# taz.de -- Kürzungen bei Resozialisierung in Berlin: Aufbruch vor Abbruch | |
> Dem Gefangenentheater aufBruch werden massiv die Mittel gestrichen. Statt | |
> vier Produktionen ist demnächst allenfalls noch eine pro Jahr drin. | |
Bild: Brechts „Arturo Ui“ in einer aufBruch-Aufführung im Sommer vergangen… | |
Berlin taz | Am Nikolaustag erhielten Sybille Arndt und Peter Atanassow | |
einen Anruf, der die beiden Theatermacher unerwartet und schwer traf. „Man | |
steht damit auf und geht damit zu Bett“, sagt Peter Atanassow. Der | |
Regisseur ist einer der drei Leiter des Berliner Gefangenentheaters | |
aufBruch, eines Vorzeigeprojekts der Berliner Justiz mit überregionaler | |
Strahlkraft. | |
Im Jahr erarbeitet aufBruch vier Aufführungen mit Gefangenen der drei | |
Berliner Justizvollzugsanstalten Tegel, Plötzensee und Moabit. Noch. Denn | |
statt wie bisher geplant 202.000 Euro sind im Rahmen der [1][Sparmaßnahmen | |
der schwarz-roten Koalition im Etat der Senatsjustizverwaltung] für 2025 | |
nur noch 60.000 Euro für das Projekt vorgesehen – eine Kürzung um 70 | |
Prozent. | |
„Wie sollen wir damit die Kontinuität unserer Arbeit gewährleisten?“, fra… | |
Atanassow. „Über lange Jahre haben wir intern Vertrauen gewonnen und | |
Strukturen aufgebaut. Bisher hat man uns immer gespiegelt, wie wichtig | |
unsere Arbeit für die Resozialisierung ist.“ Die Leidtragenden seien die | |
Gefangenen – und die Menschen draußen. „Es geht auf Kosten des Austauschs | |
und der Sichtbarkeit“, sagt Atanassow. | |
## Keine Hose mehr an | |
In der vergangenen Woche hatten es die Theaterleute dann schwarz auf weiß: | |
142.000 Euro sollen laut Vorlage der Senatsverwaltung bei aufBruch | |
tatsächlich eingespart werden. „Dass man bei einem Milliardendefizit im | |
Haushalt den Gürtel wird enger schnallen müssen, war uns allen klar“, sagt | |
Produktionsleiterin Sibylle Arndt. „Aber dass sie es so machen“, ergänzt | |
Atanassow, „dass wir am Ende keine Hose mehr anhaben, das war für uns nicht | |
absehbar.“ | |
Erst 2018 hatte aufBruch, das seit mehr als 20 Jahren mit Gefangenen Stücke | |
erarbeitet, einen festen Haushaltstitel im Etat der Senatsjustizverwaltung | |
der damals rot-rot-grünen Landesregierung bekommen. Seit April 2023 führt | |
[2][Felor Badenberg (CDU)] das Justizressort – und scheint andere | |
Schwerpunkte setzen zu wollen. | |
In einem [3][Bericht ihrer Verwaltung an den Hauptausschuss] des | |
Abgeordnetenhauses vom 6. Dezember heißt es, es gehe um „eine deutliche | |
Schwerpunktsetzung zugunsten des Opferschutzes“. Die Resozialisierung sei | |
„Aufgabe des Justizvollzugs und der Sozialen Dienste der Justiz“. | |
## Wichtiger Beitrag zur Resozialisierung | |
Sibylle Arndt hält dagegen: „Wir leisten einen wichtigen Beitrag zur | |
Resozialisierung und damit auch zum Opferschutz.“ Ihren Job könnten die | |
Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter in den JVAs, „die ihrerseits | |
eine tolle Arbeit machen“, gar nicht zusätzlich übernehmen, da sie | |
überhaupt keine freien Kapazitäten hätten. Die Gefängnisleitung der JVA | |
Tegel hat sich auch auf Nachfrage der taz zu [4][den angekündigten | |
Sparmaßnahmen] bisher nicht geäußert. | |
Man sei sich der „schmerzhaften Kürzungen“ bewusst, teilt die | |
Justizverwaltung auf taz-Anfrage mit. Zugleich gehe man aber auch davon | |
aus, dass nach der Kürzung „noch eine Theaterproduktion pro Jahr umsetzbar“ | |
sei. Wie soll das gehen?, fragen Atanassow und Arndt. „Vielleicht reicht | |
der Justiz ein Projekt im Jahr“, sagt Regisseur Atanassow: „Aber die | |
gesellschaftliche Wirksamkeit ginge verloren.“ | |
Außerdem: Nach welchen Kriterien soll er entscheiden? In welcher der drei | |
Haftanstalten soll diese eine Produktion stattfinden? Wer von den | |
Gefangenen darf weiterspielen? Und was passiert mit den eigenen Leuten in | |
den übrigen neun Monate im Jahr? | |
Atanassow sagt: „Wenn wir unser Mitarbeiterteam entlassen, dann suchen die | |
sich einen neuen Job. Und wenn wir in einer Anstalt ein, zwei oder drei | |
Jahre nicht arbeiten können, wird unsere Struktur verloren gehen, weil der | |
Apparat weitermacht. Und zwar ohne uns.“ | |
## Mittel aus der Kulturverwaltung | |
Neben den Geldern aus dem Etat der Justizverwaltung erhält aufBruch eine | |
jährliche Förderung in Höhe von 110.000 Euro aus dem Topf der | |
Senatskulturverwaltung. [5][Auch dieser Bereich ist mit drastischen | |
Kürzungsvorgaben konfrontiert.] | |
„Wir hoffen natürlich, dass wir zumindest hier ungeschoren davonkommen“, | |
sagt Sibylle Arndt. Die Ungewissheit ist gleichwohl groß. „Wir haben keinen | |
Wasserkopf“, erklärt die Produktionsleiterin, die seit 24 Jahren dabei ist. | |
Wer einmal Theaterproben des Teams besucht hat, weiß, dass die beiden eine | |
60-Stunden-Woche bewältigen. Drei Festangestellte beschäftigt | |
beziehungsweise bezahlt aufBruch in Teilzeit, darüber hinaus sieben feste | |
Honorarkräfte. | |
Hinzu kommen Aufwandsentschädigungen bei den Außenprojekten, Gagen für | |
Musiker oder das Einstudieren einer Choreografie, je nach Stück und | |
Aufwand der Inszenierung. Bertolt Brechts „Dreigroschenoper“ braucht mehr | |
und anderes als ein Kammerspiel wie „Die Gerechten“ von Albert Camus. | |
## „Ich wusste nicht, was in mir steckt“ | |
Welcher Stellenwert der Theatererfahrung in der Haft zukommt, weiß | |
Maximilian Sonnenberg aus eigener Erfahrung. Er hat bei den „Gerechten“ und | |
zwei weiteren Produktionen mitgespielt, zuletzt eine Hauptrolle im „Faust“. | |
„Ich wusste vorher gar nicht, was alles in mir steckt“, sagt der 31-jährige | |
Ex-Häftling. Am Telefon zählt er auf: Texte auswendig lernen, sich | |
artikulieren, in sein Gegenüber einfühlen. Sich öffnen. Man gewinnt | |
Selbstvertrauen. „Es war hart am Anfang“, sagt Sonnenberg. „Ich musste | |
lernen, Kritik einzustecken. Du wirst als Erwachsener behandelt.“ | |
Seit November 2023 ist Sonnenberg draußen, hat eine Wohnung gefunden und | |
viele Amtstermine zu erledigen. Gerade hatte er einen Termin beim | |
Jobcenter. „Ich weiß jetzt, wie ich meinem Gegenüber auf Augenhöhe begegne. | |
Bürokratie macht mir keine Angst mehr. Ich übernehme Verantwortung“, sagt | |
er. | |
„Die Arbeit von aufBruch ist für einen begrenzten Teilnehmerkreis von | |
Inhaftierten resozialisierungsfördernd“, heißt es von der Justizverwaltung. | |
Wobei im Wörtchen „begrenzt“ eine begrenzte Wertschätzung durchscheint. | |
## Unterstützung von Ex-Justizsenatoren | |
Tatsächlich wirkten 2023 insgesamt 69 Inhaftierte bei Produktionen mit, 186 | |
Inhaftierte konnten als Zuschauer die stets ausverkauften 29 Aufführungen | |
besuchen. Doch die nackten Zahlen sagen wenig über die integrative, aber | |
auch künstlerische Qualität der Arbeit von aufBruch aus. | |
Derzeit probt aufBruch George Orwells „1984“ mit jugendlichen Straftätern | |
der JVA Plötzensee. Im Januar ist Premiere. Der inhaftierte Steven Mädel | |
spielt mit, er hat der taz einen Appell geschickt. „aufBruch ist für mich | |
mehr als ein Theaterprojekt“, schreibt er. „Für mich ist es Familie, Halt | |
und Hoffnung. Das Theater gibt mir die Möglichkeit, über meine Fehler | |
hinauszuwachsen.“ Mit Emphase schreibt er: „Hier bin ich nicht die | |
‚Vergangenheit‘, sondern die ‚Zukunft‘.“ | |
Fünf Ex-Justizsenatoren und -senatorinnen haben ebenfalls einen Aufruf | |
gegen die Mittelstreichungen veröffentlicht, mit denen ein erfolgreiches | |
Projekt plattgemacht würde, „welches wir parteiübergreifend während unserer | |
jeweiligen Amtszeit aus Überzeugung unterstützt haben“. | |
Die Senatsverwaltung für Justiz beeindruckt das wenig. „Wie bereits | |
erwähnt, ist es in Anbetracht der zu erbringenden Einsparungen leider nicht | |
möglich, den Kürzungsvorschlägen entgegenzuwirken“, schreibt sie auf | |
Anfrage. Außerdem könnte es sonst andere Projekte treffen. | |
## „Wir kapitulieren nicht“ | |
Folgt nun für aufBruch der Abbruch? „Wir kapitulieren nicht“, sagt Sibylle | |
Arndt. „Wir heulen nicht zu Hause in die Kopfkissen“, sagt ihr Kollege | |
Atanassow, „aber sprachlos macht uns die Sache schon.“ Die Theaterleute | |
haben 20 Jahre Lebensenergie in das einzigartige Theaterprojekt gesteckt, | |
andere Arbeitsmöglichkeiten nicht weiter verfolgt. Und sie glauben an das, | |
was sie tun. | |
Die taz hatte im Sommer 2023 einige Wochen die [6][Proben zu Brechts | |
„Arturo Ui“ in der JVA Tegel] begleitet. „Für mich ist das hier der | |
Anfang“, hatte Maximilian Sonnenberg damals gesagt. „Wenn ich rauskomme, | |
will ich weiter Theater machen.“ | |
Für ihn hat sich aufBruch ausgezahlt. An der Universität besucht er, | |
vermittelt durch eine ehemalige Regieassistentin von aufBruch, | |
Theaterworkshops. Zuletzt war er mit dem Seminar in der Schaubühne, sich | |
den „Hamlet“ anschauen. | |
17 Dec 2024 | |
## LINKS | |
[1] /Kuerzungen-beim-Strafvollzug-in-Berlin/!6051532 | |
[2] /Die-CDU-und-Berliner-Justiz/!6055958 | |
[3] https://www.parlament-berlin.de/adosservice/19/Haupt/vorgang/h19-2026.AK-v.… | |
[4] /Kuerzungen-im-Berliner-Haushalt/!6050080 | |
[5] /Sparliste-der-Berliner-Kulturverwaltung/!6055910 | |
[6] /Theater-mit-Gefangenen/!5953054 | |
## AUTOREN | |
Sabine Seifert | |
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