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# taz.de -- Monat der Männergesundheit: Ein Moustache für die Gesundheit
> Der November ist der Männergesundheit gewidmet. Von Kürzungen betroffene
> freie Träger der Gesundheitsangebote nehmen das zum Anlass, mobil zu
> machen.
Bild: Will Mut machen: die Beratungsstelle von MUT-Traumahilfe für Männer* in…
Berlin taz | Na, wer hat sich schon einen Schnurrbart wachsen lassen? Der
gilt als ein (wenn auch nur temporäres) Zeichen der Solidarität – zumindest
in diesen Wochen. Denn der November ist der Monat der Männergesundheit und
wird zum „Movember“. Das „M“ steht für „Moustache“, so heißt auf
Französisch der Schnurrbart. Männer, so die Idee, lassen sich den November
über einen Moustache wachsen, um für die Männergesundheit zu werben. Eine
Aktion, die ihren Ursprung in Australien haben soll, die Idee zum Monat der
Männergesundheit selbst kommt aus den USA.
Der „Movember“ bietet sozusagen in konzentrierter Form die Möglichkeit, auf
verschiedene Aspekte des Themas aufmerksam zu machen. Vereine und Projekte,
die sich der Gesundheit von Männern widmen, machen mit, aber auch
Organisationen wie das Bundesforum Männer oder die Bundeszentrale für
gesundheitliche Aufklärung. Psychische Erkrankungen wie Depressionen und
Krebs wie Hoden- oder Prostatakrebs und die Vorsorge stehen dabei im
Vordergrund.
Das scheint bitter nötig: Männer bekommen 15 bis 20 Prozent mehr
Krebserkrankungen als Frauen und sterben auch häufiger daran. „Doch nur
jeder zehnte Mann geht regelmäßig zu Vorsorgeuntersuchungen“, teilt die
Berliner Krebsgesellschaft zum Monat der Männergesundheit mit. Pro Jahr
würden in Deutschland etwa 275.000 Männer neu an Krebs erkranken. Dabei
gilt: „Je früher Krebs erkannt wird, desto besser die Heilungschancen.“
Doch in diesem November ist einiges anders als sonst. Überall heißt es:
Sparen, sparen, sparen. In Berlin sind alle Bereiche von Kürzungen
betroffen. Jede Senatsverwaltung, und damit auch die für Gesundheit, muss
im kommenden Jahr zehn Prozent des Budgets einsparen. Das sorgt für Unmut
und Protest. „Ein gesundes Berlin braucht starke zivilgesellschaftliche
Strukturen“, ist denn auch ein Papier betitelt, für das sich 43 Projekte
aus dem Gesundheitsbereich zusammengefunden haben, um ihre Forderungen
gemeinsam zu stellen.
## „Unverzichtbare Angebote absichern“
Es handelt sich um freie Träger, die im Rahmen des [1][Integrierten
Gesundheits- und Pflegeprogramms (IGPP)] des Senats, und hier im Bereich
„Besondere gesundheitliche Bedarfslagen“, gefördert werden. Die
unterzeichnenden Gesundheitseinrichtungen „fordern eine verlässliche
Finanzierung und den Abschluss eines neuen Rahmenfördervertrages 2026 bis
2030, die diese unverzichtbaren Angebote absichert“.
Die Protestnote wird auch von der [2][MUT-Traumahilfe für Männer*]
getragen. Das Angebot gibt es seit 2017, es richtet sich an Männer*, die
sexualisierte Gewalt, Missbrauch oder Vergewaltigung erfahren haben. Weil
Männer* und Jungen* unterschiedlich sind, es verschiedene Formen von
Männlichkeit gibt, wird der Stern benutzt. MUT berät auch Trans*-, Inter*-
und nichbinäre Personen.
„Wir wollten ein niedrigschwelliges Angebot schaffen“, sagt Markus Wickert,
der Sozialarbeiter und Traumapädagoge arbeitet bei MUT von Anfang an. Die
ersten drei Jahre wurde das Projekt durch Lottogelder finanziert, das
reichte für zwei Stellen. Seither fördert die zuständige
Senatsgesundheitsverwaltung das Projekt, von Jahr zu Jahr werden die Mittel
bewilligt. Die Finanzierung reicht für 1,5 Stellen und damit für zwei
Teilzeitmitarbeiter.
Niedrigschwellig meint: Das Angebot ist nicht so hochschwellig wie eine
Therapie. „Davor haben viele Angst oder finden keinen Therapieplatz“, sagt
Wickert. Schon gar nicht gehe das schnell, das dauere bekanntlich oft
mehrere Monate lang. Bei MUT ist es dagegen möglich, rasch einen Termin für
ein erstes beratendes Gespräch zu bekommen, zumindest eine erste Reaktion
auf ein Hilfsersuchen, meist binnen 48 Stunden, verspricht Wickert und muss
doch zugeben: „Das wird immer schwieriger, weil wir immer mehr Anfragen
haben.“
## Im wahrsten Sinne des Wort Mut machen
„Wir sind ein traumapädagogisches Stabilisierungsangebot“, erklärt er die
Arbeitsweise. Nach dem ersten Gespräch werde gemeinsam überlegt, welche
nächsten Schritte ratsam sind. MUT unterstützt Männer, sich mit ihren
Gefühlen, Gedanken und Erfahrungen auseinanderzusetzen.
Das macht MUT auch in Haftanstalten, Pflegeeinrichtungen,
Flüchtlingsunterkünften und in Obdachlosenunterkünften. „Und wenn Leute
nicht mobil sind, gehen wir notfalls auch nach Hause“, sagt Wickert. Die
Mehrzahl der Gespräche findet aber in den vor einem Jahr neu bezogenen
Räumlichkeiten in der Rigaer Straße 4 im Nordkiez von Friedrichshain statt.
„MUT“ steht einladend in grüner Farbe auf den großen Schaufensterscheiben
und soll im wahrsten Sinne des Wort Mut machen, bei entsprechenden
Problemen an der Tür zu klingeln. Das geht auch anonym und ist in jedem
Fall kostenlos.
Es klingeln nicht wenige. Das Projekt fordert deshalb schon lange mehr
Stellen, sagt Lukas Weber vom Verein Hilfe für Jungs. „Das ist uns in den
letzten Jahren aber nie geglückt, obwohl es die Fallzahlen hergeben würden
und der Bedarf einfach zu groß ist. Ein dritter Mitarbeiter wäre sozusagen
schnell ausgelastet mit Terminen für Beratungsgespräche.“
Jedes Jahr erreicht die Beratungsstelle laut Weber über 90 direkt
betroffene Menschen von sexualisierter Gewalt in über 900
Beratungsgesprächen. Manche kommen nur ein Mal, andere mehrfach, wieder
andere werden weitervermittelt an Angebote, die besser geeignet sind. Hinzu
kommen Beratungen mit Partner*innen, Angehörigen, Fachkräften,
Betreuer*innen oder Schulungen.
## „Wie es 2025 weitergeht, weiß aktuell niemand“
„Wir schauen, wer etwas braucht“, erklärt Wickert das Vorgehen. „Viellei…
braucht der junge Mann, der sich in einer Flüchtlingsunterkunft einer
Mitarbeiterin anvertraut, gar keine akute Hilfe, wohl aber die
Mitarbeiterin, die sich überfordert fühlt und nicht weiß, wie sie nun
handeln und ob sie sich einlassen kann. Am Ende brauchen beide Hilfe, der
eine bei mir, die andere bei meinem Kollegen.“
Manchmal sind Teams betroffen, dann wird zu einer Schulung geraten. Das
alles wäre aber in den vergangenen Jahren viel zu kurz gekommen. Das kleine
Team schafft nicht alle Schulungen, die es machen könnte – besser gesagt:
machen müsste.
„Wir denken ja immer, dass wir in einer aufgeklärten Gesellschaft leben,
die alles weiß, wo es keine Tabus mehr gibt“, sagt Wickert. „Aber beim
Thema sexualisierte Gewalt gegen Männer haben wir viele Leerstellen.“ Umso
dramatischer ist es, dass die Zukunft in den Sternen steht. „Wie es 2025
weitergeht, weiß aktuell niemand“, sagt Weber.
Bisher klappte die Finanzierung so gut wie reibungslos, so Weber weiter.
„Was dieses Jahr schwierig ist: Der Senat denkt darüber nach, ob innerhalb
des IGPP gekürzt werden soll und zusätzlich die Dauer von fünf Jahren
festgeschrieben wird – oder aufs jährliche System umgestellt wird.“
## Prinzip Gießkanne?
Zur Erinnerung: Alle Projekte hangeln sich mit den Zusagen für eine weitere
Förderung von Jahr zu Jahr. Im IGPP war das aber bisher sicherer, da die
Gelder im Haushalt für fünf Jahre festgeschrieben wurden. Eine Sicherheit
bei guter Arbeit würde „flöten gehen“, wenn es zur Veränderung des
Finanzierungsmodus kommt, sagt Weber. Dass alle Senatsverwaltungen
mindestens zehn Prozent ihres Etats einsparen müssen, verschärft das
Problem.
Wie das ausgeht, kann niemand vorhersagen. Lukas Weber hat Fragen, die
derzeit auch in vielen anderen Projekten und Vereinen gestellt werden:
Werden ganze Projekte aus der Förderung gestrichen? Oder kommt das Prinzip
Gießkanne zum Tragen und alle bekommen zehn Prozent weniger?
„Selbst wenn wir nicht gekürzt werden“, sagt Weber, „ist die
Wahrscheinlichkeit sehr hoch, dass es eine Nullrunde geben wird.“ Dann
könnten keine Tarifsteigerungen und keine Stufenaufstiege gezahlt werden.
Das heißt: „De facto werden wir gekürzt.“ Der Verein müsste dann den
Kolleg*innen von MUT weniger zahlen. Hinzu kommt die Inflation. „Wir
bräuchten eh jedes Jahr einen Tick mehr Budget.“
Früher hätte es immer geheißen: Machen Sie sich mal keine Gedanken wegen
der Finanzierung. Das aber würde dieses Jahr fehlen, so Weber. „Ich mache
mir Sorgen um meine Kollegen, vor allem aber um unsere gesamte Klientel.“
## Braucht die Stadt beide Projekte?
Weber verweist hier auch auf [3][Tauwetter]. Das ist die Anlaufstelle, für
Männer* und TIN*, die in Kindheit, Jugend oder als Erwachsene
sexualisierter Gewalt ausgesetzt waren, das Projekt ist in Kreuzberg
beheimatet und 1995 aus einer Selbsthilfegruppe heraus entstanden. Die
beiden Projekte kooperieren. In einem gemeinsamen Papier warnen Tauwetter
und Hilfe für Jungs, dass geplante Haushaltseinsparungen und die
Haushaltsspeere nicht zu Lasten von Betroffenen sexualisierter Gewalt gehen
dürften.
Kein abwegiges Szenario, wie ein Statement von Berlins Regierendem
Bürgermeister Kai Wegner (CDU) nahelegt: Wenn Berlin zwei Projekte habe,
die zum Themenfeld sexualisierte Gewalt und Männer arbeiten – ja, braucht
die Stadt denn beide? Reicht nicht nur eines?
„Wir haben über 250.000 betroffene Menschen in der Stadt“, sagt Weber –
wenn man Studien hochrechne, komme man auf diese Zahl. „Wir sind jeden Tag
mit Beratung ausgebucht, unsere Kollegen von Tauwetter auch. Natürlich
mache ich mir Sorgen. Ich will, dass weder bei uns noch bei ihnen gekürzt
wird.“
Weber sagt: „Ich habe zum Teil schlaflose Nächte, weil ich nicht weiß, wie
es weitergehen wird. Es ist doch eine Zumutung für uns Kollegen. Kürzt du
deine Stunden oder ich? Sparen wir uns das Essen und Trinken und
pädagogische Materialien bei den Gesprächen? Haben wir künftig montags
immer zu?“ Die Unsicherheit wäre schwer zu ertragen.
Lukas Weber ist nach eigenen Angaben gut vernetzt innerhalb der zuständigen
Senatsverwaltung, mit den Staatssekretär*innen, teils auch den
Senator*innen, mit Abgeordneten von SPD und CDU. Aber das nützt nichts.
## „Nicht einfach nach dem Prinzip Rasenmäher“
Es wäre wichtig, dass da „nicht einfach nach dem Prinzip Rasenmäher
verfahren wird“, sagt Catherina Pieroth, die gesundheitspolitische
Sprecherin der Grünen-Fraktion im Abgeordnetenhaus, der taz. Sie bringt die
Sprache auf selbstverwaltete Budgets, damit die Projekte, die im Rahmen des
IGPP gefördert werden, nicht „länger als Bittsteller“ auftreten müssten.
„Wir müssen endlich wieder mehr Vertrauen zu den Trägern haben und nicht
den großen Teil der Ausgaben in ihre Kontrolle.“
Der Landespolitikerin ist im Bereich der Männergesundheit die
HIV-Prävention wichtig. Der Checkpoint am Hermannplatz würde da zum
Beispiel eine hervorragende Arbeit leisten. „Mir ist wichtig, dass wir die
Strukturen, die wir in der Stadt seit vielen Jahren aufgebaut haben, auch
mit vielen kleineren Trägern wie MUT weiter fördern. Das gilt auch für die
[4][PrEP-Prävention].“
Aber noch ist nicht klar, wo genau gespart wird, das wird noch Wochen
dauern. Es sickert auch nichts durch, wie das sonst oft der Fall ist. „Mir
fehlt gerade der Blick auf große Ganze“, sagt Weber. Er glaubt, dass es in
ein paar Wochen „ein großes Hauen und Stechen geben wird“.
Daher trommeln MUT und die anderen Gesundheitseinrichtungen in eigener
Sache: „He, uns gibt es, wir sind wichtig! Wir übernehmen die Arbeit des
Staates.“
6 Nov 2024
## LINKS
[1] https://www.berlin.de/lageso/soziales/zuwendung/integriertes-gesundheitspro…
[2] https://hilfefuerjungs.de/mut/
[3] https://www.tauwetter.de/de/
[4] https://www.aidshilfe.de/hiv-prep
## AUTOREN
Andreas Hergeth
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Gesundheitspolitik
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