Kiziltepe (SPD) gekürzt werden, bei einem Gesamtsparvolumen von 3
Milliarden Euro. Dennoch sind die Auswirkungen enorm – besonders für die
Beschäftigten, die nun mit Stellenabbau, Nullrunden und Lohnverlusten
rechnen müssen. „Das ist ein richtig herber Einschnitt, wie ich ihn für
unsere Stadt in den letzten 20 Jahren nicht gesehen hab“, kommentiert der
Vorstandschef der SozDia-Stiftung, Michael Heinisch-Kirch.
Zu den auf der Sparliste stehenden 75 Millionen kommen dann noch weitere 50
Millionen Euro, die Berlin eigentlich dafür verwenden wollte, die
Tarifsteigerungen bei den freien Trägern zu refinanzieren. Das
Senatsversprechen, die Gehälter bei den freien Trägern endlich dem
Lohnniveau im öffentlichen Dienst anzupassen, droht damit flachzufallen.
## Tarifverträge rechtsverbindlich
[3][Die Kürzungspläne] torpedieren jegliche Anstrengungen der freien Träger
und Gewerkschaften in diese Richtung. Dabei hatte Sozialsenatorin Kiziltepe
immer wieder versprochen, Tarifabschlüsse, die sich am Tarifvertrag der
Länder orientieren, refinanzieren zu wollen, und verwies dabei auf die im
Haushalt vorgesehene Summe.
Das Problem: Etliche freie Träger haben in den vergangenen Jahren bereits
entsprechende Tarifverträge abgeschlossen. Diese sind rechtsverbindlich,
die Gehälter nachträglich zu senken, ist nicht möglich. „Wir können nur d…
Arbeit kürzen, dann fallen Beschäftigungsverhältnisse einfach weg“, sagt
Heinisch-Kirch.
Sebastian Peters, Sprecher der Liga der Spitzenverbände der freien
Wohlfahrtspflege, schätzt die Lücke, die sich durch die fehlende
Refinanzierung ergibt, auf zehn Prozent. „Das bedeutet schlussendlich zehn
Prozent weniger soziale und gesundheitliche Angebote“, warnt Peters. Weit
oben auf der Kürzungsliste stünden vor allem die befristeten Projekte und
deren Angestellte. „Viele Träger stehen vor der Frage, welche Projekte sie
noch weiterführen können und wo sie einsparen können“, sagt Peters.
Ein großes Problem ist nach wie vor die Ungewissheit, mit der sich vor
allem die Beschäftigten mit befristeten Verträgen konfrontiert sehen. Da
die Kürzungssummen in der Liste oft nur pauschal angeben sind, ist unklar,
welche Projekte es in welchem Umfang genau trifft.
„Viele wissen immer noch nicht, was am 1. Januar mit ihren Projekten ist“,
sagt auch GEW-Sprecher Markus Hanisch. „Das verunmöglicht die Planung für
das nächste Jahr.“ Hanisch kritisiert, dass es im Vorfeld kaum Austausch
mit der Senatsverwaltung bezüglich der Kürzungen gegeben hätte.
## Wortbruch schwächt Verhandlungsposition
Nicht zuletzt der Wortbruch des Senats hinsichtlich Lohnangleichungen an
den öffentlichen Dienst schwächt die Verhandlungsposition der
Gewerkschaften, da die Träger Gehaltssteigerungen mit dem Verweis auf die
fehlende Refinanzierung ablehnen können. Auch droht die Tarifbindung im
Sozialbereich noch weiter zu sinken. „Die prekären Arbeitsverhältnisse
werden sich vermehren“, prognostiziert Michael Heinisch-Kirch von der
SozDia-Stiftung.
Während sich im Sozialbereich vor allem ein Stellenabbau und zunehmende
Prekarisierung abzeichnet, drohen vielen Lehrer:innen Lohneinbußen.
Gestrichen werden sollen zum Beispiel die sogenannte Brennpunktzulage, ein
Bonus, der bislang an besonders herausfordernden Schulen gezahlt wurde.
Ersatzlos wegfallen soll auch der Nachteilsausgleich für Lehrkräfte, die
sich nicht verbeamten lassen wollen. Dabei handelt es sich um eine Summe
von 250 bis 350 Euro brutto monatlich, der den finanziellen Nachteil
gegenüber Kolleg:innen kompensieren soll, die sich für eine Verbeamtung
entschieden haben. Markus Hanisch von der GEW kritisiert, der
Nachteilsausgleich sei ein Kompromiss, der zuvor mühevoll ausgehandelt
wurde. „Das ist ein grobes Foulspiel der Senatorin.“ Gleicher Lohn für
gleiche Arbeit – von diesem Grundsatz scheint sich der Senat nun endgültig
verabschiedet zu haben.
## Klassenfahrt auf der Kippe
Aber das ist nicht das einzige Problem. „Unsere Abschlussfahrt steht auf
der Kippe“, erzählt eine Zehntklässlerin des Manfred-von-Ardenne-Gymnasiums
im Lichtenberger Ortsteil Alt-Hohenschönhausen, die am Donnerstag bei der
Demo mitläuft. „Kürzt an den Waffen, nicht an den Menschen“, hat sie auf
ihr Pappschild geschrieben.
Der Zug ist auf über 1.000 Menschen angewachsen, als kurz er vor 12 Uhr das
Parlament erreicht. Mehr als zehn freie Träger habe er in der Menge
gesehen, sagt ein Vertreter von Verdi zur taz. Dinge, die nicht über eine
Regelfinanzierung, sondern durch Zuwendungen erfolgten und auf ein Jahr
befristet seien, seien bedroht. Das gesamte Budget für die queere
Jugendhilfe sei gefährdet, befürchtet eine Demo-Teilnehmerin.
Ein Jugendlicher aus einem Jugenkclub in Mitte bringt das Problem für sich
in einer Rede so auf den Punkt. „Bei einer Schließung verlieren wir nicht
nur die Räume, sondern auch unsere wichtigsten Beziehungen.“
21 Nov 2024
## LINKS
[1] /Demo-gegen-Kuerzungen-im-Sozialbereich/!6048742
[2] /Kultur-Berlins-muss-130-Millionen-sparen/!6048749
[3] /Berliner-Landeshaushalt/!6047223
## AUTOREN
Jonas Wahmkow
Plutonia Plarre
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