# taz.de -- Hormonmangel bei Männern über 50: Nicht genügend Testosteron | |
> Die Hormonvergabe für Frauen im fortgeschrittenen Alter ist zwar | |
> kritisierte, aber gängige Praxis. Jetzt geraten auch Männer über 50 in | |
> den Fokus von Testosteron-Befürwortern. | |
Bild: Ein Befürworter von Hormonvergabe, der sich über Norm und Abweichung no… | |
Immer mehr Männer jenseits der fünfzig reiben ihren Bauch, die Arme oder | |
die Oberschenkel täglich mit einem Testosteron-Gel ein. Das künstliche | |
männliche Sexualhormon soll gegen Libidoverlust und Erektionsstörungen | |
helfen, gegen schwindende Muskelkraft, gegen Abgeschlagenheit und | |
depressive Verstimmung, Abnahme der Knochendichte und Zunahme des | |
Bauchfetts. "Ähnliche Symptome, wie wir sie von den Wechseljahren der Frau | |
kennen. | |
"Beim Mann sprechen wir allerdings nicht von Wechseljahren, sondern vom | |
Partiellen Androgendefizit des Mannes, kurz Padam", sagt Professor Wolfgang | |
Weidner, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Andrologie (DGA). Einen | |
Testosteronspiegel von zwölf Nanomol pro Liter Blut hält die DGA für | |
grenzwertig. Fällt der Wert auf unter acht Nanomol pro Liter, empfiehlt | |
Weidner eine Hormontherapie mit Testosteron-Gelen oder Spritzen. | |
Der Leiter der Abteilung Andrologie des Uniklinikums Hamburg Eppendorf, | |
Professor Wolfgang Schulze, verordnet diese Präparate manchmal auch dann, | |
wenn der Testosteronwert der Norm entspricht. "Manche Männer haben | |
manifeste Mangelsymptome, obwohl sie vermeintliche Normwerte haben." | |
Diese Praxis gießt Wasser auf die Mühlen der Kritiker. Der Biologe und | |
Wissenschaftsjournalist Jörg Blech hält das Partielle Androgendefizit des | |
Mannes für eine Erfindung der DGA und der Pharmaindustrie. "Es ist eine | |
Tatsache, dass der Testosteronwert im Alter abnimmt, dass er sogar im | |
Tagesrhythmus sehr stark schwankt. Und es gibt keine Hinweise, inwiefern | |
dieses Schwanken zu tun hat mit irgendeinem Krankheitsbild." | |
Zu dem selben Ergebnis kam kürzlich eine Studie aus England. Das | |
Forschungsteam der Universität Manchester unter Leitung von Professor | |
Frederick Wu stellte bei rund 3.000 Probanden aus acht europäischen Ländern | |
keinen Zusammenhang zwischen Erektionsstörungen, Abgeschlagenheit und | |
niedrigem Testosteronwert fest. Den angeblich kritischen Grenzwert habe die | |
DGA vor einigen Jahren willkürlich festgelegt, sagt Jörg Blech. | |
Auch der Arzt und Medizinjournalist Michael Prang hält den | |
Testosteronmangel für eine Mär. Er meint, "Erektionsstörungen und die | |
Abnahme der Libido hängen häufig mit der Lebenssituation des Mannes | |
zusammen: Ärger, Stress und Sorgen". Testosteronpräparate würden zudem das | |
Risiko erhöhen, an Prostatakrebs zu erkranken. Das Forscherteam um | |
Professor Henri Wallaschofski von der Universität Greifswald kommt in | |
seiner im April veröffentlichten Studie zu dem Schluss, dass Männer mit | |
wenig Testosteron im Blut häufiger an Herz-Kreislauf-Erkrankungen und | |
Tumorerkrankungen sterben. | |
Dagegen spricht, dass ein Forschungsteam von der Universität San Francisco | |
im Juli dieses Jahres eine Studie abbrach, weil auffällig viele Probanden | |
nach der Einnahme von künstlichem Testosteron an Herz-Kreislauf-Beschwerden | |
litten. Die US-amerikanischen Forscher zogen daraus den Schluss, dass mit | |
der altersbedingten Abnahme von Testosteron bei Männern das | |
Herzinfarktrisiko sinkt. Widersprüchlicher könnten die Ergebnisse der | |
US-Amerikaner und des Teams von der Universität Greifswald nicht sein. Das | |
Für und Wider in Sachen Partielles Androgendefizit erinnert an die zum Teil | |
sehr heftige Diskussion um den Einsatz von Hormonpräparaten bei Frauen. | |
Die Apologeten der Hormonersatztherapie führten den Begriff "Wechseljahre | |
der Frau" in den 1960er Jahren ein und versprachen durch die Präparate | |
reifen Frauen faltenfreie Jugendlichkeit und anhaltende Libido. Die | |
Kritiker begannen fast zeitgleich zu warnen vor einem erhöhten Risiko für | |
Herzinfarkt, Schlaganfall und Brustkrebs. FrauenärztInnen sind inzwischen | |
vorsichtiger geworden. Schon lange nicht mehr verschreiben sie, wie noch in | |
den 1990ern üblich, den Patientinnen ab 40 fast automatisch ein | |
Hormonpräparat. Nur noch rund ein Drittel der Frauen über fünfzig nimmt | |
künstliche Hormone ein. | |
In Bezug auf die Männergesundheit schlagen die Forscher von der Universität | |
Greifswald nun vor, die Messung des Testosteron-Spiegels als Maßnahme in | |
das allgemeine Gesundheitsscreening zu integrieren. Diese regelmäßige | |
Untersuchung würde Geld in die Kassen der sich in Deutschland gerade | |
etablierenden Zunft der Männerärzte spülen. | |
Wenn das männliche Sexualhormon unter dem umstrittenen Grenzwert liegt, | |
würde der ansonsten vielleicht völlig gesunde Mann automatisch zum | |
Patienten, der ein Hormonpräparat verschrieben bekommt, kritisiert Jörg | |
Blech. "Männer, die ein Hormonpräparat nehmen, müssen sich alle drei Monate | |
vom Arzt durchchecken lassen. Das heißt, am Anfang war der Mann gesund. Und | |
zum Schluss ist er ein Patient, der einmal im Quartal zum Arzt rennen | |
muss."Nicht nur holt der Patient regelmäßig das Rezept für sein Präparat | |
aus der Praxis ab. Darüber hinaus untersucht der Arzt regelmäßig das Blut. | |
Denn Testosteronpräparate können es dickflüssiger machen. | |
Sexuelle Unlust und Abgeschlagenheit, also Beschwerden, die mit dem | |
Partiellen Androgendefizit in Zusammenhang gebracht werden, können auch | |
ohne Hormonpräparate angegangen werden, räumt der Präsident der Deutschen | |
Gesellschaft für Andrologie, Wolfgang Weidner, ein. "Am wichtigsten ist ein | |
gesunder Lebensstil. Vor allem die Reduktion des Bauchfetts und regelmäßige | |
körperliche Bewegung." Die berühmten Rettungsringe am Bauch würden zudem | |
die Testosteronbildung hemmen. Je kleiner also die Speckrolle am | |
Männerbauch ist, desto mehr Testosteron zirkuliert auch im Körper. | |
26 Nov 2010 | |
## AUTOREN | |
Katrin Jäger | |
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