| # taz.de -- Gasag-Kunstpreis für Mariechen Danz: Für Augen und Ohren, Bauchhi… | |
| > In Mariechen Danz’ Körperbildern spiegeln sich Wissensordnungen. Ihre | |
| > Ausstellung in der Berlinischen Galerie funktioniert wie eine begehbare | |
| > Karte. | |
| Bild: Ausstellungsansicht von „Mariechen Danz. Edge out“ in der Berlinische… | |
| Lange Zeit wurde er unterschätzt. Man sah nicht viel mehr in ihm als einen | |
| langen Muskelschlauch im Verdauungsapparat. Dass der Darm jedoch nicht nur | |
| bei Verarbeitung, Transport und Ausscheidung von Nahrungsmitteln notwendige | |
| Aufgaben übernimmt, sondern dessen Rolle für das Gesamtwohlbefinden des | |
| Menschen weit darüber hinausgeht, wird erst seit ein paar Jahren breit | |
| diskutiert. | |
| Etwa 70 Prozent der körpereigenen Abwehrzellen liegen im Darm. Billionen | |
| von Bakterien hausen dort und wehren Krankheitserreger aller Art ab, was | |
| ihn für das Immunsystem zur zentralen Instanz macht. [1][Als „zweites | |
| Gehirn“] wird er bisweilen bezeichnet, wegen seines umfangreichen | |
| Nervensystems, wegen der Verbindungen zwischen Darm und Gehirn, durch | |
| welche sich die beiden Organe in ständigem Austausch befinden, und wegen | |
| der Bakterien im Darm, die Neurobotenstoffe produzieren, die sich wiederum | |
| auf Stimmung, Gefühlsleben und Verhalten auswirken. | |
| Bauchhirn und Kopfhirn, in der Kunst von Mariechen Danz liegen sie nah | |
| beieinander. Sie stehen sich als Skulpturen gegenüber, treffen sich auf | |
| Bildschirmen und Ziegelsteinen. Fossilienartig abgegossen aus Kunstharz, | |
| abgeformt aus Beton oder anderem Material gehören Organe jedweder Art – nur | |
| die sexuellen lässt sie bislang aus – seit Langem zum skulpturalen | |
| Vokabular der Künstlerin. Originalgetreu beziehungsweis so originalgetreu, | |
| wie es dem jeweiligen Forschungsstand entspricht, bildet sie diese nach, | |
| nach Lehrmodellen aus der Medizin. Oder sie benutzt selbige physisch als | |
| Formgeber, indem sie diese in Ton oder Baustoffe drückt. | |
| ## Wissenssyteme und ihre Veränderung | |
| Körperwissen und Anatomie, Modi und Modelle menschlicher Erkenntnis sind | |
| die großen Themen der deutsch-irischen Künstlerin (*1980). Wissenssysteme | |
| und wie sich diese verändern lassen, interessieren sie, Forschungs- und | |
| Medizingeschichte, Menschen- und Körperbilder und für was diese stehen. | |
| Ausgezeichnet passt sie damit in die Ausrichtung des Gasag-Kunstpreis, den | |
| sie in diesem Jahr erhielt und der seit 2010 alle zwei Jahre junge | |
| Künstler*innen ehrt, deren Kunst sich an der Schnittstelle zu | |
| Wissenschaft und Technik verorten lässt. Vor zwei Jahren hätte die | |
| litauische Künstlerin Emilija Škarnulytė ihn bekommen sollen. Diese lehnte | |
| aber kurzfristig ab, aufgrund des russischen Angriffskriegs auf die | |
| Ukraine, um auf die Abhängigkeit Deutschlands von russischen | |
| Energielieferungen aufmerksam zu machen. | |
| Danz ist nun die erste Künstlerin, die nach Marc Bauer, Julian Charrière, | |
| [2][Andreas Greiner], [3][Nik Nowak] und Tue Greenfort mit dem Preis | |
| ausgezeichnet wurde. Nur beim ersten Mal, 2010, ging er auch an eine Frau, | |
| an Susanne Kriemann. An der Zeit war es, aber nicht nur deshalb lohnt sich | |
| der Besuch ihrer Ausstellung in der Berlinischen Galerie, die mit dem Preis | |
| verbunden ist. | |
| In einem mächtigen, tunnelartigen Raum dort führt Danz neue und ältere | |
| Arbeiten zusammen zu einer Art begehbaren Kartografie. Genauer gesagt hat | |
| sie den Raum einer faltbaren Landkarte nachempfunden. So sind auch die | |
| Fußspuren auf den Wänden zu verstehen, die diese als weitere Bodenflächen | |
| markieren und die unterschiedlichen Installationen miteinander verbinden. | |
| Hin und her, quer durch die Ausstellung getrieben wird man zudem von den | |
| Videos, die auf einem breiten und zwei transparenten, in den Raum ragenden | |
| Bildschirmen laufen. | |
| ## Modulare Systeme | |
| Alles ist miteinander verbunden, baut aufeinander auf – könnte aber auch | |
| ganz anders zusammengesetzt werden. Danz „Body Bricks“ etwa, die für die | |
| 16. Istanbul Biennale entstanden. Oder ihr „Modular Glyphic System: Manual | |
| Organ Imprint“ – quadratische Betonplatten, die sie 2019 in einem Workshop | |
| für Kinder im Rahmen der Gruppenausstellung „And Berlin will always need | |
| you“ im [4][Gropius Bau] bearbeiten ließ. In einer weiteren Serie arbeitet | |
| die Künstlerin mit Aluminiumplatten, wie sie in der Tech-Produktion für | |
| Datentransfer oder Lüftungssysteme benutzt werden, bedruckt diese wiederum | |
| mit historischen Weltkarten oder anatomischen Zeichnungen. | |
| Körper, so suggeriert Danz mit all dem, sind Teil von Wissensordnungen, | |
| diese wiederum Spiegel der Verhältnisse ihrer Zeit. Die Perspektive | |
| entscheidet und auch sie ist veränderbar. Darauf verweisen auch die vielen | |
| Schatten in der Ausstellung, von denen manche echt, andere nur aufgemalt | |
| sind. | |
| So komplex das alles klingen mag, so unmittelbar wirkt Danz Kunst jedoch | |
| auf Augen, Ohren und die Assoziationsmaschine im Kopf ein. Nicht verpassen | |
| sollte man in jedem Fall den Blick von oben, vom Balkon des ersten Stocks | |
| aus, auf die Ausstellung, die von dort wie eine Mischung aus | |
| Versuchsanordnung und archäologischer Ausgrabungsstätte aussieht. | |
| 10 Dec 2024 | |
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| ## AUTOREN | |
| Beate Scheder | |
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