# taz.de -- Kongress über Männergesundheit: Krank durch Psycho-Stress | |
> Depressive Männer reagieren auf ihre Krankheit zumeist gereizt, | |
> hyperaktiv oder gar aggressiv. Probleme wollen sie nicht zugeben. | |
Bild: Männer scheuen häufig den Gang zum Arzt. | |
BERLIN taz | Frauen leben gesundheitsbewusster als Männer und deshalb | |
länger. So behaupten es jedenfalls Umfragen. Männer wiederum seien | |
risikofreudiger und bezahlten das hart mit Lebensjahren. | |
Auch wenn sich der Zusammenhang zwischen Gesundheitsbewusstsein und | |
Lebensalter nicht wirklich belegen lässt, ist richtig: Männer haben ein | |
„hemdsärmeligeres“ Verhältnis zu Gesundheit und gelten deshalb als | |
„Problemgruppe“, die es anzuleiten und, wenn schon nicht zu überzeugen, so | |
doch zu überreden gilt: gesünder zu essen und sich mehr zu bewegen, zum | |
Arzt zu gehen oder Vorsorgeuntersuchungen in Anspruch zu nehmen, weniger zu | |
rauchen und zu trinken und möglicherweise bei der Arbeit kürzerzutreten. | |
Und vor allem den Mund aufzumachen, wenn sie sich überfordert fühlen und am | |
Rande des Nervenzusammenbruchs. | |
Die Tatsache, dass zwei Drittel bis drei Viertel aller Suizide auf das | |
Konto von Männern gehen und sie wie im traurigen Fall des | |
Germanwings-Absturzes dabei oft eine öffentlichkeitswirksame Arena suchen, | |
spricht dafür, dass es um die seelische Gesundheit von Männern keineswegs | |
gut bestellt ist, auch wenn sie klinisch nicht in Erscheinung tritt. | |
Daran ändern auch männliches Körperstyling nichts und schicke | |
Gesundheitsarmbänder, die via App jederzeit ein aktuelles Bio-Data-Profil | |
erstellen und suggerieren, das verschone einen vor dem Herzinfarkt. | |
Denn der Zusammenhang zwischen koronaren Herzerkrankungen und mentaler | |
Verfassung ist größer, als gemeinhin angenommen wird. Einer | |
Herzverschlusserkrankung, so der Ulmer Psychiater Harald Gündel auf dem 3. | |
Männergesundheitskongress letzte Woche in Berlin, gehe oft psychischer | |
Stress voraus, sei es am Arbeitsplatz oder im privaten Bereich. | |
Wobei Männer mit Arbeitsstress besser umgehen können als mit häuslichen | |
Problemen. Werden Männer allerdings arbeitslos, fand der Leipziger | |
Psychologe Elmar Brähler heraus, steigt ihre Anfälligkeit für psychische | |
Erkrankungen stark an. | |
## „Tarzan“ hat keine Probleme | |
Dass dennoch mehr Frauen mit Depressionen in Erscheinung treten, ist darauf | |
zurückzuführen, dass sich diese bei Männern unspezifischer äußern und oft | |
gar nicht diagnostiziert werden: Sie reagieren nicht mit Rückzug, sondern | |
gereizt, hyperaktiv oder aggressiv. Und sie sind, so Gündel, viel weniger | |
bereit zuzugeben, dass etwas nicht stimmt. „Tarzan“ kann eben noch immer | |
nicht eingestehen, ein Problem zu haben. | |
Interessant ist, dass Männer eher am Arbeitsplatz erreichbar sind für | |
Präventionsmaßnahmen. In Gruppen, so zeigen Modellprojekte, lernen sie für | |
psychische Ereignisse eine Sprache zu finden, vorausgesetzt, es gibt eine | |
verbindlich verfügbare Ansprechperson und eine sprechfördernde | |
Gruppenatmosphäre. | |
Dann können Männer zumindest berufliche Überforderungssituationen zu ihrem | |
Thema machen und sich gegenseitig unterstützen. | |
Die Berliner Stadtreinigung etwa unterhält eine Beratungsstelle mit 24 | |
nebenamtlichen Gesundheitslotsinnen und -lotsen, die Grundlagenwissen im | |
Bereich betrieblicher und privater Prävention vermitteln. | |
## Der Weg zum Mann | |
„Männer reden miteinander“, war das Motto so mancher Männergruppe der | |
aufkommenden Männerbewegung der achtziger Jahre. Offenbar ist diese | |
horizontale Strategie erfolgreicher, um sie auf das Thema Gesundheit zu | |
stoßen, als die übliche „Zielgruppenorientierung“, die Männer zum „Pro… | |
degradiert. | |
Sozialisationsbedingt befassen sich Frauen früher mit Gesundheitsthemen, | |
sie haben früher Kontakt zu Ärzten und gelten als Gesundheitsexpertinnen in | |
den Familien. Über sie allerdings den „Weg zum Mann“ zu finden, hält Thom… | |
Altgeld, einer der Veranstalter des Kongresses, ebenso für falsch wie | |
Männer „spezifisch“ anzusprechen. | |
Vielmehr ginge es darum, sie ernst zu nehmen und an ihrer Eigenwahrnehmung | |
und Kompetenz anzuknüpfen. Und die Rahmenbedingungen müssen verändert | |
werden. In Australien etwa versucht man das mit spezifischen „male friendly | |
health services“, niederschwelligen integrierten Angeboten. | |
In Deutschland ist es dagegen schon eine Revolution, dass es einen Bericht | |
zur gesundheitlichen Lage von Männern gibt und Trends beleuchtet werden, | |
wie beim Rauchen, der als Teil des männlichen Lebensstils gilt. Inzwischen | |
steigt die Quote der Aussteiger mit dem Lebensalter, doch über die Gründe | |
für das Aufhören, so Anne Starker vom Robert-Koch-Institut, kann der | |
Bericht keine Auskunft geben, weil dafür keine Daten vorliegen. | |
## Für Männer nur das Beste! | |
Erstaunliches lässt sich dagegen über den Medikamentenkonsum von Männern | |
und Frauen in Erfahrung zu bringen. 1,5 Milliarden Packungen gehen jährlich | |
über den Apothekentisch, davon ist die Hälfte verordnet, wobei Frauen eher | |
zur Selbsttherapie neigen und nicht verschreibungspflichtige Medikamente | |
kaufen. Bekommen Männer allerdings Arzneimittel verordnet, so der Bremer | |
Pharmaexperte Gerd Glaeske, sind sie in der Regel teurer: Für Männer nur | |
das Beste! | |
Bei den Psychopharmaka – offenbar Folge der beschriebenen nicht erkannten | |
Krankheitsbilder – kommen sie wiederum zu kurz. Dafür werden 10-jährige | |
Jungen viermal so häufig (und aus nicht nachvollziehbaren Gründen regional | |
stark schwankend) mit Pillen gegen Aufmerksamkeits- und | |
Hyperaktivitätsstörungen (ADHS) versorgt als Mädchen. | |
Eine längere Lebenserwartung beschert Männern eine solche Vorzugsbehandlung | |
allerdings nicht, sie sterben nach wie vor rund sechs Jahre früher als | |
Frauen, gut situierte Männer überleben ihre sozial benachteiligten | |
Geschlechtsgenossen um volle elf Jahre (bei Frauen sind es nur acht). | |
## Viele Daten fehlen | |
Das hält Glaeske für einen Skandal. Und auch er mahnt überfällige Daten an. | |
So sei nicht nachvollziehbar, dass trotz zunehmenden Arzneimittelkonsums im | |
Alter der entsprechende Verbrauch der Bundesbürger nur bis zum 65. | |
Lebensjahr erhoben wird. Und was sich auf dem Internetmarkt tut, den Männer | |
eher in Anspruch nehmen, ist so gut wie gar nicht bekannt. | |
Vielleicht gelten für männliche „Bonvivants“, die gegenüber weiblichen | |
„Gesundheitsinterventionistinnen“ risikobereiter leben, auch einfach andere | |
Kriterien? Denn was hilft eine lange Lebenserwartung, wenn die letzten zehn | |
Jahre ans Bett gefesselt und „gepampert“ verbracht werden müssen? | |
Lebensqualität spielt in den gesundheitsspezifischen Datenerhebungen | |
jedenfalls keine Rolle. Und für das Gesundheitssystem sind | |
Gesundheitsmuffel, die sich wohlfühlen, bis sie tot umfallen, ohnehin die | |
billigere Variante. Vermeidungsverhalten ist doch nur etwas für Feiglinge. | |
25 Apr 2015 | |
## AUTOREN | |
Ulrike Baureithel | |
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