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# taz.de -- Nachruf auf Robert Conrad: Eine Liebe für Ruinen
> Robert Conrads Themen waren Architektur, Subkulturen und Reisen. Nun ist
> der Fotograf, der die Agonie der späten DDR festgehalten hat, unerwartet
> gestorben.
Bild: Der Fotograf Robert Conrad
Aufwachsen in Ruinen: Ein Schwarzweißfoto von Robert Conrad zeigt
Schulkinder in Greifswald, im Nordosten der DDR in den achtziger Jahren.
Zwei scheinen einen Dritten in ihre Mitte nehmen zu wollen. Die Regenrinne
eines zweistöckigen Hauses endet in der Mitte der Fassade, das Dach ist
schadhaft. Das Gebäude zur rechten Seite und sein linkes Pendant rahmen ein
Häuserwrack, die Dachluke und die oberen Fenster sind schwarze Löcher. Das
Erdgeschoss ist verrammelt, eines der Fenster sinnigerweise mit einer alten
Zimmertür.
Es ist verlockend und dabei nicht gänzlich verkehrt, in diesem Foto ein
Sinnbild für die Agonie der späten DDR zu sehen, doch Robert Conrad, dessen
Fotos mehrmals in der taz zu sehen waren, sagte [1][dieser Zeitung im
Interview] mit Barbara Kerneck, er habe von jeher Ruinen geliebt. Er und
sein Freundeskreis hätten sich geradezu romantisch in ihnen eingerichtet:
„Bei uns allen standen Gründerzeitvertikos und schöne alte Schränke. Und
wir haben es uns dazwischen gemütlich gemacht mit Blumenkästen und
Altarkerzen.“
## Chronist des Kahlschlags
Robert Conrad, 1962 in Quedlinburg im DDR-Bezirk Halle geboren, war seit
1964 in Greifswald groß geworden. In den frühen achtziger Jahren begann er,
den städtebaulichen Kahlschlag in seinen Kindheits- und Jugendstraßen zu
fotografieren. Die Pläne zum Abriss der Greifswalder Altstadt und zu ihrer
Verwandlung in eine Planstadt waren da bereits zwanzig Jahre alt. Seit
Mitte der siebziger Jahre rollten die Bagger. Robert Conrads Fotos einer
dem Verschwinden preisgegebenen Lebenswelt machten ihn in einem Staat, der
sich als Sieger der Geschichte wähnte, zum Gegner.
Diese Fotos taugen, Trümmerromantik hin und her, nicht dazu, sich die
Vergangenheit schönzutrauern. Das hätte sich der freundliche Mensch Robert
Conrad bestimmt verbeten, so wie er deutlich werden konnte, wenn es um den
russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine oder die Proteste in Belarus
2020/21 ging. Bereits 1987 hatte Conrad in Eberswalde auf dem Sportplatz
einer sowjetischen Kaserne die Skulptur „Bereitschaft“ von Arno Breker
fotografiert. Dass die Sowjetarmee nationalsozialistische Propagandakunst
als „sozialistische Vorbilder“ recycelte, bestürzte ihn, der ein Herz für
Osteuropa hatte.
Conrads Arbeiten umfassen prominent drei Themenkomplexe: Da wäre einmal die
Architektur, er selbst konnte nach dem Fall der Mauer in den Neunzigern
Kunstgeschichte und Architektur studieren. Dann jugendliche Subkulturen:
Robert Conrad war musikaffin. Dass er mit Pere Ubu eine Postpunkband
liebte, deren Alben regelrechte Studien in Psychogeografie sind, sollte
nicht verwundern. Conrad hörte den Polen Czesław Niemen wie die Ostberliner
Band Herbst in Peking.
In den Achtzigern bewegte er sich im Umfeld des situationistischen
Musikkollektivs Der Demokratische Konsum. Er hat Punks und Kunden
fotografiert; Fotos von Conrad selbst zeigen eine erstaunliche
Wandlungsfähigkeit vom langhaarigen Hippie über einen raspelkurzen
Punkbohemien in Lederkluft, zuletzt wieder mit Mähne. Nur war sie jetzt
weiß geworden, und Conrad, der lange färbte, hat es diesmal dabei belassen.
Das dritte große Thema, in dem die beiden vorigen aufgehoben sein konnten,
war das Reisen: in der DDR auf die Insel Hiddensee, an die Ostsee
überhaupt, in das Elbsandsteingebirge, dann nach Rumänien, Polen und
Ungarn. Sobald es möglich war, in die USA, nach Israel, Italien, Sizilien,
England, Frankreich, Indien und Marokko. Dabei war es dem Fotografen Conrad
bereits vorher gelungen, den Eisernen Vorhang künstlerisch zu überwinden:
1983 hatte er in Bulgarien, von den Sandsteinpyramiden bei Melnik, den
Blick nach Griechenland als dramatisch-beeindruckenden Moment festgehalten.
## Erkundung der Sowjetunion
1985 brachen Conrad und sein Freund Thomas Frick auf einer staatlich
organisierten Touristenreise durch die Sowjetunion aus und erkundeten das
Riesenreich bis vor die iranische Grenze. Diese Geschichte fand Eingang in
die Ausstellung und das von Cornelia Klauß und Frank Böttcher 2011
herausgegebene Buch „[2][Unerkannt durch Freundesland]“. 1987 zog Conrad in
den Prenzlauer Berg, dem ein ähnliches Schicksal wie Greifswald zugedacht
war. Auch in der DDR-Hauptstadt blieb Conrad Chronist.
Böttcher, Verleger im Berliner Lukas Verlag, legt Wert darauf, dass „über
Robert Conrad nicht ausschließlich als Fotograf gesprochen werden sollte“.
Der langjährige Freund Conrads weiter: „Mich hat an ihm jedenfalls immer
auch seine unbestechlich-freiheitliche Haltung beeindruckt sowie seine
Fähigkeit, mit großer Offenheit, ja Neugierde, sich den
unterschiedlichsten, oft schrägen Menschen und kulturellen Szenen zu
öffnen. Letztlich zeigt sich genau das ja auch in seinen Bildern. Und er
war historisch sehr bewandert und auf den von ihm bearbeiteten Gebieten ein
sehr gründlicher Bauforscher.“
Conrad trug bei zum [3][Virtuellen Museum der Toten Orte], einer seit 1999
aktiven Bild- und Objektdatenbank. Zuletzt arbeitete er mit seiner Lebens-
und Arbeitsgefährtin Margrit Kühl an einem ihm sehr wichtigen Buch zur
Geschichte des Tegeler Flughafenareals. Am 16. Mai stand dazu ein Termin im
Landesdenkmalamt an.
Das Treffen hat nicht stattfinden können. Am 9. oder 10. Mai ist Robert
Conrad plötzlich gestorben. Im Dezember 2022 war er 60 geworden. Zu seinen
Geburtstagsfeiern empfahl es sich, pünktlich zu sein. Ein Dia-Vortrag
gehörte unbedingt dazu. Der Platz vor der Leinwand war begehrt und der Raum
schnell gefüllt.
22 May 2023
## LINKS
[1] /Fotograf-ueber-Architektur-in-der-DDR/!5505312
[2] /Transitniki-in-der-Sowjetunion/!5029227
[3] https://vimudeap.info/de/
## AUTOREN
Robert Mießner
## TAGS
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