# taz.de -- Kürzungen beim Strafvollzug in Berlin: „Es ist absolut irre, was… | |
> Olaf Heischel, langjähriger Vorsitzender des Berliner Vollzugsbeirats, zu | |
> den Einsparplänen in der Straffälligen- und Resozialisierungshilfe. | |
Bild: Gefangenentheater aufBruch bei der Premiere „Die Hermannschlacht“ im … | |
taz: Herr Heischel, haben Sie so [1][eine Kürzungsorgie] der | |
Senatsverwaltung für Justiz bei der Straffälligen- und | |
Resozialisierungshilfe schon mal erlebt? | |
Olaf Heischel: Nein. Ich bin seit 35 Jahren Mitglied im [2][Berliner | |
Vollzugsbeirat] und muss schon sagen, das ist sehr grob, wie das die Freien | |
Träger jetzt trifft. | |
taz: Vorgesehen ist eine Streichung von 4,5 Millionen, das wären 60 Prozent | |
der bisherigen Mittel. Können Sie bei den Kürzungen Kriterien erkennen? | |
Heischel: Nein. Vielleicht ist einer zu klein, um sich zu wehren, oder groß | |
genug, um das zu verkraften? Auch persönliche Präferenzen können eine Rolle | |
gespielt haben. Fakt ist: Das Verfahren zu diesen Kürzungen war vollkommen | |
undemokratisch und intransparent. Wir vom Berliner Vollzugsbeirat haben am | |
vergangenen Freitag lediglich mitgeteilt bekommen, wen es mit welcher Summe | |
trifft. | |
taz: Werden Sie versuchen, Einfluss zu nehmen? | |
Heischel: Auf jeden Fall! Es geht hier nicht um ein privates Engagement im | |
Strafvollzug, sondern um eine grundsätzliche gesellschaftliche Frage. Der | |
Einsatz von Freien Trägern ist bei der Integration und Resozialisierung von | |
straffällig gewordenen Menschen unerlässlich. [3][Mangelnde | |
Resozialisierung führt bekanntlich zu einer erhöhten Rückfallquote]. | |
taz: Justizsenatorin Felor Badenberg (CDU) gibt lieber Geld für neue | |
Drogenspürhunde in den Knästen aus. | |
Heischel: Mein Eindruck ist, dass von diesem schwarz-roten Senat eine | |
Klientelpolitik betrieben wird. Das kann man auch in anderen Bereichen des | |
Haushalts sehen. Die Anwohnerparkgebühren sind mit 10 Euro pro Jahr seit 16 | |
Jahren unverändert. | |
taz: Welche Kürzungen bei der Straffälligenhilfe schmerzen besonders? | |
Heischel: Die Kürzungen bei der religiösen Betreuung für Muslime in den | |
Gefängnissen tun weh. Dafür ist ein neuer Posten von 750.000 Euro für | |
christlich religiöse Betreuung von Gefangenen geschaffen worden. Und das, | |
obwohl die Mehrheit der Gefangenen in Berlin, so weit sie überhaupt | |
religiös sind, nicht mehr dem christlichen, sondern dem muslimischen | |
Spektrum zuzurechnen ist. Die Betreuung von bedrängten Minderheiten durch | |
Vollzugshelfer:innen soll drastisch gekürzt werden. Wir wissen aus | |
Umfragen von Mann-O-Meter, die diese Betreuung von Gefangenen übernehmen, | |
dass Angriffe und Beleidigungen in den hiesigen Strafvollzugsanstalten | |
horrende sind. Heftig Federn lassen soll auch [4][das Gefängnistheater | |
aufBruch], das seit 27 Jahren existiert und für seine Integrationsarbeit | |
weit über Berlin hinaus bekannt ist. | |
taz: Das Gefangenentheater soll zwei Drittel seiner Mittel aus dem | |
Justizetat verlieren. | |
Heischel: Das heißt, statt drei Aufführungen vielleicht nur noch eine | |
machen zu können. Die Arbeit und die Strukturen, die die Theaterleute in | |
den Haftanstalten aufgebaut haben, brächen damit zusammen. Auch die | |
Bediensteten der Haftanstalten äußern sich mir gegenüber absolut begeistert | |
über das Projekt. Sie merken, wie gut die Theaterarbeit ist, für die | |
Gefangenen und auch für die Bewältigung von internen Problemen im Knast. Es | |
ist absolut irre, was da gerade alles kaputtgeht, sollten die Kürzungen | |
tatsächlich so durchgehen. Die Bediensteten in den Knästen können das nicht | |
auffangen, so viel ist klar. Sie haben dazu weder die Ausbildung noch die | |
Zeit. | |
taz: Was heißt das für die Insassen? | |
Heischel: Sie werden ohne Wohnung und Betreuung entlassen. Sie werden sich | |
alleingelassen fühlen. Meine Befürchtung ist, wer sich alleingelassen | |
fühlt, sagt sich: Ihr könnt mich auch mal. | |
9 Dec 2024 | |
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## AUTOREN | |
Plutonia Plarre | |
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