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# taz.de -- Ökonom über Hamburgs Wohnungspolitik: „Viele Menschen sind ungl…
> Hamburg ist fixiert auf Neubau, obwohl das den Wohnungsmangel kaum
> bekämpft. Wirtschaftswissenschaftler Daniel Fuhrhop schlägt eine andere
> Lösung vor.
Bild: Hamburg baut und baut und baut. Dabei entstehen in erster Linie neue schi…
taz: Herr Fuhrhop, beim Thema Wohnen habe ich in Hamburger Wahlprogrammen
zwei Ideen gefunden: Die einen wollen mehr bauen, die anderen noch mehr.
Daniel Fuhrhop: Ja, diese Fixierung auf Beton und Neubau ist in Hamburg
sehr ausgeprägt, auch im bundesweiten Vergleich. Das wundert mich wirklich.
taz: Sind Sie dann bei den Bergedorfern, die gegen das Neubauquartier
Oberbillwerder protestieren – oder verstehen Sie als ehemaliger, [1][von
den Grünen vorgeschlagener Oldenburger Oberbürgermeisterkandidat], dass
Hamburgs rot-grüner Senat das Verfahren an sich gezogen hat, um es
durchzusetzen?
Fuhrhop: Es ist das gute Recht von Menschen, auch und gerade gegen
diejenigen Bauprojekte zu protestieren, die direkt vor der eigenen Haustür
entstehen. Da wirft man schnell Egoismus vor, aber ich würde eher die
persönliche Betroffenheit sehen. Dieser Protest gewinnt dadurch an
Rechtfertigung, dass von Seiten der Politik die Möglichkeiten außerhalb des
Neubaus nicht ernsthaft angegangen werden. Um das mit einer Zahl zu
hinterlegen: Im vergangenen Jahr, also 2023, [2][wurden in Hamburg 6.000
Wohnungen] gebaut, davon aber lediglich 317 in Altbauten – also nur jede
zwanzigste. Im Bundesschnitt entsteht dagegen jede achte Wohnung durch die
Umnutzung von Büroflächen, Sanierungen, den Ausbau von Dachgeschossen oder
ähnliche Maßnahmen. Das ist zweieinhalb mal so viel. Wenn Hamburg das Bauen
im Bestand ernsthaft betreiben würde, müssten dadurch demnach jährlich
annähernd 1.000 Wohnungen entstehen.
taz: Aber klingt Ihre alte Forderung, [3][das Bauen überhaupt zu verbieten,
nicht sogar für Sie selbst zynisch], angesichts der Hamburger Wohnungsnot?
Fuhrhop: Nein, ganz sicher nicht. Der Begriff Wohnungsnot scheint mir auch
unangemessen: Wohnungsnot war, als Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg
etwa zwölf Millionen Geflüchtete in den zerstörten Städten unterbringen
musste. Aber zynisch wäre mein provokanter Slogan angesichts des realen
Wohnungsmangels, wenn er für sich allein stünde. Schon [4][in meiner
Streitschrift von 2020] habe ich jedoch zusammen mit der Forderung, das
Bauen und Landschaftsversiegeln zu verbieten, 100 alternative Lösungswege
vorgestellt, vom Bauen im Bestand bis zu Möglichkeiten, [5][den
unsichtbaren Leerstand zu erschließen] – also denjenigen Wohnraum, der zwar
belegt ist, aber nicht genutzt wird und den die Besitzer gerne neu beleben
würden. Insofern finde ich es viel empörender, wenn einfach weiter neu
gebaut wird, obwohl wir uns das gar nicht mehr leisten können. Neu zu bauen
löst die sozialen Probleme gegenwärtig nicht. Es bedeutet aber, Flächen zu
versiegeln, die wir dringend benötigen, um unsere Städte auf den
Klimawandel einzustellen. Und es treibt den Klimawandel voran.
taz: Ist das so erheblich?
Fuhrhop: Ja. Insgesamt belastet der Wohnungsneubau eines Jahres in
Deutschland das Klima mit rund 74 Millionen Tonnen CO2. Das ist in etwa so
viel, wie das Heizen sämtlicher 43 Millionen Altbauwohnungen in Deutschland
verursacht. Empörend ist es also, wenn eine Stadt wie Hamburg, noch nicht
einmal ein Programm hat, um Immobilienbesitzern zu ermöglichen, das eigene
Haus in gute Hände weiterzugeben.
taz: Was soll das sein?
Fuhrhop: Es ist eine niedrigschwellige Möglichkeit, Immobilien der
Spekulation zu entziehen. Manche Eigentümer möchten ihre Immobilien, meist
aus Altersgründen, verkaufen, aber eben nicht meistbietend an Investoren,
die sie dann modernisieren und alle Mieter bedrohen. Sie wollen sie
stattdessen in gute Hände geben – also zu einem fairen Preis an Eigentümer,
die damit verantwortungsvoll umgehen. Dafür gibt es in München oder Berlin
genossenschaftliche Agenturen. Nicht aber in Hamburg.
taz: Macht denn Hamburg alles falsch?
Fuhrhop: Immerhin gibt es ein ordentliches Gesetz gegen Zweckentfremdung
von Wohnraum. Das müsste man aber auch kontrollieren, damit es wirkt.Auch
ein hohes Bußgeld hilft. In München werden bis zu 500.000 Euro fällig.
taz: Puh!, treffe ich da nicht auch diejenigen, die ihr Haus aus
menschlichen oder baulichen Gründen nicht so gut vermieten können?
Fuhrhop: Es ist wichtig, da zu unterscheiden. Neben den
Spekulationsobjekten von Kapitalanlegern gibt es natürlich auch eine große
Zahl kleiner Eigentümer, die nur ein Haus besitzen, in dem sie auch selbst
leben. Von denen trauen sich manche nicht zu, sich jemand Fremdes als
Mieter ins Haus zu holen. Manche haben auch schlechte Erfahrungen
beispielsweise mit Mietnomaden gemacht. Deswegen ermöglichen rund 60
Kommunen in Deutschland „Sicheres Vermieten“. Das sind vor allem Städte in
Baden-Württemberg, wie Karlsruhe. Dort garantiert die Stadt, dass die Miete
gezahlt wird. Sie klärt zudem kurzfristig die Probleme, die bei so einem
Mietverhältnis auftauchen können und gibt obendrein einen Zuschuss, um die
betreffende Wohnung in Schuss zu bringen und wieder vermietbar zu machen.
Das kann auch mal ein fünfstelliger Betrag sein.
taz: Toll für die Vermieter.
Fuhrhop: Im Gegenzug gehen die aber eine zehnjährige Sozialbindung ein: So
entstehen durch dieses Rundum-Sorglos-Programm allein in Karlsruhe bis zu
150 neue Sozialwohnungen – pro Jahr. Hamburg ist ungefähr sechsmal so groß:
Es müssten also allein durch diese Maßnahme locker 1.000 Wohnungen im Jahr
aus dem Leerstand heraus wieder auf den Markt kommen.
taz: Das Potenzial müsste größer sein.
Fuhrhop: Das stimmt. Das zeigen die gerade erst veröffentlichten Zahlen des
Zensus 2022. In Hamburg leben demnach [6][84.000 Menschen allein in
Wohnungen von über 80 Quadratmetern, und dann gibt es dort 58.000
Zweipersonenhaushalte, die mehr als 100 Quadratmeter Wohnfläche
beanspruchen]. Es gibt also in Hamburg über 140.000 Wohnungen, die so groß
sind, dass noch ein bis drei weitere Personen dort Platz hätten. Es wäre
also rein theoretisch möglich, bis zu 250.000 Menschen zusätzlich in
Hamburgs großen Wohnungen unterzubringen.
taz: Und praktisch?
Fuhrhop: Selbstverständlich ist das nur ein theoretischer Wert. Manche
möchten gerne viel Fläche nutzen, andere können aus unterschiedlichsten
Gründen ihren Wohnraum nicht teilen. Aber wenn nur zehn Prozent davon
erschlossen würden, dann hätte man zusätzlichen Wohnraum für 24.000
Menschen, also so viel, wie man durch den Bau von 12.000 Wohnungen schaffen
würde. Und es ist klar: Viele Menschen sind unglücklich allein in ihrem
leeren Haus. Die würden sich über Unterstützung freuen. Aber Hamburg lässt
die im Stich. Politik sollte endlich anfangen, diesen unsichtbaren Wohnraum
zu nutzen.
taz: Ohne Zwang?
Fuhrhop: Ja, das ist ganz wichtig. Wohnen ist ein sensibles Thema. Und wir
tun gut daran, uns ausschließlich auf die zu konzentrieren, die freiwillig
eine Einliegerwohnung oder eine Etage neu beleben wollen und dabei
Unterstützung brauchen. Modelle dafür gibt es genug: Sehr erfolgreich ist
der „Wohnen für Hilfe“-Ansatz. Das ist kein normales Mietverhältnis,
sondern ein soziales Programm, das junge und ältere Menschen
zusammenbringt. Die jungen Leute verpflichten sich, sie auch ein wenig im
Alltag zu unterstützen, mal einzukaufen oder manchmal auch nur, ihnen ein
wenig Gesellschaft zu leisten.
taz: Und das bringt was?
Fuhrhop: In Brüssel [7][zum Beispiel] werden dadurch jedes Jahr 400
Wohnpartnerschaften vermittelt.
taz: Wow!, dabei ist Brüssel ja viel kleiner als Hamburg…
Fuhrhop: Das Modell funktioniert aber nur, wenn es eine seriöse
Vermittlungsstelle gibt – damit beide Seiten wissen, an wen sie geraten. In
Hamburg könnten damit jedes Jahr rund 800 junge Menschen, Studierende oder
Azubis, eine Wohnung finden. Bloß: Ein solches Programm gibt es in Hamburg
nicht.
taz: Warum?
Fuhrhop: Aus der Bürgerschaft heraus hatte es sogar eine entsprechende
Initiative gegeben. Der Senat hatte sich dann die Negativbeispiele
angeschaut: Tatsächlich wird „Wohnen für Hilfe“ in Deutschland leider oft
sehr schlecht durchgeführt. Allerdings fehlten ihm die Kraft und der Mut,
die Fälle im In- und Ausland zu betrachten, in denen das Modell gut
funktioniert.
taz: Was macht denn den Unterschied aus?
Fuhrhop: Das ist leicht feststellbar: Wo das Vermitteln halbherzig und
unprofessionell angegangen wird, wie bei sozialen Programmen in Deutschland
leider oft der Fall, funktioniert es nicht. Wenn man jemanden nur acht
Stunden die Woche für dieses Thema abstellt oder glaubt, die gesamte
Vermittlungsarbeit durch ehrenamtliche Tätigkeit abdecken zu können, darf
man sich nicht über schlechte Ergebnisse wundern.
taz: Es kostet also doch Geld!
Fuhrhop: In der Tat. Eine solche Stelle würde im ersten Jahr rund 100.000
Euro kosten, also [8][so viel, wie in Hamburg gegenwärtig der Neubau eines
einzigen Wohnheimplatzes]. Zugleich hätte das Modell aber den besonderen
Charme, dass es sich danach durch Vermittlungsgebühr selbst finanzieren
würde.
taz: Bloß mag Hamburg so eine Stelle nicht einrichten…?
Fuhrhop: Deshalb ist es wichtig, dieses soziale Programm als
Wohnraum-Programm zu begreifen. Dann fällt es vermutlich leichter, die
gleichen Ansprüche an sie anzulegen, wie bei der konventionellen
Wohnraumbeschaffung, also beim Bauen. Niemand würde doch die Planung und
das Erschließen eines Neubaugebiets von einer Person betreuen lassen, die
das nur am Wochenende ehrenamtlich macht.
taz: Da würden sich Planer*- und Architekt*innen ganz herzlich
bedanken.
Fuhrhop: Oder die [9][Firmen der Bauwirtschaft].
taz: Die wollen Sie doch ohnehin in die Arbeitslosigkeit treiben?
Fuhrhop: Ganz im Gegenteil. Die Sanierung von Altbauten erfordert in der
Regel mehr Arbeitskraft, während Neubauten vor allem Baustoffe erfordern.
Unterm Strich ergibt sich ein positiver Effekt auf dem Arbeitsmarkt, wenn
wir auf Neubauten verzichten.
taz: Wird das reichen, obwohl Hamburg so stark wächst?
Fuhrhop: Sie haben Recht, Hamburgs Einwohnerzahl ist im Laufe der
vergangenen zehn Jahre um 100.000 gestiegen. Aber im selben Zeitraum hat
sich auch die Zahl der Wohnungen um 80.000 erhöht. Im Schnitt leben zwei
Menschen in einer Wohnung. Rechnerisch wurden also anderthalb mal so viele
Wohnungen geschaffen, wie erforderlich gewesen wären. Das bedeutet: Knapp
die Hälfte des Neubaus ist dem geschuldet, dass heute anders gewohnt wird,
als früher, dass es weniger Kinder gibt, dass mehr Menschen allein leben.
Wir brauchen Lösungen für die Wohnsituation. Wenn wir dagegen weiter am
Bedarf vorbeibauen, wird es niemals ausreichen.
30 Nov 2024
## LINKS
[1] /Oberbuergermeister-hilft-Fussballverein/!6000072
[2] https://www.statistik-nord.de/presse-veroeffentlichungen/presseinformatione…
[3] https://tuttle.taz.de/!5701677/
[4] https://www.oekom.de/buch/verbietet-das-bauen-9783962381943
[5] https://www.transcript-verlag.de/978-3-8376-6900-8/der-unsichtbare-wohnraum/
[6] https://www.statistikportal.de/de/wohnen
[7] https://www.sharehomebrussels.com/
[8] https://www.hamburg.de/politik-und-verwaltung/behoerden/behoerde-fuer-wisse…
[9] /Architekt-ueber-ueberfluessige-Neubauten/!5272607
## AUTOREN
Benno Schirrmeister
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