# taz.de -- Ausstellung in Berlin Scharf-Gerstenberg: „Ein bisschen obszöner… | |
> Charles Baudelaire suchte nach der Schönheit im Hässlichen. Wie er damit | |
> die Kunst anregte, untersucht die Berliner Ausstellung „Böse Blumen“. | |
Bild: Schön im Verfall: Moritz Wehrmann (* 1980): „Les Fleurs du Mal (I)“,… | |
In üppigen Rosa- und Pinktönen prangt die geöffnet poppige Blüte auf den | |
Flaggen vor der Sammlung Scharf-Gerstenberg in Charlottenburg, wie eine | |
feiste Vulva aus einer Sechziger-Jahre-Sci-Fi-Porno-Fantasie. Das aus der | |
Arbeit „Pflanze Nr. VIII–1968“ des Künstlers und experimentellen | |
Druckgrafikers Gernot Bubenik entnommene florale Symbol ist das | |
Schlüsselmotiv der Ausstellung „Böse Blumen“, die in der vergangenen Woche | |
eröffnete. Ausgeschnitten und auf tiefes Schwarz gesetzt wird das | |
Bilddetail so verfremdet, dass es schwerfällt, es im Museum unter den | |
ausgestellten Werken wiederzuerkennen. | |
Doch ist das Motiv treffend ausgesucht, um die Ausstellung nach außen zu | |
kommunizieren: ein bisschen obszöner Sex, viel Weiblichkeit, ein bisschen | |
Skandal, ein bisschen Kitsch, ein bisschen Aus-dem-Kontext-Genommenes. | |
Damit erwartet die Besucher in den schummrig beleuchteten | |
Ausstellungsräumen eine recht wortwörtliche Interpretation des | |
Ausstellungstitels – der deutschen Übersetzung des Gedichtbandes „Les | |
Fleurs du Mal“ von Charles Baudelaire aus dem Jahr 1857. | |
Das literarische Werk Baudelaires, welches direkt nach Veröffentlichung | |
zuerst aufgrund Verletzung öffentlicher Moral verboten wurde, gilt mit | |
seiner damals neuen, provokanten Hinwendung zum Elend des Großstadtmenschen | |
des 19. Jahrhunderts, zu [1][Hässlichkeit], Melancholie, Überfluss und | |
Verfall als Ausgangspunkt der modernen, europäischen Lyrik. Damit ist Ton | |
und Grundstein gesetzt für die Kuration der Sammlungsleiterin Kyllikki | |
Zacharias. | |
Menschliche Abgründe | |
„Die Ausstellung ‚Böse Blumen‘ ist eine Gratwanderung. Sie wirft einen | |
Blick in menschliche Abgründe und gerät an die Grenzen des guten | |
Geschmacks“, heißt es im von Zacharias verfassten Katalogvorwort. Die | |
Ankündigung hält, was sie verspricht. In thematisch geordneten Blöcken rund | |
um die Auswüchse des Schlechten und Bösen, Negativen, des Kranken und | |
Verfallenden und all seinen ästhetischen Verlockungen finden sich Werke aus | |
fast zweihundert Jahren. | |
Da sind die von Félix Bracquemonds angefertigten, abgelehnten | |
Frontispiz-Entwürfe für die erste Ausgabe des Gedichtbands und natürlich | |
die bekannten Stiche Odilion Redons, dessen Werk immer wieder direkten | |
Bezug zu Baudelaire nahm, Arbeiten von [2][Hannah Höch], Paul Klee und Hans | |
Bellmer. | |
Auch zeitgenössische Werke lassen sich finden, etwa ein gepresster Kaktus | |
von Julius von Bismarck, eine sich in Mohnkapseln auflösende Keramikbüste | |
Oliver Baks und eine berührende Installation von [3][Fatoş İrwen] aus | |
vertrockneten Pflanzen und den Haaren ihrer Mitgefangenen, die die | |
kurdische İrwen bei einem ihrer Gefängnisaufenthalte in der repressiven | |
Türkei sammelte. | |
Ergänzt wird die Schau durch Ephemera und Objekte wie die überaus schönen | |
und zuweilen recht humorvollen Oblatenbögen (insbesondere ein mit ihnen | |
collagierter Paravent anonymer Herkunft aus dem 19. Jahrhundert lohnt jeden | |
zweiten Blick), floral geformte Vasen aus der Sammlung des Bröhan-Museums | |
und medizinische Modelle wie die Maske „Diagnose Lues II Papulöses | |
Syphilid“. | |
Blumen des Grauens | |
Doch nicht nur thematisch naheliegende Objekte aus den staatlichen | |
Sammlungen haben ihren Weg in die Ausstellung gefunden. Vielleicht um der | |
provozierenden Skandalträchtigkeit von Baudelaires Lyrik Rechnung zu | |
tragen, fasst das Kapitel „Blumen des Grauens“ (bewegte) Bilder des | |
menschlichen Horrors: Propagandafilme Leni Riefenstahls, Atombombentests, | |
der Terroranschlag auf das New Yorker World Trade Center inklusive | |
prominentem Stockhausen-Zitat („das größte Kunstwerk, das man sich | |
vorstellen kann“). Dazu gehören auch Coronaviren, leider spektakulär durch | |
KI bearbeitete und nicht die kleinen, zarten Originalbilder, die wohl das | |
RKI zur Verfügung stellte. | |
Während die Intention der Kuration intuitiv nachvollziehbar ist, bleibt die | |
ängstliche Ausführung hier leider an der Grenze des guten Geschmacks | |
stehen. Die Bilder laufen auf Flachbildschirmen, wie sie auch in | |
Sportwettbüros hängen könnten, montiert auf einer merkwürdig ornamentierten | |
Tapete, wodurch sowohl der Schrecken als auch die Schönheit verschwinden. | |
Während im Ausstellungstext das Hässliche und Böse für die Surrealisten als | |
„magischer Zauberschlüssel einer gänzlich neuen Ästhetik“ herangeführt | |
wird, windet sich die Ausstellung hier doch unentschlossen um ihre eigene | |
Aussage herum, so als hätte man sich dann doch vor dem eigenen Mut zur | |
Provokation erschrocken. Das zeigt, wie schade es sein kann, die | |
Radikalität kuratorischer Fokussierung zu fürchten. | |
19 Dec 2024 | |
## LINKS | |
[1] /Essaybuch-Haesslichkeit/!5961195 | |
[2] /Ausstellung-ueber-Dada-Kuenstlerinnen/!6022109 | |
[3] /Kurdische-Kunst-in-Berlin/!5918584 | |
## AUTOREN | |
Hilka Dirks | |
## TAGS | |
Ausstellung | |
Berlin Ausstellung | |
Bildende Kunst | |
Blumen | |
Porno | |
Berlin Ausstellung | |
Türkei | |
Bildende Kunst | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
ARD-Doku „Let’s talk about porn“: Tabuloses Treiben | |
Die Doku zeigt das Pornogeschäft in digitalen Zeiten. Damit bricht | |
Regisseurin Julia Krampe das Schweigen und gibt Einblick in ganz normale | |
Jobs. | |
Der Fotograf Robert Conrad: Die Stadt, der Schutt und die Leere | |
Der Fotograf Robert Conrad hielt fest, was im Bild einer Stadt zu | |
verschwinden drohte. Die Galerie Parterre in Berlin zeigt eine | |
Retrospektive. | |
Berliner Ausstellung über Semiha Berksoy: Exzess all Areas | |
Semiha Berksoy ist Kunst- und Operndiva und erste „Staatskünstlerin“ der | |
Türkei. Im Hamburger Bahnhof in Berlin ist nun eine Retrospektive zu sehen. | |
Gasag-Kunstpreis für Mariechen Danz: Für Augen und Ohren, Bauchhirn und Kopfh… | |
In Mariechen Danz’ Körperbildern spiegeln sich Wissensordnungen. Ihre | |
Ausstellung in der Berlinischen Galerie funktioniert wie eine begehbare | |
Karte. |