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# taz.de -- 95-jährige Künstlerin aus Rumänien: Die in splendider Isolation …
> Ihre Bildsprache fand Marion Baruch erst 2012. Ihren Hang zu Design zeigt
> ihr nomadisches Werk mit Stoffresten, ausgestellt in Krefeld und Aachen.
Bild: „Soziales Gewebe“-Ausstellungsansicht mit Kunst von Marion Baruch im …
Die späte Entdeckung von weiblichen Künstlerinnen ist ein
rezeptionsgeschichtliches Phänomen. Carmen Herrera, Shirley Jaffe und
Martha Jungwirth waren nicht etwa „gänzlich unbekannt“ oder „nicht da“,
während ihre Generationskohorte gerade die zentralen Marktplätze besetzte.
Den Kanon voll im Blick behaltend, arbeiteten sie an einer Sprache des
Dissens, [1][der Varianten oder des Kommentars, um dann erst als
Überlebende im Alter „entdeckt“] zu werden. Nicht, weil der Kanon
aufgegeben wurde, sondern weil das Publikum dabei ist, sich an dessen
Historisierung zu gewöhnen. Nicht nur das „übersehene“ Werk wird damit
gerettet, sondern das Museum gleich mit.
Und dennoch ist das Werk der aus Rumänien kommenden Marion Baruch, wie man
es jetzt in Aachen und Krefeld besichtigen kann, eine Ausnahme in der
Ausnahme, denn die jetzt 95-jährige Frau, die im Rollstuhl sitzt, brilliert
an beiden Orten mit einer Bildsprache, die sie erst im Jahr 2012 erfunden
hat. Es heißt, sie ließe sich „Schnittabfälle der Mailänder Modeproduktio…
anliefern.
Diese fragilen Gebilde werden – mithilfe eines Assistenten – zu
raumgreifenden Kunstwerken elaboriert. Dabei reicht ein halbes Dutzend
Nadeln, um aus einem Tuch, dem etwas mehr als nur die Mitte fehlt, eine Tür
ins Nichts aufzumachen: „Il passaggio“.
## Alt geboren, jung geworden
Marion Baruch bevorzugt dunkle monochrome Stoffe, Wolle, Baumwolle und
Acryl. Flach genagelt, sehen die Installationen aus wie Wandzeichnungen.
Locker genagelt (und teils gewendet), ergeben sie Reliefs. Mit Stangen
unter der Decke gehalten und mehrfach ineinander verschlungen, sehen sie
wie monumentale Bronzen aus. Die ganz filigranen Arbeiten werden beim
Näherkommen fester; die monumentalen Arbeiten zeigen sich dabei als reines
Spiel.
Geboren 1929 in Timişoara, versuchte Marion Baruch es mit einem
Kunststudium in Bukarest. Vom Stalinismus frustiert, findet sie denkende
Menschen an der Bezalel-Akademie in Jerusalem und bekommt 1954 ein
Stipendium, um in Rom zu studieren. Der Rest ist ein modernes Märchen: Sie
heiratet einen Textilunternehmer und baut mit seinem Geld eine
Familienvilla inklusive Atelier im Stil des Brutalismus in der Kleinstadt
Gallarate bei Mailand.
Dort bewegt jetzt eine Enkelin ihren Rollstuhl und hört nachsichtig
lächelnd ihre halbwegs erblindete Großmutter auf Italienisch sagen: „Ich
bin sehr alt geboren, aber bin während meines Lebens immer jünger geworden.
Heute kann ich endlich sagen, dass ich wirklich jung bin.“ Ein
Dokumentarfilm zeigt die Enkelin wie den Geist Baruchs; die Unbeschwertheit
der Jugend, die sie nicht erfahren hat.
Kein Wunder also, dass Marion Baruch im schwebenden Ambiente des Hauses
Lange, der von [2][Mies van der Rohe entworfenen] Fabrikantenvilla in
Krefeld, halbwegs zu Hause wirkt. Beispiele ihres Werks belegen kühne
Ausbrüche ins „Soziale Gewebe“ (so heißt die Ausstellung dort) mittels
hochrangiger Kontakte, die sie ins Umfeld von Man Ray und Meret Oppenheim
führen. Dabei fließen – typisch Mailand – [3][Design und Kunst] ineinander
und verschmelzen zu existenzialistischem Chic.
## Schattenspiel des Geistes
Im Centro Domus präsentiert sie 1971 Acrylkugeln, die menschliche Körper
aufnehmen; ein wandgroß aufgeblasenes schwarzweißes Foto zeigt, wie ein
Junge durch die Straßen rollt. Kugelartig auch „Ron Ron“ von 1972: ein Tier
aus Polyurethan und schwarzem Kunstfell mit Schwanz (aber ohne Gesicht).
Die Gesichtslosigkeit kultiviert sie weiter, indem sie ab 1989 als
Designfirma für dekorative Stoffe auf Kunstmessen auftritt: „NAME
DIFFUSION“ heißt ihre bei der Handelskammer registrierte Firma. Im
Krefelder Textflyer heißt es: „Baruch verwendet als Vorlagen eigene
Stoffmuster, die sie als Erwerbsmöglichkeiten in den 1960er Jahren
entworfen hatte.“
Insofern bleibt, bei einem derart beispielhaften Stand der Werkschau,
offen, ob Baruch eine per Gelegenheit in Kunst geflüchtete Gestalterin
gewesen ist oder eine konzeptuelle Künstlerin, die in der splendid
isolation von Gallarate an der feministischen Bombe bastelte. Ist ihre
kalte Kunst eher Affirmation oder Rache oder von beidem etwas? Vielleicht
ist ihre [4][Werkphase mit Stoffresten] darauf nicht die Antwort, aber
dennoch die Lösung – die Loslösung von der Form in die Unform zurück in die
Form.
Klar auch, dass dies ihre Zeit ist, oder ihre Zeit soeben erst begonnen
hat: eine leichte, recycelte, nomadische Kunst, deren stoffliches Zentrum
leer bleibt, während die Zufallsreste ausgreifen in die Welt, als Schemen
des Fleißes, als Schattenspiel des Geistes, als Skizzen des Nichts.
Insofern ist die Ausstellung in Aachen bedeutender, weil sie auf zwei
Etagen des Kunstvereins – Stil: [5][„brut“] – die aktuelle Kunst der Ma…
Baruch aufs Eleganteste durchdekliniert. Hier sieht man, wie sie über die
Hintertür einrückt in den Kanon. Merkwürdig, dass in zwölf Jahren des
Experimentierens dafür noch kein Gattungsbegriff aufgetaucht ist.
„Ariadnetheater“?
11 Nov 2024
## LINKS
[1] /Fluxuskuenstlerin-Alison-Knowles/!6037945
[2] /Ausstellung-zu-Mies-van-der-Rohe/!5887292
[3] /Ausstellung-in-Wien/!5786429
[4] /Iranische-Kuenstlerin-Farkhondeh-Shahroudi/!5921056
[5] /Foto-Ausstellung-im-Muenchner-Stadtmuseum/!5928161
## AUTOREN
Ulf Erdmann Ziegler
## TAGS
Kunstausstellung
Textile Kunst
Rumänien
Künstlerin
Bildende Kunst
DDR
Design
wochentaz
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