| # taz.de -- Der Fotograf Robert Conrad: Die Stadt, der Schutt und die Leere | |
| > Der Fotograf Robert Conrad hielt fest, was im Bild einer Stadt zu | |
| > verschwinden drohte. Die Galerie Parterre in Berlin zeigt eine | |
| > Retrospektive. | |
| Bild: Robert Conrad, Abriss der Berliner Großgaststätte Ahornblatt, 15. Augus… | |
| Robert Conrad fotografierte Architektur: Häuser, U-Bahnhöfe, Werkshallen. | |
| Aber man könnte auch sagen: Robert Conrad fotografierte die Zeit, die ihre | |
| Spuren an Fassaden und Mauern hinterlassen hat. Er fotografierte die | |
| monumentale Leere dort, wo leergeräumte Plattenbausiedlungen der DDR Anfang | |
| der 2000er Jahre auf ihren Abriss warteten. Er hielt den Stillstand und die | |
| Trauer fest, die als Letzte zwischen verbarrikadierten Hansehäusern und | |
| einsinkenden Fachwerkhäusern wohnten, als in Greifswald in den 1980er | |
| Jahren die Altstadt zerfiel, in der er aufgewachsen war. | |
| Er war mit seinen Kameras dem Verschwindenden auf der Spur, als in den | |
| Jahren nach dem Zusammenfügen von Ost- und Westdeutschland die | |
| repräsentativen Bauten der Ost-Moderne niedergerissen wurden. Seine Bilder | |
| legen Zeugnis ab gegen das Verstummen und Vergessen dort, wo Geschichte | |
| getilgt wurde aus dem Körper einer Stadt. | |
| Sehen kann man seine mit so viel Geschichte aufgeladenen fotografischen | |
| Serien jetzt [1][in der Galerie Parterre]. [2][Robert Conrad, 1962 geboren, | |
| starb im Mai 2023]. Sein Nachlass ist mit 45.000 Fotos Teil des Archivs der | |
| DDR-Opposition [3][der Robert-Havemann-Gesellschaft]. Die Ausstellung mit | |
| dem Titel „Angst + Wut“ ist die erste Retrospektive des Fotografen, von dem | |
| auch in der taz Bilder zu sehen waren. | |
| Dass es in der DDR gefährlich werden konnte, das Bröseln der Fassaden, den | |
| Zusammensturz von Dachstühlen zu dokumentieren, erfuhr Conrad als junger | |
| Mann. Seine Bilder aus Greifswald zeigte er zum Beispiel bei Treffen mit | |
| der evangelisch organisierten Jugend aus Westdeutschland. In einem Text | |
| „Meine Zeit in Greifswald – wie ich Architekturfotograf wurde“ erzählt e… | |
| dass er lange keinen Zusammenhang hergestellt habe zwischen seinen | |
| Ablehnungen zum Studium und seinen Bildern. Wie lange ihn die Stasi | |
| beobachtet hatte, wie sie ihm Fallen gestellt und seinen Lebensweg mit viel | |
| Aufwand blockiert hatte, erfuhr er erst aus seinen Stasi-Akten. | |
| ## Mehrfach erlebte er Verfall und Zerstörung | |
| Opposition zu sein: Seine Fotografien machen daraus keine große Sache. Sie | |
| scheinen vielmehr einer Notwendigkeit zu folgen, dort zu dokumentieren, wo | |
| Zeitschichten im Gesicht der Stadt zum Verschwinden gebracht werden. Conrad | |
| erlebte das immer wieder. Als er in den 1990ern in Prenzlauer Berg in | |
| Ostberlin lebte, waren es Straßenzüge aus der Gründerzeit, die abgerissen | |
| werden sollten. Er sammelte die Schriftzüge von alten Geschäften, oft noch | |
| aus den 1920er Jahren, von Werbung auf Brandmauern, aber auch die Graffiti, | |
| die gegen Erneuerung, Verteuerung und Verdrängung protestieren. | |
| Mit der Ausstellung erlebt man eine Zeitreise. Es geht noch einmal zu den | |
| Geisterbahnhöfen der S-Bahnen, die aus Westberlin kommend unter der | |
| Hauptstadt der DDR ohne Halt durchfuhren. Kurz nach der Maueröffnung war | |
| Conrad mit Freunden durch Lüftungsschächte hinabgestiegen: Am Potsdamer | |
| Platz liegt der herabgerieselte Schutt vor einem grün gekachelten Block. | |
| Auf dem sind Reste eines Plakats von 1950 zu erkennen, das für das unter | |
| Walter Ulbricht neu eröffnete Stadion der Jugend warb. | |
| Man sieht noch einmal das [4][Berliner Ahornblatt, eine Gaststätte in | |
| Berlin-Mitte, von Betoningenieur Ulrich Müther] entworfen, die mit ihren | |
| geschwungenen Dachelementen zu den elegantesten Bauwerken der DDR gehörte. | |
| Im August 2000 versinkt sie langsam zwischen den Schuttbergen ihres | |
| Abrisses. | |
| ## Die Schwächen der Systeme | |
| Die meisten Bilder von Robert Conrad sind menschenleer. Und dennoch zeigen | |
| sie immer die Auswirkungen von menschlichem Handeln und Entscheidungen, das | |
| Ergebnis von bürokratischen Strategien, die oft aus ideologischen Gründen | |
| auf einem Auge blind sind. | |
| Der Ausstellungstitel „Angst + Wut“ geht auf ein Schild zurück, das Robert | |
| Conrad [5][bei einer Mieter-Demonstration hochhielt, am 3. März 1990]. Am | |
| Alexanderplatz wurde gegen Grundstücksspekulationen demonstriert. Auf dem | |
| Ausstellungsplakat sieht man unter dem Titel ein Foto von Robert Conrad, | |
| 1983 aufgenommen, bei einer versuchten Sprengung des Sortenbunkers am | |
| Gaswerk Dimitroffstraße (nicht weit vom Standort der Galerie Parterre). | |
| Halb schief hängt der Bunker in der Erde, gerade ein Bild technischen | |
| Versagens, aus der Ferne aufgenommen. | |
| In der Gesamtschau wird deutlich, dass Robert Conrad mit dem, was er in den | |
| Fokus rückte, auch immer die Schwächen politischer Systeme traf. | |
| 18 Dec 2024 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://galerieparterre.de/ausstellung.php?id=78 | |
| [2] /Nachruf-auf-Robert-Conrad/!5933122 | |
| [3] https://www.havemann-gesellschaft.de/aktuelles/in-memoriam/robert-conrad/ | |
| [4] /!1221880/ | |
| [5] /!1922505/ | |
| ## AUTOREN | |
| Katrin Bettina Müller | |
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