# taz.de -- #BerlinIstKultur: Am falschen Ende gespart | |
> Der Senat muss sparen. Auch in der Kultur. Das Aktionsbündnis | |
> #BerlinIstKultur will Mittwoch ein Zeichen gegen die geplanten Kürzungen | |
> ab 2025 setzen. | |
Bild: Auch in der Volksbühne (die sich am Protest beteiligt) werden Audiodeskr… | |
Berlin taz | Hans Peter Sperber aus Neukölln ist so empört, dass er sich | |
bei der taz per Leserbrief meldet. Sperber ist als blinder Mensch | |
persönlich von den geplanten Haushaltskürzungen betroffen. Jede | |
Senatsverwaltung ist vom schwarz-roten Senat dazu aufgefordert, ab nächstem | |
Jahr ganze 10 Prozent des Budgets einzusparen. Damit drohen Einschnitte in | |
sozialen, [1][gesundheitlichen] und eben auch kulturellen Belangen. | |
„Die Theater und andere Institutionen sprechen vom radikalen Kahlschlag“, | |
schreibt Sperber über seine ganz eigenen Sorgen: „Seit wenigen Jahren gibt | |
es Bühnenaufführungen mit Audiodeskription für blinde Menschen.“ | |
Audiodeskription ermögliche ihm einen genussvollen Besuch einer | |
Bühnenaufführung „auf Augenhöhe mit den sehenden Menschen“. | |
Ein Besuch einer Oper oder Show ohne Audiodeskription wäre für blinde | |
Menschen nutzlos und Geldverschwendung. „Nun besteht die reale Gefahr, dass | |
diese Aufführungen ab 2025 dem Sparwahnsinn des Finanzsenators zum Opfer | |
fallen. Dann ist das Gerede der Politik von Teilhabe, Inklusion, | |
Integration und Barrierefreiheit in der Kultur eine weitere politische | |
Lüge.“ | |
Zur Erinnerung: Im Dezember 2023 wurde der Doppelhaushalt 2024/2025 | |
beschlossen. Rund 40 Milliarden Euro Ausgaben umfasst der Landeshaushalt | |
für 2025. Drei Milliarden davon sind [2][auf der Einnahmeseite nicht | |
gedeckt]. Daher die fatale Idee von Schwarz-Rot, jede Senatsverwaltung | |
solle 10 Prozent vom Budget einsparen – nach dem Rasenmäherprinzip. | |
## Katharina Thalbach und Lars Eidinger kommen | |
Gegen diese Pläne trommeln Kulturarbeiter:innen, Verbände und Einrichtungen | |
sowie einzelne Betroffene seit Längerem. Als ein Höhepunkt des Protestes | |
kann die Demonstration am Mittwoch ab 10 Uhr am Brandenburger Tor gelten: | |
Das breite [3][Aktionsbündnis #BerlinIstKultur] will ein Zeichen gegen die | |
geplanten Kürzungen im Kulturbereich setzen. | |
„Damit reagieren wir auf den tagenden Hauptausschuss, der über geplante | |
Kürzungen im Kulturetat des Berliner Haushalts verhandeln wird“, heißt es | |
im Demo-Aufruf. Erwartet werden künstlerische Beiträge unter anderem von | |
Katharina Thalbach, Alexander Scheer und Lars Eidinger, von der ufa-Fabrik | |
Berlin und dem Berliner Staatsballett, vom GRIPS Theater und der | |
Clubcommission sowie den drei Berliner Opernchören, die für die Demo | |
gemeinsam singen wollen. | |
„Berlin lebt von der Kultur“, heißt es im Aufruf. „Sie ist der | |
entscheidende Standortfaktor. Sie ist unsere Schwerindustrie. Jeder Euro, | |
der in die Kultur investiert wird, ist eine Investition in die Zukunft der | |
Stadt“, daher geht der Appell an den schwarz-roten Senat und alle | |
Abgeordneten, „die geplanten Kürzungen im Kulturbereich abzuwenden“. | |
Gegen diesen „drohenden Kahlschlag in der Berliner Kultur“ macht auch | |
Oliver Reese, Intendant des Berliner Ensembles, mobil. Im Newsletter des | |
Hauses lädt er dazu ein, „mit uns zusammen zum Brandenburger Tor zu kommen | |
und laut zu werden für eine weiterhin vielfältige Kulturlandschaft in | |
Berlin“. Reese wird eine Rede halten. „Wir dürfen nicht daran sparen, | |
darüber nachzudenken, wer wir als Gesellschaft sind“, fordert er im Vorfeld | |
der Demo, „wer wir waren und vor allem wer wir sein wollen – gerade in | |
diesen aufgerissenen Zeiten.“ | |
## „Irreparabler Schaden“ | |
Das harte Wort vom „Kahlschlag“ benutzt auch Daniel Wesener, Sprecher für | |
Kulturfinanzierung der Grünen-Fraktion im Abgeordnetenhaus. Einsparungen | |
von 10 Prozent würde die kulturelle Infrastruktur der Stadt gefährden, sagt | |
er. Es drohe die „Schließung wichtiger Kulturorte und der Kollaps ganzer | |
Fördersysteme. Das würde der Kunst- und Kulturmetropole Berlin irreparablen | |
Schaden zufügen.“ | |
Dabei sei der Kulturetat bereits heute der anteilig kleinste Fachhaushalt | |
und mache (je nach Rechnungsweise) „gerade einmal 2,0 bis 2,5 Prozent des | |
Landeshaushalts aus“, sagt Wesener. Das mache den Kohl nicht fett, zumal | |
das meiste Geld an Personalkosten gebunden wäre. Er spricht von „maximaler | |
Unsicherheit“ unter allen Beteiligten. Würde eine Struktur wegbrechen, wäre | |
das ein langfristiger Schaden für eine Stadt, die doch in aller Welt mit | |
ihrer Kunst und Kultur Werbung mache. | |
Außerdem, sagt Wesener, wären weite Teile der Berliner Kulturarbeit | |
unterfinanziert und verdienen Kunst- und Kulturschaffende im Durchschnitt | |
deutlich weniger als die allermeisten Berufsgruppen. Das gilt insbesondere | |
für freischaffende Künstler:innen und Solo-Selbstständige aus der | |
Kultur- und Kreativwirtschaft, „die von den Kürzungen am härtesten | |
betroffen wären“. | |
[4][Jana Kreisl] ist eine Solo-Selbstständige, sie arbeitet als | |
Illustratorin und Comicautorin in Lichtenberg für private Kunden und auch | |
mit Fördergeldern vom Senat. „Es ist ein Mix“, sagt Kreisl der taz, „und… | |
würde dann ein großer Teil wegfallen.“ Ihre Comic-Workshops für Kinder, | |
Jugendliche und Erwachsene würde es etwa nicht mehr geben können. | |
## „Wir leben ja eh schon sehr prekär“ | |
Die Sparvorhaben seien „großer Mist“, sagt Kreisl auch stellvertretend für | |
Kolleg:innen: „Wir leben ja eh schon sehr prekär.“ Fördergelder stark zu | |
reduzieren hätte zudem ein demokratiefeindliches Moment, weil das Projekte | |
unmöglich macht, „die vielleicht nicht nach kapitalistischen Logiken | |
funktionieren, die die gesellschaftspolitische Entwicklungen kritisch | |
begleiten; Projekte, die Menschen zusammenbringen, die ihnen Raum und | |
Stimme geben“. Gerade mit dem Erstarken der rechten Kräfte sei das nötiger | |
denn je. | |
„Berlin ist Kultur“, sagt auch Manuela Schmidt, Mitglied im Hauptausschuss | |
(also da, wo es ums Geld geht) und Sprecherin für Kultur. „Es ist unsere | |
Aufgabe, dass das genauso bleibt. Und dazu gehört eben auch, mal ein | |
bisschen kreativ zu sein und Visionen zu entwickeln, wie ich einen Haushalt | |
aufstellen kann, ohne derart gravierend in die einzelnen Fachbereiche gehen | |
zu müssen. Da ist diese Koalition bis heute in der Bringschuld.“ | |
Der Senat habe seine Hausaufgaben, im Ergebnis müssen alle 10 Prozent | |
kürzen. Und wo kann man kürzen, wenn alles andere an Verträge gebunden ist, | |
fragt sie rhetorisch – an der Produktion von Bühnenprogrammen. „Es geht zu | |
Lasten der produktiven Kultur und Kunst“, sagt Schmidt der taz. | |
„Kunst und Kultur“, sagt Schmidt mit Bedauern, „ist leider nach wie vor | |
keine Pflichtaufgabe. Trotzdem ist doch klar, dass Kunst und Kultur kein | |
nice to have sind. In einer Zeit, die derart im Umbruch ist, wo uns allen | |
der Kompass verlorengegangen ist, kann gerade Kunst und Kultur so ein | |
wichtiger Kompass sein – für Demokratie, den Zusammenhalt, für Diskurse, | |
für konstruktive Auseinandersetzungen, all diese Spielräume nehmen wir uns | |
weg.“ | |
Nach der Demo am Mittwoch wird es weitere Proteste gegen den | |
Kürzungswahnsinn geben. Am 27. November veranstaltet der Berliner Spielplan | |
Audiodeskription um 17.30 Uhr eine Online-Demonstration gegen mögliche | |
blindenfeindliche Sparvorgaben; eine Online-Petition zum Thema läuft | |
bereits. | |
Bei der Demo via Zoom geht es um den Erhalt von Audiodeskription in | |
verschiedenen Theatern auch im nächsten Jahr und darum, „die Notwendigkeit | |
kultureller Teilhabe für Menschen mit (Seh-)Behinderung auch in den | |
schweren Zeiten des Sparens in Erinnerung zu halten“, sagt Imke Baumann, | |
Projektmanagement Förderband e.V. | |
„Als Erstes werden höchst wahrscheinlich sogenannte Extrawürste wie | |
Audiodeskription ausgedünnt oder vielleicht sogar ganz verschwinden. Wer | |
denkt noch an die kulturelle Teilhabe von Menschen mit Behinderung, wenn | |
die Kultur selbst vor der Sparkrise steht? Wir denken daran, denn Inklusion | |
ist selbst dann noch Pflicht, wenn jedes Theater nur noch ein Stück pro | |
Spielzeit aufführen könnte.“ | |
12 Nov 2024 | |
## LINKS | |
[1] /Milliardenloch-im-Berliner-Haushalt/!6047597 | |
[2] /Landesregierung-zurueck-aus-den-Ferien/!6044142 | |
[3] https://www.berlinistkultur.de/demo/ | |
[4] https://www.janakreisl.de/#all | |
## AUTOREN | |
Andreas Hergeth | |
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Franziska Giffey | |
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