# taz.de -- Kürzungen im Berliner Haushalt: Knastprojekte schlagen Alarm | |
> Die Justizverwaltung will bei Projekten mit Gefangenen und Gewalttätern | |
> 40 Prozent einsparen. Einige Träger hatten die Angebote gerade erst | |
> ausgeweitet. | |
Bild: Eingeschlossen – und bald auch ausgeschlossen: Projekte für Gefangene … | |
Berlin taz | Kathleen Kurch ist alarmiert: „Die drohenden Einsparungen sind | |
der absolute Super-GAU für die freie Straffälligen- und Opferhilfe“, warnt | |
die Geschäftsführerin des Vereins Freie Hilfe Berlin. Der Träger arbeitet | |
[1][in fünf von der Senatsjustizverwaltung geförderten Projekten] mit | |
Strafgefangenen und ihren Angehörigen. Insgesamt sollten sie im kommenden | |
Jahr 1 Million Euro an Zuwendungen erhalten. Wie viel davon infolge der | |
[2][Kürzungen im Berliner Haushalt] übrig bleiben wird, weiß Kurch | |
allerdings nicht. | |
Denn der schwarz-rote Senat will die Zuschüsse an freie Träger im Bereich | |
der Gewaltprävention, des Opferschutzes sowie der Beratung und Betreuung | |
von Gefangenen radikal senken. Von den ursprünglich eingeplanten rund 11,6 | |
Millionen Euro sollen 4,5 Millionen gestrichen werden – knapp 40 Prozent. | |
„Wir stehen schlechter da als die Kulturbranche“, sagt Kathleen Kurch dazu. | |
Tatsächlich liefen die Kürzungen bei der CDU-geführten Senatsverwaltung für | |
Justiz und Verbraucherschutz bislang größtenteils unter der | |
Wahrnehmungsschwelle der Öffentlichkeit. [3][Empörung und Kritik] richteten | |
sich eher auf den [4][Kahlschlag bei Verkehr und Klimaschutz] (18 Prozent) | |
sowie eben bei der [5][Kulturverwaltung, die auf 12 Prozent ihres Etats | |
verzichten muss]. | |
Schließlich wird der Gesamthaushalt der Senatsjustizverwaltung auch kaum | |
angetastet: nur 2,2 Prozent weniger Geld hat sie im kommenden Jahr | |
voraussichtlich zur Verfügung. Jedoch stehen 97 Prozent des Haushalts | |
aufgrund von gesetzlichen Verpflichtungen ohnehin nicht zur Debatte. Für | |
die Kürzungen gibt es daher nur einen sehr geringen Spielraum – der nun | |
wohl zu großen Teilen ausgeschöpft wird. Und das betrifft die freien Träger | |
überproportional stark. | |
## Mehr als 600 Klient*innen in einem Jahr | |
„Alle unsere fünf justizgeförderten Projekte werden betroffen sein“, | |
befürchtet Kathleen Kurch. Besonders in Sorge ist sie um das | |
[6][Familienprojekt „aufGefangen“]. Es richtet sich an inhaftierte Väter | |
sowie ihre Kinder und Partnerinnen. | |
Angeboten werden etwa betreute Vater-Kind-Gruppen in vier Berliner | |
Justizvollzugsanstalten (JVAs). „Dort können die Kinder mit pädagogischer | |
Begleitung ihre Väter sehen“, erklärt Kurch. Außerdem biete das Team | |
Freizeitaktivitäten für die betroffenen Familien an und berate die Mütter, | |
die in vielen Fällen auf einmal ohne den Hauptverdiener dastünden und nicht | |
wüssten, wie sie noch ihre Miete zahlen können. | |
Im vergangenen Jahr hat das Familienprojekt mehr als 600 Klient*innen | |
betreut. Im Team arbeiten derzeit sieben Voll- und Teilzeitkräfte. Sollte | |
hier gekürzt werden, werde man einzelne JVAs nicht mehr einbeziehen können, | |
sagt Kathleen Kurch. „Viele Kinder könnten ihre Väter dann nur noch im | |
nicht kindgerechten Setting des Besucherraums treffen“, kritisiert sie. | |
## Drei neue Anlaufstellen eröffnet | |
Auch bei der Volkssolidarität Berlin herrscht weiter Ungewissheit, wie hart | |
die Einsparungen das eigene Gewaltpräventionsprojekt „[7][Beratung für | |
Männer – gegen Gewalt]“ treffen werden. Seit 25 Jahren bietet der Verein | |
hier Trainingskurse zum Sozialverhalten für Männer an, die gewalttätig | |
gegenüber ihrer Partnerin oder Ex-Partnerin waren. 2025 sollte das Projekt | |
rund 370.000 Euro von der Justizverwaltung erhalten – deutlich mehr als | |
noch in den Jahren zuvor. | |
„Dank des bereits in diesem Jahr deutlich höheren Zuschusses haben wir erst | |
vor Kurzem unser Angebot ausgeweitet – auf vier Standorte“, erzählt | |
Projektleiterin Samira Ciyow der taz. „Zuvor waren wir nur im Bezirk Mitte | |
präsent, jetzt haben wir Anlaufstellen auch in Marzahn-Hellersdorf, | |
Reinickendorf und Spandau.“ | |
Jetzt droht, dass frisch eröffnete Standorte direkt wieder dicht gemacht | |
werden müssen. Ciyow spricht von einem „beklemmenden Gefühl“. Täter und | |
Betroffene [8][würden alleingelassen]. Dabei sei Täterarbeit im Berliner | |
Landesaktionsplan zur Bekämpfung und Verhütung von Gewalt gegen Frauen und | |
häuslicher Gewalt [9][festgeschrieben]. „Auf diese Arbeit kann man doch | |
nicht verzichten!“, fordert Ciyow. | |
## Zitterpartie dauert an | |
Die Justizverwaltung ist bemüht, die Wogen zu glätten. Bei der konkreten | |
Verteilung der Einsparungen werde man einen „Schwerpunkt setzen zugunsten | |
des Opferschutzes“, betont Sprecherin Kerstin Anabah am Dienstag gegenüber | |
der taz. Sowieso habe man bislang die Herausforderung „gut gemeistert“ und | |
werde „sehr maßvoll“ kürzen, so Anabah. | |
Diesen Mittwoch diskutiert der Rechtsausschuss des Berliner | |
Abgeordnetenhauses über die geplanten Streichungen. Es wird sicher kein | |
einfacher Auftritt für Justizsenatorin Felor Badenberg (CDU). Die freien | |
Träger sind allerdings wenig zuversichtlich, dort schon zu erfahren, wer | |
wie viel sparen muss. Für die Klient*innen und Angestellten in den | |
geförderten Projekten dürfte die Zitterpartie also noch eine Weile | |
andauern. | |
4 Dec 2024 | |
## LINKS | |
[1] https://freiehilfe.de/#projekte | |
[2] /Berliner-Landeshaushalt/!6047223 | |
[3] /Kuerzungen-im-Berliner-Landeshaushalt/!6050843 | |
[4] /Direkte-Demokratie-fuers-Klima-in-Berlin/!6048743 | |
[5] /Berlin-spart-an-der-Kultur/!6048501 | |
[6] https://freiehilfe.de/aufgefangen/ | |
[7] https://volkssolidaritaet-berlin.de/einrichtungen/beratung-fuer-maenner-geg… | |
[8] /Erfahrungen-von-sexualisierter-Gewalt/!6048161 | |
[9] /Femizide-in-Berlin/!6031024 | |
## AUTOREN | |
Hanno Fleckenstein | |
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